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Erbkrankheiten sind keine Frage der Schuld

Dass Krankheiten erblich bedingt sein können, weiß man im Idealfall aus der Schule. Aber welche das tatsächlich sind und wie man am besten damit umgeht, ist weitaus weniger bekannt. "Erbkrankheit heißt, dass es eine Veränderung in unserem Erbgut gibt, eine Mutation", erklärt Prof. André Fischer vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen.

Diese führe zu einer Fehlfunktion in den Zellen. Prof. Andreas Fritsche spricht statt von Erbkrankheiten lieber von Veranlagung. "Eine ererbte Krankheit wird häufig mit Schuld assoziiert, dabei hat das damit überhaupt nichts zu tun", so der Spezialist.

In der Medizin unterscheidet man zwischen monogenen Erkrankungen, bei denen nur ein Gen verändert ist, und komplexen genetischen Erkrankungen. Bei ersterem erkrankt der Betroffene mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Anders ist es bei komplexen genetischen Erkrankungen: "Hier hat jedes einzelne Gen nur einen geringen Risikoeinfluss, wie sie zusammenspielen, ist noch Gegenstand der Forschung", erläutert Prof. Peter Lichter, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik am Deutschen Krebsforschungszentrum. Die meisten Volkskrankheiten wie Alzheimer, Diabetes, Krebs oder Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems fielen in diese Kategorie.

Meist sind ohnehin nicht nur die Gene Auslöser einer Krankheit, vielmehr spielen auch Umwelteinflüsse und die Lebensführung eine wichtige Rolle. Beispiel Alzheimer-Demenz: Die gibt es als ererbte Form. Fischer vergleicht das Erbgut mit einer Bibliothek, während verschiedene Bücher und Kapitel den Genen entsprechen. Jede Zelle muss wissen, welches Buch und welches Kapitel sie aufschlagen muss, damit sie funktioniert.

In manchen Fällen von Alzheimer-Demenz ist ein solches Buch kaputt, das Gen mutiert. Dann kommt es unausweichlich zu einer Alzheimer-Demenz. "Die setzt relativ früh ein, meist mit 40 Jahren", sagt Fischer. Allerdings ist diese Form sehr selten. "Wenn Vater oder Mutter daran erkrankt sind, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass die nachfolgende Generation es erbt", erklärt Fischer. Dann wäre ein Gentest angebracht, um Sicherheit zu haben.

Bei den anderen 99,9 Prozent, die diesen Gen-Defekt nicht haben, verläuft die Krankheit genauso, sie beginnt nur später. Sie haben ebenfalls bestimmte Veränderungen im Erbgut, die ein gewisses Risiko darstellen, aber alleine noch nicht zwingend dazu führen, dass es zum Ausbruch der Krankheit kommt.

Es muss der "second hit" dazukommen, also weitere Faktoren, die in der Regel umweltbedingt sind - etwa Übergewicht, Diabetes oder ein hoher Cholesterinspiegel. "Es gibt also nicht einen Auslöser, sondern ganz viele", stellt Fischer klar.

Krebs ist in etwa fünf Prozent der Fälle erblich, wie Lichter darlegt. Tritt etwa Brustkrebs in zwei aufeinanderfolgenden Generationen auf, also bei Mutter und Tochter, besteht ein hohes familiäres Risiko. Erkrankt jemand sehr früh, etwa mit Ende 20, ist das ein weiteres Indiz. "Dann ist es für die Verwandten wichtig, in die genetische Beratung zu gehen", empfiehlt Lichter. Dagegen besteht im Allgemeinen kein Zusammenhang zwischen dem Prostatakrebs des Vaters und dem Brustkrebs der Tochter.

Fritsche zufolge weiß man von ungefähr 300 genetischen Veränderungen, die Diabetes Typ 2 bedingen: "Die erklären aber nur maximal ein Fünftel der Krankheit." Diabetes vom Typ 2 kommt häufiger vor, 95 Prozent aller Diabetes-Patienten sind davon betroffen, wie Fritsche ausführt. "Wenn Mutter oder Vater erkrankt sind, haben die Hälfte aller Kinder Diabetes."

Sind Verwandte ersten Grades, also Vater, Mutter, Geschwister betroffen, sollte man regelmäßig zum Arzt gehen, weil ein hohes Risiko besteht, warnt Fritsche. Allerdings ist es auch hier ein Zusammenspiel aus Genetik, Lebensstil und Umwelt. Wenig Bewegung oder ungesunde Ernährung beschleunigen den Krankheitsverlauf. Diabetes Typ 1 dagegen tritt meistens in Familien auf, in denen sonst keiner Diabetes hat, die Erblichkeit ist hier sehr viel geringer.

Was also sollte man tun, wenn man genetisch vorbelastet ist? "Man kann das genetische Risiko testen", sagt Fischer. Besteht eine familiäre Vorbelastung, werden die Kosten von den Krankenkassen übernommen. Aber selbst, wenn das Risiko besteht, heißt das nicht, dass man beispielsweise wirklich Alzheimer bekommt. Dennoch könnten Betroffene es als Anreiz sehen, etwas zu tun. "Auf keinen Fall in Panik geraten", mahnt Fischer.

Denn ein solcher Test hat eine psychologische Komponente, wie die Ärzte betonen. "Manche sagen, sie wollen es nicht wissen, weil man nichts tun kann", hat Fischer festgestellt. Das stimme jedoch nicht. Häufig scheiterten die Therapien, weil sie zu spät begonnen wurden.

Sollte sich bei der genetischen Beratung ein Risiko herausstellen, würde man im Fall von Brustkrebs ein enges Monitoring anschieben, also eng getaktete bildgebende Untersuchungen, erklärt Lichter. "Denn je früher die Diagnose, desto größer die Heilungschancen." Wenn man von keiner Familiengeschichte wisse, reiche die normale Vorsorge völlig. Auch Fritsche warnt vor Aktionismus: "Eine genetische Analyse macht als allgemeine Maßnahme keinen Sinn."

Krebs ist in etwa fünf Prozent der Fälle erblich

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Das genetische Risiko kann man testen

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