Aggressionsprobleme? Was du tun kannst und was Anzeichen sowie Ursachen sind, liest du hier!

Alexandra Mirgheș / Unsplash

Aggressionsprobleme: Was tun, wenn die Wut zu groß wird?

Expertin Hedwig Wölfl erklärt die Anzeichen sowie möglichen Ursachen für Wutausbrüche & Co.
Selma Tahirovic Selma Tahirovic

Zerbrochene Scherben auf dem Boden, Wutanfälle und Beschimpfungen: Wut kann in mehreren Arten auftreten, doch ab wann wird die Aggression zum Problem? Hedwig Wölfl, Entwicklungspsychologin und Geschäftsführerin des Kinderschutzzentrums Die Möwe, erklärt, was die Ursache für ein aggressives Verhalten sein kann und wie man dagegen vorgeht. 

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Ab wann werden Aggressionen zum Problem?

Das Wort Aggression leitet sich von dem lateinischen Begriff "aggredi" ab, welches als "angreifen" übersetzt werden kann. Dabei geht es bei Aggressionen selbst nicht immer nur um das "Attackieren" von etwas oder jemanden, sondern auch auf die Reaktion auf Einschränkungen, Beleidigungen oder Ungerechtigkeiten, wie Wölfl erklärt: "Es ist eine gesunde Reaktion, irritiert, gestört oder gereizt zu sein."

Je mehr bestimmte Situationen in unsere Würde eingreifen würden, desto mehr würde man mithilfe von Aggressionen seine Interessen verteidigen. "In einem gewissen Maß ist es auch gesund und auch überlebenswichtig, dass man auf so eine Störung auch aggressiv reagieren kann", weiß die Entwicklungspsychologin. 

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Art der Aggression entscheidend

Dabei sollte man jedoch die Art der Aggression unterscheiden: Verliert man schon bei Kleinigkeiten die Nerven oder schlägt zu, dann kann dies ein Problem werden. Vor allem, wenn die Sache nicht anders "konstruktiv" gelöst werden kann. "Es ist ein Unterschied, ob ich jemandem sage: 'Du, das ärgert mich' oder ob ich jemandem einfach eine reinhau", sagt Wölfl. 

Man sollte beobachten, wie heftig man auf bestimmte Situationen reagiert und inwiefern man mit seinen Reaktionen seine Mitmenschen, Gegenstände oder Tiere dadurch verletzt. "Wir müssen bei Aggressionen immer unterscheiden, ob es sich gegen ein Individuum richtet, gegen eine Gruppe oder ein System", erklärt die Expertin, die vor allem den Ukraine-Krieg als Beispiel anführt. Der russische Präsident Wladimir Putin habe das Land angegriffen, ohne bedroht gewesen zu sein. Das wäre laut Wölfl ein "proaktiver Aggressionsakt".

Wer also das Bedürfnis hat, mit seiner Wut anderen Menschen zu schaden, könnte von einer "krankhaften Form der Aggression" betroffen sein. Es herrscht eine niedrige Frustrationstoleranz und ein hohes Anspannungsniveau. Anzeichen dafür können vor allem sein, dass man beispielsweise streitsüchtig ist oder schnell in Raufereien gerät. 

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Welche Formen der Aggression gibt es? 

Wie die Expertin erklärt, gibt es mehrere Formen der Aggression: 

  • körperliche Aggression: schlagen, angreifen (unter anderem mit Waffen)
  • verbale Aggression: anschreien, beleidigen, Gaslighting, Manipulation
  • non-verbale Aggression: beispielsweise Gesichtsausdrücke und Blicke

Letztere könnte man laut der Expertin bei "sadistischen Paarbeziehungen" beobachten, in denen Menschen beispielsweise das Essverhalten ihrer Partner:innen regulieren, weil sie nicht möchten, dass ihr Schatz zunimmt. Sie führt das Beispiel an, wenn sich der:die Partner:in beim Abendessen Nachschub auf den Teller legen möchte und sein:ihr Schatz dabei die Augenbraue hebt – was signalisieren soll, dass das, was gerade passiert, nicht gut ist. "Das ist eine extrem verletzende oder manipulative Form der Aggression", betont Wölfl. 

Was ist passive Aggression?

Auch bei Kindern werden verschiedene Aggressionsformen beobachtet, wenn zum Beispiel (Cyber-)Mobbing betrieben wird. Doch neben diesen aktiven Formen der Wut gibt es auch eine passive. Dabei führt Wölfl ein konkretes Beispiel an: "Wenn die Mutter nach Hause kommt und nur für sich und ihren Sohn Essen kauft, aber nicht für ihre Tochter, dann kann man von passiver Aggression sprechen." Diese Art zeichnet sich durch Verweigerung oder Ignorieren aus: "Es wird nicht offenkundig angegriffen", erklärt die Entwicklungspsychologin weiter. Vor allem Macht und Hierarchie spielen in der Aggression eine große Rolle. 

