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"Inventing Anna": Was ist wahr und was nicht?

"Inventing Anna" erzählt die wahre Geschichte der Hochstaplerin Anna Delvey – bleibt dabei aber nicht immer bei der Wahrheit.

Am Anfang einer jeden Episode von "Inventing Anna" wird dem Publikum ein fragwürdiger Disclaimer präsentiert: Diese Geschichte entspreche vollkommen der Wahrheit, heißt es da – bis eben auf die Teile, die frei erfunden sind.

Welche Teile genau das sind, wird in der Netflix-Produktion jedoch nicht deutlich gemacht. Am Ende bleibt die Frage, was wirklich genau so passiert und was Fiktion ist. Und wer könnte das besser bewerten als Jessica Pressler, die Journalistin, deren Artikel über Anna Delvey als Grundlage für "Inventing Anna" dient?

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Die erste große Abweichung zur Realität ist schon mal die Figur der Journalistin: Jessica Pressler wird in "Inventing Anna" durch eine fiktive Figur namens Vivian Kent ersetzt. Im Interview mit "Vulture" verriet Pressler, dass gar nie im Raum stand, sie als reale Person in die Geschichte einzubinden – dennoch sei ihr die Figur ähnlich. "Vivian ist wie eine wütende All-Caps-Email-Version von mir, aber da sind auch sehr echte Dinge, die mit eingeflossen sind."

Das Baby kam erst später

In der Serie arbeitet die hochschwangere Vivian Kent gerade noch an ihrer Story, als ihre Fruchtblase platzt – sie schafft es gerade noch so ins Krankenhaus. In Wahrheit bekam Jessica Pressler, die während ihrer Arbeit an dem Artikel über Anna Delvey tatsächlich schwanger war, ihr Kind jedoch erst später. "Ich war zwei Wochen vor der Geburt fertig. Es war nicht so, dass ich im Büro ein Handtuch am Boden liegen hatte", erinnert sich Pressler.

Der Prozess, ihre Vorgesetzten von der Story zu überzeugen, sei für die Serie außerdem dramatisiert worden, so die Journalistin. Ja, sie habe für die Story kämpfen müssen und ja, ursprünglich sollte sie wirklich einen Artikel für die #MeToo-Bewegung an der Wall Street schreiben, vieles davon habe sich im echten Leben jedoch auf Slack und via Email abgespielt.

Gibt es Scriberia wirklich?

Der Arbeitsplatz von Vivian Kent hört in "Inventing Anna" auf den klingenden Namen "Scriberia" – ein dunkler Winkel im Büro des fiktiven "Manhattan"-Magazins, an den in die Jahre gekommene JournalistInnen "verbannt" werden, um auf ihren Ruhestand zu warten.

Jessica Pressler erklärt gegenüber "Vulture", dass es diese Ecke tatsächlich gibt – allerdings sei es nicht verrufen, sondern sogar erstrebenswert, dort zu arbeiten: "'Scriberia' ist in der Show und im echten Leben das Land der Langform-AutorInnen. Beim 'New York'-Magazin war das ein wunderbarer Ort." Die KollegInnen, die Vivian Kent in der Serie bei ihrer Story helfen, sind übrigens allesamt frei erfunden.

Ist die Journalistin wirklich nach Deutschland gereist?

Gegen Ende von "Inventing Anna" reist Vivian Kent nach Deutschland, um Anna Delveys Familie ausfindig zu machen. Weil diese jedoch alles andere als begeistert vom Besuch der Journalistin sind, legt Kent fast schon übergriffige Verhaltensweisen an den Tag. Das entspreche nicht der Wahrheit, stellt Jessica Pressler klar: "Ich habe auf jeden Fall nicht versucht, in jemandes Haus einzubrechen. (...) Ich war dort, aber es war nicht so. Es wurde mehr gelacht."

Hat sie Kleidung für den Gerichtstermin organisiert?

In der Serie ist Anna Delvey nicht zufrieden mit der Kleidung, die ihr für den Gerichtstermin zur Verfügung gestellt wird. Ausgerechnet Journalistin Vivian Kent rennt schließlich für sie zu H&M – und borgt ihr für einen späteren Termin sogar eines ihrer eigenen Kleider. Ist das wirklich so passiert?

Ja – aber die Auslöser waren andere. Anna Delvey sei nicht aus Eitelkeit mit der Kleidung unzufrieden gewesen, es habe schlicht und einfach aus unerfindlichen Gründen keine Straßenkleidung gegeben, die das Gericht normalerweise zur Verfügung stellt. Jessica Pressler sei notgedrungen zu H&M gelaufen, weil Anna ihren Termin sonst nicht wahrnehmen hätte können. (In Gefängniskleidung vor die Geschworenen zu treten, führt meist zu Befangenheit.)

Also hat Jessica Pressler mehrere Einkäufe bei H&M erledigt und Anna Delvey sogar irgendwann eines ihrer eigenen Kleider geliehen – dies sei allerdings schwarz gewesen, nicht wie in der Serie weiß.

Gab es "die Wand"?

Vivian Kent ist in "Inventing Anna" so mit ihrer Story beschäftigt, dass sie eine waschechte Krimi-Wand voller ausgedruckter Fotos, Pinnwandnadeln und Wollfäden aufzieht. Auch das wurde für die Serie dramatisiert, wie sich Jessica Pressler erinnert: "Ich hatte ein Spreadsheet. Aber das ist eben nicht besonders visuell. Das wäre dann 'Google Docs: Die Show' geworden."