APA - Austria Presse Agentur

Es ist an der Zeit, Justin Timberlake zur Verantwortung zu ziehen

Der Fall Britney Spears ruft in Erinnerung, wie Justin Timberlake seine weiblichen Kolleginnen behandelt.

Die "New York Times"-Dokumentation "Framing Britney Spears" sorgte Anfang 2021 für vielerlei Gesprächsstoff. In erster Linie behandelt der einstündige Film die Vormundschaft, unter der die Pop-Ikone seit 2008 steht, er ruft aber auch in Erinnerung, wie oft – und vor allem von wem – Britney Spears im Laufe ihrer Karriere ungerecht behandelt wurde. Paparazzi, JournalistInnen, Familienmitglieder – oder eben Ex-Freunde. Allen voran Justin Timberlake, der nun ins Kreuzfeuer der Kritik zahlreicher Fans gerät.

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"Framing Britney Spears" rekapituliert eine Zeit, die die meisten von uns erfolgreich verdrängt hatten. Die Macherinnen der Doku beleuchten dabei unter anderem die mediale Aufarbeitung der Trennung von Britney Spears und Justin Timberlake. Anfang 2002 verkündeten die beiden Superstars, die wegen ihrer Popularität oftmals als "amerikanisches Gegenstück zu den britischen Royals" bezeichnet wurden, das Ende ihrer Beziehung.

Die darauffolgende Berichterstattung war, gelinde gesagt, einseitig: Nachdem Fremdgehgerüchte laut geworden waren, wurde Britney Spears auf sämtlichen Titelseiten als Schuldtragende geächtet – sie war die Frau, die das Ende von Hollywoods Traumpaar alleinig zu verantworten hatte.

Justin Timberlake, nobel wie eh und je, sprang ihr dabei nicht etwa zur Seite – im Gegenteil: Er nutzte die mediale Stimmung gegen seine Ex zu seinem Vorteil, schrieb einen Song über ihre vermeintliche Untreue, drehte ein zugehöriges Musikvideo, in dem ein Britney-Double zu sehen war, und protzte in Interviews damit, der Sängerin ihre Unschuld genommen zu haben. "Es war eine pure männliche Rache-Fantasie", so ein Kommentator in "Framing Britney Spears".

"Cry Me a River" wurde Justin Timberlakes erster großer Soloerfolg – und legte damit den Grundstein für eine Karriere, die auf dem Rücken einer vorgeführten Ex-Freundin aufgebaut wurde.

2006, vier Jahre nach der Trennung, inszeniert sich Justin Timberlake mit "What Goes Around...Comes Around" erneut als Betrogener, der seiner Verflossenen nur das Schlechteste wünscht – und spielt damit der Boulevardpresse, die dahinter zwangsläufig wieder einen Song über seine berühmte Ex vermutet, bewusst in die Hände. 

Britney Spears ist jedoch nicht die einzige Frau, aus deren Leidwesen Justin Timberlake einen Vorteil zog.

Wir schreiben das Jahr 2004. Janet Jackson wird auserkoren, bei der prestigeträchtigen Super-Bowl-Halbzeitshow als Headlinerin aufzutreten – eine Ehre, die in den Jahren zuvor Größen wie Diana Ross, U2 oder Aerosmith zuteil wurde. In den USA ist Janet Jackson zu diesem Zeitpunkt eine waschechte Ikone, neben Madonna gilt sie als erfolgreichste weiblicher Pop-Künstlerin ihrer Zeit. Den krönenden Abschluss ihrer Performance bildet eine gemeinsame Performance mit Justin Timberlake, der gerade am Anfang seiner Solokarriere steht.

Was am Ende des Auftritts passiert, geht als Nipplegate in die Pop-Geschichtsbücher ein. Während der letzten, von Justin Timberlake gesungenen Zeile "Bet I'll have you naked by the end of this song" reißt er an Janet Jacksons Oberteil und entblößt damit für den Bruchteil einer Sekunde ihre rechte Brust. (Die darauffolgenden Suchanfragen zu dem Vorfall im Internet führen letztendlich zur Entstehung einer eigenen Video-Plattform, heute bekannt als YouTube.)

Was genau beim Nipplegate passierte – ob es tatsächlich ein Unfall, ein beabsichtigter Show-Effekt oder eine Mischung aus beidem war –, wurde nie wirklich geklärt, ist aber angesichts der Tatsache, dass die nackte Brust einer Frau nicht skandalträchtig sein sollte, ohnehin egal. Nicht egal ist, was nach dem Super Bowl passierte – und wer die Konsequenzen für den Vorfall tragen durfte.

Die Öffentlichkeit erklärt Janet Jackson zur Staatsfeindin Nummer eins: Sie auf die schwarze Liste der Mediengruppe Viacom gesetzt, ihre Videos laufen nicht mehr im Musikfernsehen, Radiosender spielen ihre Songs nicht mehr, der Fernsehsender CBS drängt sie zu einer öffentlichen Entschuldigung, in der sie den Zwischenfall auf ihre Kappe nehmen muss. Von der Grammy-Verleihung, die eine Woche später stattfindet, wird sie ausgeladen.

