APA - Austria Presse Agentur

Moses Sumneys farbenfroher Doppelschlag "grae"

Üppig ist beinahe eine Untertreibung für Moses Sumneys neues Album: Auf "grae" verpackt der US-amerikanische Sänger und Songwriter nicht nur 20 Songs zwischen artifiziellen Klängen und handgemachter Wärme, sondern auch unterschiedlichste, höchstpersönliche Themen. Dabei sind es besonders die Zwischenwelten, die titelgebenden Graubereiche, die Sumney auf beeindruckende Art und Weise ausleuchtet.

Mit einem Gutteil von "grae" konnten sich Fans des Musikers, der bereits 2017 mit seinem Debüt "Aromanticism" und der darauf in die Auslage gestellten Falsettstimme überzeugen konnte, schon länger anfreunden. Immerhin hat Sumney die ersten zwölf Stücke der Platte bereits Ende Februar in den digitalen Äther geschickt. Nun ist das Doppelalbum vollständig, ergibt sich eine mehr als einstündige Reise in das Seelenleben des Sängers, der sich gleich eine ganze Armada an Unterstützern zur Seite geholt hat.

Es ist gewissermaßen das Who-is-who der coolen Independentszene aus dem elektronisch angehauchten Songwriter-Zirkus, von Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never über James Blake bis zu angesagten Bands wie Yvette oder Adult Jazz. Sie alle tragen bei zur Ausgestaltung eines musikalischen Kosmos, der sich kaum einordnen oder zügeln lässt, der aber die intimen Momente ebenso auskostet wie groß angelegte, geradezu orchestrale Arrangements.

Dabei ist Sumney, der irgendwo zwischen Pop, Rock und R'n'B irrlichtert, im Kern ein guter und fesselnder Erzähler. Seine Geschichten handeln von toxischer Maskulinität, die er nicht nachvollziehen kann ("Virile"), erzählen von der Vorstellung des eigenen Daseins in der Zukunft ("Me in 20 Years") und gehen bis zur Suche nach dem Ich, nach dem persönlichen Platz, nach dem Ausdruck für all diese Farben und Formen, die sich so schwer in klassische Schubladen stecken lassen ("Neither/Nor").

Ohnehin ist es die Uneindeutigkeit, die Sumney und seine Kunst so anziehend macht. Mit "Bless Me" hat die zweite, deutlich ruhigere Hälfte einen veritablen Hit zu bieten, der in seiner spröden Erscheinungsform erst nach und nach an Strahlkraft gewinnt, besonders von kleinen, eigenwilligen Spielereien lebt und doch ganz dem großen Popgestus verpflichtet scheint. Oder etwa doch nicht?

Moses Sumney ist, so machen es auch seine aktuellen Videos wie etwa die Traurigkeitsstudie "Polly" klar, kein Freund von einfachen Antworten, Lösungen oder gar Fragen. Wer ihn schätzen und verstehen will, muss sich all seiner Facetten bewusst sein, wie einer der kurzen, sehr sphärischen Brückensongs ("also also also and and and") dem Hörer ins Bewusstsein ruft. Mal Art Rock, dann wieder urbaner Jazzgedanke, mal trippige Björk-Hommage, dann wieder reduzierter Songwriter-Pop: Moses Sumney ist mit "grae" ein äußerst abwechslungsreicher und somit farbenfroher Doppelschlag gelungen, der ein immer wieder und wieder Hören lohnenswert macht. Hier erstrahlt Melancholie in all ihren Facetten.

Von Christoph Griessner/APA

INFO: www.mosessumney.com