APA - Austria Presse Agentur

Mord und #MeToo: Theresa Prammers Krimi "Lockvogel"

Manchmal kann einem das Krimi-Genre vorkommen wie Popmusik. Sind nicht alle möglichen Melodien und sonstigen Arrangements schon zu Songs verarbeitet worden, wiederholt sich nicht irgendwann alles? Die Antwort lautet Nein - und zwar da wie dort. Das beweist auch Theresa Prammers jüngst erschienener Krimi "Lockvogel", der mit Bewährtem, aber auch mit Neuem aufwarten kann, vor allem aber mit einer spannenden Story.

Zum Bewährten gehört im Krimi-Genre vor allem ein eher unkonventioneller Ermittler oder eine unkonventionelle Ermittlerin. Häufig sind diese Figuren ja gar nicht beruflich als solche aktiv, sondern stolpern gewissermaßen in ihre Rolle hinein. Das ist beim "Lockvogel" bei exakt 50 Prozent eines doch recht lustigen Ermittlerduos der Fall, nämlich bei der Schauspielschülerin Antonia "Toni" Lorenz. Die andere Hälfte ist Privatdetektiv Edgar Brehm, seines Zeichens vor ein paar Jahren bei der Polizei hinausgeflogen und nun nach Verlust seines Kompagnons beruflich suboptimal unterwegs - noch dazu finanziell sowie gesundheitlich schwer angeschlagen.

Warum die beiden zusammenarbeiten? Tonis Freund ist spurlos verschwunden - und mit ihm Tonis Geld und das ihrer Großmutter samt deren Schmuck. Somit kann die Miete für die Seniorenresidenz der Oma, Tonis engster familiärer Bezugsperson, nicht mehr bezahlt werden und die Schauspielschülerin sucht einen Privatdetektiv auf. Eben Edgar Brehm, der wiederum Hilfe bei einem komplizierten Fall braucht und Toni anstelle einer Bezahlung, die sie sich ja nicht leisten kann, ein Gegengeschäft vorschlägt. So beginnt die Ermittlungszusammenarbeit der ungleichen Zwei, zunächst holprig, dann nach und nach doch erfolgsversprechend.

Doch kein Krimi ohne die andere Seite, sprich ohne potenziell kriminelle Personen. Dass ein Mord vorzuliegen scheint - nach einem rauschenden Fest in der Luxusvilla eines sehr erfolgreichen Filmregisseurs wurde in dessen Pool eine Leiche entdeckt - ist der bewährte Teil eines Krimi-Plots. Das Neue in Prammers Roman ist, dass auch ein #MeToo-Fall eine Rolle spielen könnte. Schließlich geriet nämlich das Tagebuch einer Schauspielerin in die Hände der Ehefrau des Regisseurs. Und dieses enthielt einen Eintrag, der keine Zweifel über ein sexuelles Verhältnis samt anschließender gefühlter Zurückweisung der Schauspielerin offen zu lassen scheint.

Brehm und Lorenz sind - von der Regisseurs-Gattin beauftragt - an dem Fall dran, wobei sich die Schauspielschülerin, die zudem wegen versäumter Stunden vom Konservatorium zu fliegen droht, undercover ins Filmset einschleust, dort zwar auffliegt, dann aber vom Promi-Regisseur nach Schilderung ihrer Probleme am Konservatorium sogar ein Vorspielen samt Aussicht auf eine Rolle angeboten bekommt, was sie wiederum nervös macht, denn was wäre wenn...?

Die nicht immer durchschaubare Krimi-Handlung - liegt nun ein #MeToo-Fall vor oder nicht? Und was hat dieser Verdacht mit dem Mord auf der Terrasse des Regisseurs zu tun? - ist bei Weitem nicht der einzige Handlungsstrang in Prammers neuem Buch. Denn zum Gegengeschäft des Ermittlerduos gehört ja auch, dass der Detektiv Tonis verschwundenen Freund, vor allem aber das fehlende Geld samt Schmuck ausfindig machen soll. Somit bleibt der Plot auf mehreren Ebenen spannend, Leserin oder Leser können auf einer mehrschichtigen Verfolgungsjagd durch Wien miträtseln. Und - womit wir wieder beim Bewährten sind - Verdachtslagen und mögliche Motive wechseln immer wieder - was wird wohl am Ende herauskommen?

Ein gut zu durchblickendes Personengeflecht macht die mehrschichtigen Handlungsstränge beim Lesen stets nachvollziehbar. Was das Thema #MeToo betrifft, ist anzumerken, dass es hier keineswegs aufdringlich oder belehrend daherkommt. Vielmehr wird nachvollziehbar, wie sich solche Situationen wohl jahrzehntelang in der Film-, aber auch anderen Kunst-Branchen abgespielt haben könnten: Eine Schauspielerin macht bei dem mit, was der Regisseur von ihr will - und hält danach jahrelang den Mund, weil sie andernfalls um ihre weitere Karriere fürchtet. Nicht nur ein auf diese Art so häufig ausgenutztes Abhängigkeitsverhältnis wird hier veranschaulicht, sondern auch die bei künstlerischen Berufen häufigen Selbstzweifel, wegen derer man um die weitere Laufbahn fürchtet und daher manchmal lieber schweigt, auch wenn man noch so gerne reden würde.

Zum Ende sei so viel verraten: Eine weitere Zusammenarbeit des schrulligen Ermittlerduos und damit ein weiteres Buch mit Toni und Edgar zeichnet sich ab. Und zur #MeToo-Debatte sei abschließend ein kurzer Dialog aus dem "Lockvogel" zitiert, und zwar zwischen der betroffenen Schauspielerin und Toni: "Du hast Glück." - "Wegen der Schule?" - "Nein. Weil sich die Zeiten ändern. Hoffe ich."

(S E R V I C E - Theresa Prammer: "Lockvogel", Haymon-Verlag, 372 Seiten, 24,90 Euro)