Die Bedeutung des Weltfrauentags hängt vom Land, der Vergangenheit und der gesellschaftlichen Rollenverteilung ab. 

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So wurde der Weltfrauentag im ehemaligen Jugoslawien begangen

Die Bedeutung des Weltfrauentags hängt vom Land, der Vergangenheit und der gesellschaftlichen Rollenverteilung ab.
Adisa Beganovic Adisa Beganovic

"Den Frauentag haben wir früher richtig zelebriert", erinnert sich Azra Merdzan. Sie stammt ursprünglich aus Bosnien und Herzegowina, das einst Teil der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien war. In ihrer Heimat war Merdzan Leiterin und Sozialarbeiterin in dem von ihr gegründeten Zentrum für soziale Obsorge in Donji Vakuf, einer kleinen Stadt in Bosniens Mitte. "Mit den Arbeitskolleginnen sind wir am Abend gemeinsam Essen gegangen", sagt Merdzan.

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Im ehemaligen Jugoslawien wurde der Weltfrauentag aber nicht nur individuell, sondern auch auf Staatsniveau gebührend gefeiert. "Ich habe an dem Tag nur bis Mittag gearbeitet. Andere Kolleginnen und sogar das Reinigungspersonal hatten an diesem Tag ganz frei", erinnert sich Merdzan. "Je nachdem, wie groß das Unternehmen war, in dem man gearbeitet hat, wurden beispielsweise im Rahmen des Weltfrauentags Auslandsreisen für Frauen organisiert", fügt sie hinzu.

Die Diskussion um den Weltfrauentag als Feiertag ist nach wie vor aktuell. In Berlin wurde der 8. März voriges Jahr zu einem gesetzlichen Feiertag ernannt. Damit ist die deutsche Bundeshauptstadt die absolute Ausnahme in den westlichen Staaten. Nach Angaben der Kampagne "International Women’s Day" gilt der Weltfrauentag in knapp 30 Staaten, darunter Afghanistan, Russland, Ukraine, China oder Vietnam als gesetzlicher Feiertag.

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Andere Prioritäten

Während in Österreich an diesem Tag auch dem Kampf um Frauenrechte und den großen weiblichen Persönlichkeiten gedacht wird, hatte man im ehemaligen Jugoslawien diesen Feiertag quasi zum Staatsfeiertag erhoben und somit die Prioritäten des Gedenktages verschoben.

In Jugoslawien galt offiziell die Gleichberechtigung der Geschlechter. Der knallharte Regent Josip Broz Tito hat sich höchstpersönlich dafür eingesetzt. Als er an die Macht kam, änderte sich einiges für das weibliche Geschlecht. Die Rate der Analphabetinnen sank und die Zahl der Studentinnen an den jugoslawischen Universitäten stieg an. "Wozu an diesem Tag dann noch über Themen wie den Gender-Pay-Gap diskutieren?", muss wohl die Devise gelautet haben, denn es wurden keine wichtigen Diskussionen geführt oder Besserungen verlangt.

Stattdessen gab es Feste und Konzerte, die an diesem Tag ausschließlich für das weibliche Publikum initiiert wurden. Die zahlreichen Heldinnen Jugoslawiens, die für die Volksbefreiungsarmee kämpften, wurden lediglich in den Aktivitäten der lokalen Frauengruppen erwähnt. Es ging auch nicht um den Kampf, das wäre zu negativ. Es ging einfach nur um eine Art (fast schon geheuchelte) Wertschätzung der Frauen. Der Frauentag war aber zugleich auch ein Mutter-, Valentins- und Lehrerinnentag.

"Wir haben damals am 8. März Karten für die Mütter und Lehrerinnen gebastelt. Es gab immer eine Schulaufführung zu Ehren der Frauen", erinnert sich auch Marija Rakić an die Festivitäten. Sie kommt ursprünglich aus Serbien, lebt und arbeitet nun als Büroangestellte in Wien. Doch diese Zeit ist längst vorbei. "Heute rufe ich meine Mutter zum Weltfrauentag an, um ihr den Code für die Western Union Transaktion durchzusagen, damit sie sich das Geld mit meiner Schwester teilen und sich was gönnen kann", sagt Rakić.

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Blumenstrauß statt Gehaltszettel

In den ländlichen Regionen des Balkans wurde der Weltfrauentag stillschweigend zur Kenntnis genommen. Über das Thema "Rechte der Frauen" wurde dort aber kaum gesprochen. "Meine Mutter und ich haben am Weltfrauentag Blumen und Pralinen von meinem Vater und meinen Brüdern erhalten. Aber arbeiten gehen durften die Frauen aus unserem Dorf in den 70er-Jahren nicht," sagt Fahra Salihović. 

Sie wuchs in einer patriarchalen Familie in Bosnien und Herzegowina auf und schloss ihre schulische Laufbahn mit der Matura ab. Dass Bildung und finanzielle Abhängigkeit Hand in Hand gehen, war den Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien wohl bewusst. Während 1946 die Analphabetenrate beim weiblichen Geschlecht rund 29 Prozent betrug, liegt sie nun in jedem ex-jugoslawischen Land (mit Ausnahme des Kosovo) unter fünf Prozent.

Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates sahen sich Frauen mit Problemen der Gleichberechtigung in Sachen Arbeit und Lohn konfrontiert. Auch fehlte es an der weiblichen Beteiligung in führenden Positionen in der Politik. In den letzten Jahren gab es positive Veränderungen. Kolinda Grabar-Kitarović wurde 2015 als erste Präsidentin Kroatiens gewählt. 2017 erhielt Serbien mit Ana Brnabić die erste Regierungschefin und die bosnischstämmige Dunja Mijatović wurde als erste Frau zur Menschenrechtsbeauftragen des Europarats gewählt. Zwar ist der Europarat keine Institution des Balkans, dennoch gilt Mijatović für die Frauen aus der Region als Vorbild.

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Romantisierung eines Feiertags

"Als Kind habe ich meiner Mutter am Weltfrauentag Blumen mit nach Hause gebracht. Sie sagte dann immer, dass ich ihr auch am nächsten Tag einen Strauß mitbringen soll. Erst später habe ich ihre Worte verstanden", so Merdzan, die während des Krieges gegen Bosnien und Herzegowina nach Österreich flüchtete, wo sie ihr Diplom nostrifizierte und die Tätigkeit als Sozialarbeiterin fortsetzte.

Die Überhäufung mit Blumen scheint eine Art Entschädigung für die Frauen zu sein, die nach wie vor für Gleichberechtigung kämpfen. Seit ihrer Flucht hat der Weltfrauentag für Merdzan eine neue Dimension angenommen. "Sowohl in Bosnien als auch in Österreich haben Frauen in besonders schweren Zeiten Ausdauer und Stärke bewiesen", betont Merdzan. "Ich komme aus einem Land, in dem sexuelle Gewalt an Frauen als Kriegswaffe eingesetzt wurde", sagt Merdzan. Während des Krieges von 1992 bis 1995 wurden unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 50.000 Frauen vergewaltigt. Einige dieser Frauen leben nun in Österreich. Merdzan macht sich vermehrt für die Rechte dieser geflüchteten Frauen stark.