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Ursache für Aggressionsprobleme

Laut Entwicklungspsychologin Wölfl können die Ursachen für die Wut ganz unterschiedlich sein, meist sind sie in der Kindheit zu finden. Wenn Kinder Betroffene oder Zeug:innen von Gewalt werden, wenn sie miterleben wie Elternteile oder Menschen in ihrem Umfeld Streit haben, drogenabhängig oder psychisch krank sind, dann kann sich dies auch auf sie übertragen. Die Aggression, die die heranwachsenden Kinder im späteren Leben aufweisen, kann aber auch als Selbstschutz fungieren, um das Erlebte zu verarbeiten.

  • Auch die ACE-Studien (Adverse Childhood Experiences) zeigen, dass Kindheitstraumata sich negativ auf die Gesundheit auswirken.
  • Wie das US-amerikanische Centers for Diseases Control and Prevention (CDC) berichtet, können die Traumata dazu führen, dass man unter anderem erhöhtes Risiko für Krebs, Diabetes, Herzerkrankung und Suizid aufweisen kann. 

Sind Aggressionen geschlechterspezifisch? 

Laut der Expertin werden Wut und Aggression in unserer Gesellschaft vor allem mit Männern assoziiert. Dennoch nimmt auch Aggression und Gewalt bei Frauen zu, das zeigen auch neue Studien, wie "Psychology Today" berichtet. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen vor allem im Netz vermehrt zu Cyber-Aggressionen neigen. Demnach würde weibliche User im Netz beispielsweise aktiv bei Mobbing teilnehmen. Demzufolge belege die Studie, dass Frauen nicht nur "passive" Aggressivität ausüben, sondern auch aktive – wie man es vermehrt beim männlichen Geschlecht beobachten kann.

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Muss Aggression immer schlecht sein?

"Aggression an sich ist jedoch nichts Böses", betont Wölfl. "Es kann uns auch Mut machen, was anzugehen, was mich ärgert." Die Expertin erwähnt dabei das Beispiel der Klimakleber:innen: "Das ist auch eine Art der Aggression im Rahmen des zivilen Ungehorsams", sagt Wölfl. So seien das Festkleben auf der Straße oder das Bewerfen von Kunstwerken mit Farben zwar ebenfalls aggressive Akte, aber mit dem Hintergrund, dass man sich dadurch für eine bessere Zukunft einsetzen möchte.  

Dies könnte man auch als "positive Aggressionen" bezeichnen, dabei will man Interessen durchsetzen und ein bestimmtes Ziel verfolgen, welches man auch erreichen möchte  – ohne die Absicht, andere dabei zu verletzen. 

Vor allem als Entwicklungspsychologin wird Hedwig Wölfl häufig mit streitenden Kindern und besorgten Eltern konfrontiert. Auch hier betont die Expertin, dass Streiten per se nichts Negatives ist. "Wir müssen streiten lernen. Streiten, das auf eine gegenseitige Akzeptanz und Versöhnung hinzielt", erklärt Wölfl. "Zu Aggression gehört auch, sich entschuldigen zu können. Das sind die wichtigen Momente, die eine notwendige, gute und konstruktive Aggression formen, die sich von destruktiven, verletzenden Aggressionsformen unterscheidet."

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Wie kann man gegen Aggressionsprobleme vorgehen? 

Doch was kann man tun, wenn die Wut außer Kontrolle gerät? Laut Hedwig Wölfl sei vor allem die Selbsterkenntnis sehr wichtig. Man sollte herausfinden, warum man permanent gereizt sowie angespannt ist – und vor allem, woher diese Aggression kommt. Hierzu kann vor allem eine psychotherapeutische oder psychologische professionelle Hilfe beitragen, um den Ursachen auf den Grund zu gehen.

Aber auch Sport kann dazu beitragen, die Wut in den Griff zu bekommen und einen Ausgleich zu finden: "Boxen, Laufen oder auch kreative Aktivitäten können dabei helfen, die Aggressionen auszuleben", sagt die Entwicklungspsychologin. Auch Entspannungsübungen, Meditation oder Beten können gute Coping Mechanismen sein, um die aggressiven Impulse anders auszuleben oder zu kontrollieren. 

Mehr Informationen zu Anti-Aggressionstrainings oder Selbsthilfegruppen findest du beim österreichischen Gesundheitsportal

Wer Erfahrungen mit Gewalt oder sexuellen Übergriffen erlebt oder in der Vergangenheit erlebt hat, kann sich kostenlos und anonym an die Frauenhelpline gegen Gewalt 0800/222-555, www.frauenhelpline.at, an die Onlineberatung für Mädchen und Frauen im HelpChat, www.haltdergewalt.at, an die Frauenhelpline für gehörlose Frauen, www.oegsbarrierefrei.at/bmf/hilfseinrichtungen/ oder an die Männerberatungsstelle unter 0720 / 70 44 00, https://www.maennerinfo.at wenden.

Wer Selbstmordgedanken hat oder an Depressionen leidet, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits ein einzelnes Gespräch. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich rund um die Uhr kostenlos unter der Rufnummer 142 an die Telefonseelsorge wenden. Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt ÄrztInnen, Beratungsstellen oder Kliniken. www.suizid-praevention.gv.at