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Belarussische Autorin: "Russland wird uns nie gehen lassen"

"Was suchst du, Wolf?" wurde 2021 in Belarus mit dem wichtigsten Romanpreis des Landes ausgezeichnet. Die Autorin selbst lebt seit einem Arbeitsaufenthalt vor etlichen Jahren in Warschau. "Aus damals geplanten 14 Tagen wurden bis heute 14 Jahre", lacht sie im Zoom-Interview mit der APA. Unter ihrem bürgerlichen Namen Sviatlana Kurs hat sie ab 1994 als Journalistin u.a. beim Weißrussischen Staatsradio, für Radio Free Europe/Radio Liberty European Radio for Belarus, das Belarusian Helsinki Committee sowie für die Zeitung "Svaboda" gearbeitet und hat über 100 Fälle von Menschenrechtsverletzungen berichtet. In ihrer Heimat ist sie seit langem nicht mehr gewesen. "Ich nehme an, ich würde gleich bei der Einreise festgenommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt werden." Ihr Pseudonym als Autorin hat sie allerdings schon zu Beginn ihrer Karriere gewählt, als sie über schwierige Themen wie Alkoholismus, Randgruppen oder sozialen Abstieg schrieb. Heute arbeitet sie im Katyn-Museum in Warschau.

In Österreich ist die Geschichte Osteuropas im 20. Jahrhundert von den Autoren und Journalisten Martin Pollack und Karl-Markus Gauß beschrieben worden, man kennt aber auch bedrückende historische Bücher wie "Bloodlands" von Timothy Snyder. Belarus und die Ukraine scheinen darin als endlose Abfolge von Gewalt und Fremdherrschaft. Wie kann man in einem Land unter diesen Umständen den Optimismus bewahren? Viežnaviec antwortet auf diese Frage mit dem Lieblingsbild ihrer Kindheit: Unter einem Stein befindet sich vertrocknetes, graues, niedergedrücktes Gras. Etwas Wasser und ein paar Sonnenstunden reichen aus, um es wieder mit Lebenskraft zu erfüllen - und aus grau wird grün. Auch Menschen seien Lebewesen, denen man nicht gänzlich und dauerhaft den Garaus machen könne: "Langfristig wird unsere Gattung immer das Finstere bekämpfen und nach dem Licht streben."

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Die Massenproteste nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen 2020 wurden brutal niedergeschlagen, die nach der Auflösung der UdSSR versuchte Hinwendung ihres Landes Richtung Westen ist gescheitert, solange Putin an der Macht ist, glaubt Viežnaviec. "Russland wird uns niemals gehen lassen. In Belarus erleben wir einen kalten Völkermord an unserer Nation, in der Ukraine einen heißen Völkermord. Dort zahlen sie gerade einen blutigen Preis auch für unseren Versuch, der russischen Abhängigkeit zu entkommen. Ohne den russischen Faktor könnte mein Land rasch und problemlos Teil der europäischen Familie werden." Sie selbst sei nie mit sowjetischer Ideologie indoktriniert worden, sagt die Autorin, die in einem einsamen Dorf "quasi am Ende der Welt" aufgewachsen ist, wo nicht russisch gesprochen wurde. Deshalb habe sie sich nach der "Wende" rascher als andere in dem unabhängigen Land zurechtgefunden.

"Eva Viežnaviec hat ein vergessenes Belarus auferstehen lassen: das Belarus, aus dem wir stammen", zitiert der Verlag ein Urteil von Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch über das Buch. Tatsächlich sei nichts erfunden, beteuert die Autorin. In dem unzulänglichen Sumpfgebiet, in das ihre weibliche Hauptfigur in "Was suchst du, Wolf?" nach dem Tod ihrer Großmutter auf abenteuerlichen Wegen heimkehrt, sei sie selbst aufgewachsen. "Wir haben dort abgeschnitten von der Welt gelebt, ohne Fernsehen, ohne Anschluss an das aktuelle Geschehen, dafür mit vielen Menschen, die noch im 19. Jahrhundert geboren wurden." Das damalige Leben, aber auch die Märchen und Mythen, mit denen sie groß geworden ist, für die Nachwelt festzuhalten, sei die eigentliche Intention ihres Buches gewesen. "Keine einzige Geschichte, über die ich geschrieben habe, ist frei erfunden."

Was werden wohl die Geschichten sein, die später einmal über die heutige Gegenwart geschrieben werden? "Ich denke, sie werden von Liebe, Würde, Freundschaft, handeln - und von Mut, der im Kampf mit dem Bösen bewiesen wurde. Es entsteht gerade ein neuer nationaler Mythos, getragen von Solidarität und Widerstandsgeist. Ich bin optimistisch", sagt Eva Viežnaviec. Russland werde schwächer, es gebe Licht am Ende des Tunnels. Dazu sei freilich Hilfe notwendig: "Ich hoffe, der Westen wird verstehen, dass Russland nicht nur unser Leben bedroht, sondern auch das von alle anderen."

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Eva Viežnaviec: "Was suchst du, Wolf?", Aus dem Belarussischen von Tina Wünschmann, Zsolnay Verlag, 144 Seiten, 22,70 Euro, Lesungen am Mittwoch, 19.4., 19 Uhr, in der Wiener Hauptbücherei am Gürtel und am Donnerstag, 20.4., im Literaturhaus Salzburg)