APA - Austria Presse Agentur

Wenn die Familie des Liebsten ganz anders tickt

Bildungsgrad, soziale Schicht, religiöse oder politische Einstellungen: Manchmal finden zwei Menschen zusammen, deren Familien ganz unterschiedlich ticken. Das bedeutet Arbeit. Denn diese Paare stehen vor dem spannenden Projekt, eigene Rituale und Werte zu entwickeln - quasi als Best-of ihrer Herkunftsfamilien.

Er stammt aus einer klassischen Arbeiterfamilie, während sie in einem Ärztehaushalt groß geworden ist. Sein Elternhaus ist sehr religiös, ihre Eltern belächeln die Kirche. Oft finden Menschen zusammen, die aus ganz unterschiedlichen Familien stammen. Was bedeutet das für die Beziehung?

"Gleich und gleich gesellt sich gern": An diesem Sprichwort ist etwas dran. "Wir neigen dazu, uns einen Partner zu suchen, dessen Werte, Erfahrungen und Einstellungen unseren ähneln", sagt die Familiensoziologin Marina Hennig.

Doch das Leben zeigt auch immer wieder: "Unterschiede ziehen sich an". Egal ob gleich oder ungleich - ganz ausschließen lässt sich die Familie nie: Schließlich geben Eltern ihren Kindern nicht nur Tischsitten und Weihnachtsrituale mit, sondern auch eine gewisse Vorstellung von der Welt, so Hennig. Bildungsgrad, Religionszugehörigkeit, politische Einstellung oder die Mentalität unserer Familie beeinflussen also, wie wir uns das Leben vorstellen.

So stark die Gefühle auch sind: Haben die Beziehungspartner unterschiedliche Vorstellungen von Alltag und Beziehung, kann es Konflikte geben. Etwa wenn der oder die Liebste von Haus aus ein Weihnachtsmuffel ist, während man selbst bereits Ende November alle Feiertage durchplanen möchte.

"Ein typisches Muster ist, dass der eine vom anderen erwartet, sich zu ändern. Der andere fühlt sich dann angegriffen und hat das Gefühl, falsch zu sein", sagt Kerstin Kurzius, die als Familien- und Paartherapeutin arbeitet. Funkt das Gefühl dazwischen, dem Partner durch die eigene Herkunft entweder unterlegen oder überlegen zu sein, lassen sich nur schwer Lösungen finden.

Die Paartherapeutin rät stattdessen, offen mit dem Partner über die Werte, Traditionen und Weltbilder seiner Familie zu sprechen. Wichtig dabei: dem Partner geduldig zuhören - und seine Erzählungen nicht zu beurteilen. "Viele Paare tauschen sich gar nicht so viel über ihre Herkunftsfamilien aus", beobachtet Kurzius. Dabei sei dieses Wissen eine wichtige Voraussetzung, um zu verstehen, wie der Partner tickt.

Teilt man sich Alltag und Klingelschild mit einem Menschen aus einem ganz anderen Milieu, kann das auch zu einer persönlichen Herausforderung werden. Denn: Es kann das Gefühl aufkommen, zwischen zwei Welten zu leben. "Das kann anstrengend sein, weil man schnell das Gefühl bekommt, nirgends richtig dazuzugehören", sagt die Soziologin Hennig.

Ticken beide Partner von Haus aus ganz unterschiedlich, ist die Arbeit an der Beziehung also umso gefragter. "Wichtig ist, dass sich die Beziehungspartner eine eigene Welt erschaffen. Dabei können sie Elemente aus ihren beiden Herkunftsfamilien übernehmen", sagt Hennig. Heißt: Das Weihnachtsfest wird weder komplett ignoriert noch mit einem Familienfest-Marathon zelebriert - sondern irgendwie dazwischen.

Familienfeiern oder gar die eigene Hochzeit: Bei diesen Themen bekommen einige Paare Bauchgrummeln. Was wenn sich die Eltern nichts zu sagen haben? Der Paartherapeut Eric Hegmann rät dazu, den Druck rauszunehmen. "Die meisten Sorgen, die sich Paare machen, sind unbegründet. Denn normalerweise wollen Eltern ihre Kinder nicht blamieren - und wissen aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn die beiden Familien aufeinandertreffen." Schweigen sich beide Väter dennoch verkniffen an, solle sich das Paar dafür nicht verantwortlich fühlen. Denn: Am Ende geht es nicht darum, dass die Eltern miteinander glücklich werden - sondern ihre Kinder.

Unterschiede können die Beziehung aber auch bereichern. Hegmann zieht als Vergleich einen Werkzeugkasten heran: "Durch seine Herkunft bringt jeder Partner gewisse Werkzeuge mit - Fähigkeiten, Erfahrungen und Blickwinkel", erklärt er. "Kommt nun eine Herausforderung auf das Paar zu, kann ihnen die größere Auswahl an Werkzeugen bessere Chancen geben, die Situation zu meistern."

Auch Kerstin Kurzius sieht positive Seiten: "Unterschiede machen eine Beziehung erst spannend, außerdem machen sie uns offener." Auch Kinder können davon profitieren, zum Beispiel wenn sie zweisprachig aufwachsen. Oder wenn sie mit Blick auf ihre beiden Omas und Opas feststellen, wie unterschiedlich sie leben und dass beides gleich gut ist.

Apropos Nachwuchs: Bei der Erziehung orientieren wir uns oft an dem, was wir selbst zu Hause gelernt haben. Wie kann die Erziehung eigener Kinder gelingen, wenn der Partner ganz andere Akzente setzt? "Sind Kinder da, kann die Situation komplizierter werden", sagt Paarberater Hegmann.

Denn schon Paare, die aus ähnlichen Verhältnissen stammen, sind sich bei Themen wie Schlafenszeit oder "Danke"-Sagen oft uneins. "Schwierig wird es, wenn sich die Großeltern einmischen und erwarten, dass ihre Kinder ihre religiösen oder traditionellen Vorstellungen auch in ihren Familien umsetzen", so Kurzius. Spätestens mit der eigenen Familiengründung ist es notwendig, eigene Traditionen und Wertvorstellungen zu entwickeln - gerne als Best-of beider Herkunftsfamilien.