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"Cabaret" in Klagenfurt als zeitloser Tanz auf dem Vulkan

Es gibt wohl kaum jemanden, der bei der frivolen Hommage an das Lebensgefühl in der Weimarer Republik nicht an Liza Minelli mit Strapsen und Bowler-Hut denkt - so wie man sie aus Bob Fosses Film von 1972 kennt. Die Klagenfurter Sally sieht völlig anders aus, verbirgt mit ihrem Federrock nur mühsam Armseligkeit und Not. Dem Traum von der glitzernden Bühnenkarriere ordnet sie alles andere unter, auch ihre Liebesbeziehung zu dem amerikanischen Schriftsteller Clifford, der sich durch den aufkeimenden Nationalsozialismus bald unwohl fühlt. Christoph Radakovits ist als nur anfangs naiver Cliff ein souveräner Gegenpart zu Sally mit ihrem blinden Lebenshunger.

Großartige Bühnenpräsenz beweist Simon Jensen als ironisch-lasziver Conferencier, der gelenkig und stimmsicher durch die aufwühlende Geschichte führt. Beim schon sprichwörtlichen "Tanz auf dem Vulkan" berühren besonders die Szenen zwischen der verarmten Pensionswirtin Fräulein Schneider und dem jüdischen Obsthändler Herr Schultz. Elfriede Schüsseleder und Manfred Böll verkörpern die zarte Romanze mit dem bitteren Ende so innig und leise, dass der Kontrast zu der sich formierenden Menschenmasse umso stärker ausfällt. Gänsehaut-Momente beschert der Song "Der morgige Tag ist mein" ("Tomorrow belongs to me") und das Ende des ersten Aktes mit dem vielstimmig skandierten "Er ist kein Deutscher!"

Aus dem Tanzschritt wird der Stechschritt. Raffiniert choreografiert sind Chor und Statisterie einmal armselige Untote als Einwohner der Stadt, dann wieder hemmungsloses Partyvolk oder aufrechte Parteigänger in schwarzen Mänteln. Ab und zu blitzen rote Handschuhe auf - ein starkes Zeichen, das Ausgrenzung und beginnenden Terror stärker fühlbar macht als plumpe Hakenkreuzsymbolik. Mit akzentuierten Lichtstimmungen und wechselnden Kostüm-Stilen führt Immo Karaman (der in Klagenfurt zuletzt "Koma" von Georg Friedrich Haas inszenierte) subtil in die Gegenwart: Wird die Ausgangssituation der Geschichte in warmen Braun- und Grautönen im Stil der Goldenen Zwanzigerjahre erzählt, so dominieren nach der Pause Schwarz-Weiß und Lederrock. Wie beiläufig eingestreute Zitate der AfD ("Vogelschiss der Geschichte") und rosa Luftballons (für Gender-Themen) lassen das Publikum im Heute ankommen.

Keinen glitzernden Showtempel schuf Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic dafür, sondern ein apokalyptisches Szenario: ein leeres Schwimmbecken, bei dem von der vierten Wand nur noch zerbröckelnder Stahlbeton zu sehen ist, im Eck eine Müllhalde aus kaputten Holz-Möbeln, auf der Menschen gleich Ratten herumkrabbeln. Als Schwimmbad-Boden dient eine schiefe Ebene, die das Abrutschen ins Ertrinken unausweichlich scheinen lässt. Es gibt kein Entkommen bei diesem Kammerspiel - alle Szenen spielen in dieser düsteren Arena, die Kit-Kat-Club und Pensionszimmer zugleich ist.

Musikalisch anspruchsvoll und gespickt mit zu Langzeit-Hits gewordenen Nummern ("Money", "Welcome", "Mein Herr") beeindruckt der Broadway-Klassiker in der Klagenfurter Inszenierung durch gefühlvolle rhythmische Gestaltung und kontrollierten Spannungsaufbau. Das Kärntner Sinfonieorchester unter der Leitung von Michael Spassov versuchte nicht flott-schmissig zu spielen, sondern überzeugte durch das Einvernehmen mit dem Bühnengeschehen, jazzigen Saxofon-Soli und starkem Schlagwerk.

Auch wenn sich die Reihen in der Pause lichteten, bedankte sich das verbliebene Publikum für diesen vor Rechtstendenzen mahnenden Reigen mit anhaltendem Applaus. Dieser Kit-Kat-Club wird in Erinnerung bleiben.

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