Justin Timberlake – der aktive Part der Brust-Entblößung – hingegen ist nicht nur weiterhin bei den Grammys eingeladen, er wird dort sogar mit zwei Preisen ausgezeichnet. Während einer Dankesrede entschuldigt er sich flüchtig für das, "was passiert ist", verpasst es jedoch, auch nur ansatzweise für Janet Jackson einzustehen.

Erst 2006 räumt Timberlake in einem Interview mit MTV ein, dass Janet Jackson nach dem Vorfall unfair behandelt wurde, macht im selben Atemzug aber nicht sein eigenes Verhalten, sondern ganz Amerika dafür verantwortlich. "Ich habe wahrscheinlich nur 10 Prozent der Schuld abbekommen – und das sagt etwas über unsere Gesellschaft aus", so Timberlake. "Ich glaube, Amerika ist strenger mit Frauen. Und ich glaube, Amerika ist, ihr wisst schon, strenger mit ethnischen Menschen."

14 Jahre nach Nipplegate wird Justin Timberlake, der inzwischen als einer der erfolgreichsten Solokünstler der Welt gilt, selbst zum Headliner der Super-Bowl-Halbzeitshow ernannt. Janet Jacksons Karriere konnte sich nie wieder von dem Skandal erholen.

Im Zuge der aktuellen Spears-Dokumentation erinnern Fans auf Social Media nur allzu gern an weitere Situationen, in denen Timberlake mit schäbigem Verhalten ungeschoren davonkam: Als er 2020 seiner Duett-Partnerin SZA beim Interview mit Ellen DeGeneres mehrmals ins Wort fiel und dabei einen "Blaccent" aufsetzte, als er ein Instagram-Posting über die #TimesUp-Bewegung gegen sexuelle Belästigung dazu nutzte, um zu beteuern, wie heiß seine Frau Jessica Biel mal wieder aussieht, oder als er 2018 Konzertreihen in Las Vegas als "Vorstufe zum Ruhestand" bezeichnete – und damit mal wieder unterschwellig gegen seine Ex Britney Spears stichelte, die zu diesem Zeitpunkt eine der erfolgreichsten Vegas-Shows aller Zeiten spielte.

Nach der Ausstrahlung der Dokumentation wird Justin Timberlakes Instagram-Kanal von aufgebrachten Fans geflutet. "#FreeBritney", "Lasst uns nicht vergessen, was er Janet angetan hat", "Jemand ist auffällig still seitdem ein gewisse Doku veröffentlicht wurde", "Entschuldige dich", ist in den Kommentarspalten unter seinen Postings zu lesen.

Schließlich gibt Justin Timberlake dem öffentlichen Druck nach – und veröffentlicht ein Statement auf Instagram, in dem er sowohl Britney Spears als auch Janet Jackson namentlich erwähnt und bekundet, dass er seine Taten bereue. "Ich möchte mich ausdrücklich bei Britney Spears und Janet Jackson entschuldigen, weil ich diese beiden Frauen respektiere und weiß, dass ich versagt habe." Fans sind davon nicht beeindruckt: Es sei zu wenig und zu spät, heißt es.

Als Britney Spears im Sommer 2021 vor Gericht aussagt und erstmals öffentlich macht, was ihr während ihrer 13-jährigen Vormundschaft widerfahren ist, dauert er nicht lange, bis Justin Timberlake einen Solidaritätsbekundung auf Social Media veröffentlicht. "Unabhängig von unserer Vergangenheit, ob gut oder schlecht, und egal wie lange es her ist – was mit ihr passiert, ist einfach nicht richtig. Keine Frau sollte jemals darin eingeschränkt werden, Entscheidungen über ihren eigenen Körper zu treffen", so der Sänger.

Erneut wird ihm Kritik entgegengebracht: "Du hast sie zu deinem eigenen Vorteil ausgenutzt und du tust es wieder", "Du bist kein Held, nur weil du jetzt darüber redest", "Auch du hast eine Rolle in dem Ganzen gespielt", so die Kommentare unter seinem Posting.

2021 sehen wir vieles anders, klarer als Anfang der Nullerjahre – oftmals bemerken wir erst rückblickend betrachtet, wie ungerecht der öffentliche Umgang mit einer Person war, und wie andere dazu beigetragen haben, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Oft braucht es eine kurze Gedächtnisauffrischung, um uns daran zu erinnern, was in der Vergangenheit falsch lief, damit wir es in Zukunft besser wissen. "Framing Britney Spears" und der Prozess rund um die Pop-Sängerin ist diese Auffrischung. Und während das hier kein Aufruf dazu sein soll, Justin Timberlake zu canceln, sollte man in Anbetracht unseres heutigen Bewusstseins dennoch in Frage stellen, ob er der coolste Typ der Welt ist.