Britney Spears performs at the 2007 MTV Video Music Awards in Las Vegas in this September 9, 2007 file photo. Spears was removed from her home by Los Angeles police and rushed to a hospital early on January 31, 2008, the Los Angeles Times reported. REUTERS/Robert Galbraith/Files (UNITED STATES)

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Warum du nicht alles glauben solltest, was du über #FreeBritney liest

Auf Instagram kursiert ein virales Posting, das Theorien über die Vormundschaft von Britney Spears als Fakten präsentiert. Warum das gefährlich ist.

Vor wenigen Tagen teilten mehrere Instagram-Accounts mit FollowerInnen im Millionenbereich ein umfangreiches Posting, in dem die rechtliche Situation von Pop-Prinzessin Britney Spears thematisiert wird. Es sei ein sogenanntes Public Service Announcement, also eine öffentliche Verlautbarung für alle jene, die mehr Informationen über #FreeBritney wollen oder benötigen – eine Initiative, deren Ziel es ist, Britney von der Vormundschaft ihres Vaters zu befreien, der sie seit 2008 unterliegt.

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Die Postings gingen schnell viral und verschafften der #FreeBritney-Bewegung größere Aufmerksamkeit denn je. Erstmals wurde die Vormundschaft 2019 medial diskutiert, nachdem Britneys Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt bekannt wurde – offiziell hatte sie sich selber eingecheckt, Gerüchten zufolge wurde sie jedoch gegen ihren Willen festgehalten.

Seither war der große Medienrummel wieder verpufft. Die ausführlichen Postings, die nun von großen Accounts wie @diet_prada oder @sainthoax geteilt wurden, machten #FreeBritney plötzlich wieder zum Gespräch, nur wenige Tage vor einer erneuten Anhörung, die für den 22. Juli angesetzt ist. Und während das momentan hohe Interesse für die Lage, in der Britney sich befindet, sicherlich gut gemeint ist, lohnt es sich, die Inhalte der selbsternannten "Public Service Announcements" zu hinterfragen.

"Zuerst ein bisschen Hintergrundgeschichte", lauten die ersten Zeilen des Postings. "Britney war ein Kinderstar, der mit vier Jahren am Broadway angefangen hat." Dass Britney Spears nicht vier, sondern zehn Jahre alt war, als sie ihr erstes Engagement in der Produktion "Ruthless!" erhielt, nicht am Broadway, sondern Off-Broadway, lässt sich einfach recherchieren.

Weiter beteuert der Autor oder die Autorin, Britney habe im Laufe ihrer Karriere immer wieder versucht, die Öffentlichkeit über ihre missliche Lage in Kenntnis zu setzen – mithilfe ihrer Songtexte. Beispiele dafür seien die Songs "Lucky", "Overprotected", "My Prerogative", "Circus", "Gimme More" und "Piece of Me". Versteht uns nicht falsch: Britney Spears ist zweifellos eine talentierte Songwriterin, "Everytime" etwa stammt aus ihrer Feder – an der Entstehung genannter Songs war Britney allerdings nicht beteiligt. Ein Blick in die offiziellen Credits reicht aus, um das in Erfahrung zu bringen.

Britney Spears: "Keine Sorge, ich bin bald zurück"

APA - Austria Presse Agentur

Als nächstes behauptet das Posting, Britneys Label habe sie am Anfang ihrer Karriere dazu gezwungen, ihre Stimme zu verstellen, um den markanten "Baby"-Klang zu erzeugen, für den man sie heute kennt. Ihre "wahre" Stimme sei nämlich der von Kollegin Christina Aguilera sehr ähnlich – man habe damit vermeiden wollen, dass die beiden Newcomerinnen einander in die Quere kommen. Die Technik habe Britneys Stimme über die Jahre jedoch dauerhaft geschädigt, was wiederum dazu führte, dass sie inzwischen nicht mehr live singen kann. Würde sie es dennoch versuchen, würde sie entweder an ihren geschädigten Stimmbändern scheitern, oder dabei ihre "wahre" Stimme enthüllen, so heißt es – deshalb sei es Britney bis heute nicht erlaubt, live zu singen.

Ja, Britney Spears Singstimme klang in jungen Jahren deutlich tiefer, als man es heute von ihr kennt, und die charakteristische Britney-Stimme ist im Laufe der Zeit zu ihrem Markenzeichen geworden – wer allerdings behauptet, man habe von Anfang an versucht, Britneys "wahre" Stimme zu verstecken, hat ihr Debütalbum nie gehört und sich darüber hinaus nicht mit ihrer musikalischen Laufbahn auseinandergesetzt. Dass sie auch am Anfang ihrer Karriere nicht immer live gesungen hat, dass sie auch 2007 während ihrer selbstorganisierten "M+Ms'"-Tour auf Playback zurückgriff, obwohl sie niemand davon abgehalten hätte, live zu singen, dass sie in den letzten Jahren immer wieder mit spontanen Live-Gesangseinlagen überraschte, zu denen sie laut dem Posting nicht mehr in der Lage sein dürfte – all das sind leicht nachweisbare Tatsachen.

Ein Album namens "Original Doll" sei für 2006 geplant gewesen, heißt es weiter, ihr Label habe die Veröffentlichung jedoch gestoppt, als klar wurde, dass Britney darauf in ihrer vermeintlich "wahren" Stimme singen wollte. Dagegen spricht, dass der Song "Mona Lisa", der aus den Aufnahme-Sessions für besagtes Album stammt, später regulär und höchstoffiziell auf der EP "Chaotic" veröffentlicht wurde. Britney selbst hatte "Original Doll" in einem Radio-Interview außerdem für 2005, nicht für 2006 angekündigt.

Man könnte an dieser Stelle munter so weitermachen und besagtes Posting in all seine unwahren, reißerischen Einzelteile zerlegen – unterm Strich ist es natürlich egal, in welchem Jahr ein verworfenes Britney-Album erschienen wäre und an welchen Songs sie mitgeschrieben hat. Die Sache ist nur die: Wie viel Gewicht wollen wir einem Posting beimessen, dessen VerfasserIn nicht mal die Jahreszahlen richtig hinbekommt?

Seit nunmehr über zwölf Jahren steht Britney Spears, eine 38-jährige Frau, unter Vormundschaft ihres Vaters. In dieser Zeit hat sie vier Studioalben aufgenommen, veröffentlicht und promotet, war Jurymitglied der Castingshow "The X Factor", ging auf mehrere Welttourneen und war der Star ihrer eigenen Show in Las Vegas, die vier Jahre lang andauerte. Dennoch darf sie bis heute nicht selbst über ihre medizinischen, geschäftlichen und finanziellen Angelegenheiten entscheiden. Diese Situation ist besorgniserregend und erfordert eine Überprüfung – genau aus diesem Grund wurde die #FreeBritney-Bewegung auch ins Leben gerufen.

Ein virales Posting, in dem Spekulationen, Fan Fiction und leicht widerlegbare Unwahrheiten einem Millionenpublikum als Tatsachen präsentiert werden, ist dabei jedoch eher schädlich als hilfreich, weil es die #FreeBritney-Bewegung zur irren Verschwörungstheorie degradiert und ihr jegliche Ernsthaftigkeit abspricht.