APA - Austria Presse Agentur

Theatermacher Claus Peymann wird 85

Claus Peymann hat das Meckern nicht verlernt. Der Theatermacher, der am Dienstag 85 Jahre wird, hat viele Bühnen geprägt. Im Gespräch mit der dpa unterstreicht er zunächst, dass er gerne außerhalb von Berlin-Mitte wohne, wo es derzeit überchic oder aber unfreundlich, ungemütlich und etwas rau sei.

Frage: Wie meinen Sie das?

Peymann: Machen die Nachwirkungen dieser schrecklichen Pandemie und der Krieg die Menschen ungeduldig, ängstlich und aggressiv? Nach der Seuche kommt nun die Kriegsangst und -lust. Der Reiz des Krieges? Es ist etwas ganz Furchtbares, dass eine Partei wie die Grünen, die immer ganz friedlich wirkt, mit der größten Selbstverständlichkeit von schweren Waffen, leichten Waffen, 100.000 Schuss Munition, 70 Panzern redet. Die Gesellschaft ist mit einem Schlag militarisiert. Das empfinde ich als gefährlich, vielleicht, weil ich aus anderen Zeiten komme. Ich habe Erinnerungen an den Krieg und die verfolgen mich bis heute. Und das fängt bei der Sprache an... Jetzt, wo wir mehr denn je aufpassen müssten, dass nicht wieder etwas Schlimmes passiert in Europa, spürt man diesen hilflosen Militarismus. Und da fragt man sich: Welche Rolle spielen in dieser veränderten Welt die Künste? Welche Rolle spielt das Theater, wie ich es erlebt habe, etwa mit der "Publikumsbeschimpfung" von Peter Handke? Das Theater war Thema, für alle. Heute ist es das nicht mehr.

Frage: Und woran liegt das?

Peymann: Ja, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber manchmal denke ich, in der tiefsten Melancholie, vielleicht ist das Theater tatsächlich tot? Zu sehr ins Aus gerückt, aus eigener Schuld - und, so simpel das klingt: "... und die Verhältnisse - die sind nicht so!", hat Brecht mal gesagt. Und der Fußball, die Fußballgötter sind die eigentlichen Künstler geworden. Die haben das Herz der Massen. Früher war das griechische, antike Theater gefüllt wie ein fettes Fußballstadion. Der Fußball, den ich selber liebe - vor allem Werder Bremen und Union Berlin, da lasse ich ja kein Spiel aus - liefert mit einem Torwart wie zuletzt im Spiel Liverpool gegen Madrid vielleicht den Hamlet unserer Zeit.

Frage: Interessante These.

Peymann: Vielleicht klingt das resigniert, aber es ist doch wahr: Das Theater ist aus den Feuilletons fast verschwunden. Früher hat das Theater die Titelseiten der Zeitungen gefüllt. Es gab Schlagzeilen zu Aufführungen von Peter Stein, Peter Zadek, Ruth Berghaus, Einar Schleef und auch von mir. Verrückt-gewordene Schauspieler, Eskapaden, Skandale, aber vor allem: prägende, erhellende Aufführungen - das war Tagesgespräch! Heute sind wir eine Kuriosität, arme, einsame Spinner. Aber in mir finden Sie einen, der unerschütterlich an das Theater glaubt. An das, was es sein kann für die Menschen: der Traum eines besseren Lebens.

Frage: Gibt es denn, auch wenn Sie viel zu meckern haben am Theater, eine Inszenierung, die Sie zuletzt beeindruckt hat?

Peymann: Gottseidank! Immer wieder. Ich renne doch wie verrückt ins Theater und finde immer etwas Schönes. Jetzt war das Theatertreffen in Berlin, und es war ziemlich unerheblich. Und trotzdem bin ich immer wieder hingegangen und immer wieder entdecke ich plötzlich etwas, einen Raum, ein Licht, eine Schauspielerin oder einen Schauspieler, höre einen Satz, der nachklingt. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, und das macht ja vielleicht auch meine Lächerlichkeit aus. Dass alle sagen: "Ach Mensch, der glaubt immer noch an das Pferdegespann, wo wir doch alle längst Mercedes fahren."

(Das Gespräch führte Julia Kilian/dpa)