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Lindenberg: "Wir mussten die deutsche Sprache wiederfinden"

Von Udo Lindenberg gibt es ein Musical, eine Erlebniswelt, eine Ausstellung, unzählige Dokumentationen und nicht zuletzt über 50 veröffentliche Studio- und Livealben. Mit dem Kinofilm "Lindenberg! Mach dein Ding" hat sich der deutsche Altrocker nun einmal mehr ein Denkmal gesetzt. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt der 73-Jährige, was ihm bei der Umsetzung des Films wichtig war.

dpa: Herr Lindenberg, wenn Sie sich den Film ansehen, ist das dann auch eine Zeitreise, die Sie sentimental macht?

Lindenberg: Ja, es macht auch sentimental. Mal 'ne leichte Melancholie auf die Seele, und ich krieg nasse Augen. Und dann gibt es Szenen, wo der Udo es dann hinkriegt und sich durchsetzt. Dann freue ich mich mit ihm und erinnere mich. Die Tränen der Entzückung oder der Trauer kommen. Bin schwer berührt. Das ist ein gutes Zeichen, wenn die Seele so richtig durchgeschüttelt wird.

dpa: Wie ist das für Sie, wenn Sie Jan Bülow als Udo auf der Leinwand sehen?

Lindenberg: Er ist ähnlich gut aussehend wie ich, haha. Das passt. Er bringt's auf seine Weise. Er sollte mich ja auch nicht kopieren, parodieren oder sonst was in der Art. Er ist ein hochcharismatischer Junge, eine starke Persönlichkeit - und mir in seiner Art sehr verwandt. Deswegen geht das 1.000pro ab. Klar, hat sich 'n paar Dinger abgeguckt: Den lässigen Schleudergang und den Panikgroove hat er gut drauf. Und weil wir uns so ähnlich und nah sind, ist es so perfekt, dass ich an manchen Stellen gedacht habe: Bin ich das jetzt? Oder ist er das? Who is who?

dpa: In dem Film geht es um Ihr Leben vor dem großen Durchbruch mit 27. Warum wollten Sie diese Zeit aufzeigen?

Lindenberg: Weil kaum noch jemand weiß, wie das damals anfing in Gronau an der Donau. In der bleischweren Zeit der Fünfziger musste ich antrommeln gegen dieses große Schweigen im grauen Gronau. Die Väter kamen traumatisiert aus dem Weltkrieg zurück; alles schwieg, Leute lachten nur in der Kneipe, wenn sie besoffen waren. Mit Schlager wurde alles zugesülzt, um zu verdrängen. Von der Ferne hörte man noch die Marschmusik der Wehrmacht. Dann knallte plötzlich aus dem Radio der Jazz raus. Und Elvis Presley. Da fing ich sofort an zu trommeln, anfangs noch auf Bierfässern.

dpa: Ihr Vater Gustav hatte Ihnen allerdings eingebläut: "Die Lindenbergs werden Klempner."

Lindenberg: Ich hatte für mich mit 13 beschlossen: Ich werde Trommler. Hier muss die Familientradition mal unterbrochen werden. Mein Vater hat das auch irgendwann eingesehen. Denn er wollte ja eigentlich selber mal Dirigent werden, musste aber den elterlichen Klempnerei-Betrieb übernehmen. Erstaunlich, aber wahr, irgendwann sagte er: "OK, Junge, geh Du Deinen Weg." Ich bin dann mit 15 abgehauen, losgetrampt, mit 100 Mark und Trommelstöcken in der Tasche.

dpa: Woher nahmen Sie das Selbstvertrauen zu sagen: "Ich bin das nächste große Ding"?

Lindenberg: Ich hab's einfach gemerkt. Schon mit 13 trommelte ich den ersten Bands vor. Das hat ganz gut funktioniert. Ich konnte von Miles Davis ein ganzes Solo nachsingen und hab mir gedacht: Wenn du so wahnsinnig musikalisch bist, ist das einfach ein hohes Geschenk, das gegeben ist aus der Tiefe des Alls und auch über meine Eltern. Das ist eine Verpflichtung, ein dir gegebener Auftrag. Du musst das durchziehen.

dpa: Deutsch war Ende der Sechziger "die Sprache der Täter" und schien daher wenig geeignet für Rock'n'Roll. War es Trotz von Ihnen, dennoch auf Deutsch zu singen?

Lindenberg: Ich bin ja 'ne Straßenratte. Und ich hatte schon ein bisschen den Slang der Straße eingeatmet. Und die eigene Sprache später immer mehr gelebt und perfektioniert. Die Sprache der Täter war die andere deutsche Sprache von vor meiner Geburt. Ich wollte die Rock'n'Roll-Sprache, den echten Straßenschnack haben. Meine Notizen auf Bierdeckeln machten mir immer klarer: Ich krieg das hin, es muss gehen. Wir müssen diese tolle deutsche Sprache wiederfinden. Aber die Locker-Sprache von jetzt.

dpa: Da ist ziemlich viel Sex, Drugs & Rock'n'Roll im Film. Wie ist das für Sie, wenn Sie sich im Kino selbst beim Beischlaf zugucken?

Lindenberg: Lustig. Ich hab gedacht: So ist das ziemlich gut wiedergegeben. Über Details schweigt der Gentleman.

dpa: Sie sollen dem Filmteam alle Freiheiten gegeben haben. Gab es trotzdem eine Szene, wo Ihnen die Umsetzung besonders wichtig war?

Lindenberg: Wenn der Vater gern einen trinkt, wird das im Film manchmal etwas überspitzt dargestellt. Manchmal, wohl aus dramaturgischen Gründen, 'n bisschen überzogen. Klar, Gustav konnte gut durchdrehen, aber er konnte selbst im Heavy-Suff immer noch grade gehen und die Contenance wahren. Das wollte ich auch im Film so sehen. Ich wollte es schon würdevoll halten.

ZUR PERSON: Der Rockmusiker, Schriftsteller und Maler Udo Gerhard Lindenberg kam am 17. Mai 1946 in Gronau, Westfalen zur Welt. Nach einer abgebrochenen Kellnerlehre widmete er sich ganz seiner Musikkarriere. Mit der Gründung des Panikorchesters und der LP "Alles klar auf der Andrea Doria" gelang ihm 1973 der Durchbruch. Seine Bemühungen um die innerdeutsche Ost-West-Beziehung manifestierte er 1983 im Lied "Sonderzug nach Pankow". Das Album "Stark wie zwei" wurde 2008 sein erstes Nummer-Eins-Album. 2011 fand die Uraufführung seines Erfolgs-Musicals "Hinterm Horizont" in Berlin statt. Lindenberg lebt seit 1968 überwiegend in Hamburg.