APA - Austria Presse Agentur

Waldorf-Pädagogik ist "Mehr als nur seinen Namen tanzen"

Es wird ständig gestrickt und danach tanzen die Schüler ihre Namen - Klischees über Waldorfschulen gibt es viele. Dennoch verbuchen sie 100 Jahre nach Gründung der ersten Einrichtung großen Zulauf.

Das Schulorchester trat auf, ehemalige Schüler berichteten auf einer Podiumsdiskussion über ihre Erfahrungen, und auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann schaut vorbei: Am 7. September feierte die nach eigenen Angaben weltweit älteste Waldorfschule, die Freie Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart, ihr hundertjähriges Bestehen. Hier nahm eine weltweite, pädagogische Bewegung ihren Anfang, mit der bis heute viele Klischees verbunden werden.

Ihre Namen haben die Waldorfschulen in Deutschland von der ehemaligen Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart. Der Fabrikant Emil Molt wollte den Kindern seiner Arbeiter gute Schulbildung ermöglichen und gründete 1919 die erste Waldorfschule unter Leitung des umstrittenen Österreichers Rudolf Steiner (1861-1925). Steiners Lehre steht für die Orientierung des Menschen auf seine eigenen Stärken und ist bis heute maßgebend für die Waldorf-Pädagogik.

Der Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen, Henning Kullak-Ublick, sagt: "Rudolf Steiner hat keine Rezepte geliefert, wie man etwas machen soll." Eine dogmatische Auslegung widerspreche sogar dem Anspruch der Waldorfschule - denn Ausgangspunkt seien immer die einzelnen Kinder und die Zeit, in der sie lebten. 100 Jahre nach der Gründung besuchen seinen Angaben nach etwa 88 000 Schüler die 245 Freien Waldorfschulen in Deutschland - weltweit gibt es rund 1.150.

Der Schulforscher Till-Sebastian Idel von der Universität Bremen sagt: "Sie sind sehr unterschiedlich, man muss unterscheiden zwischen Waldorfpädagogik und der bestimmten Waldorfschule. Sicherlich findet man auch Schulen, die eher orthodox sind. Ich würde aber sagen, dass das nur wenige sind, die meisten Waldorfschulen gehen mit der Zeit."

Heiner Barz, Professor für Erziehungswissenschaften und Autor von Waldorf-Studien, sieht Waldorf als Gegenmodell zu einem Schulsystem, das zunehmend auf Leistung und Drill aus ist. "Ich beobachte eine Verschärfung des Leistungsklimas, es gibt immer mehr Tests." Viele Eltern schauten sich deshalb nach einer Alternative um. "Nicht Dressur, Training und Auswendiglernen ist ihnen wichtig, sondern dass die Begabungen und Talente des Kindes individuell gefördert werden."

Im Stundenplan können dabei auch Stricken, Gartenbau und Korbflechten stehen. "Der Ausgangspunkt ist immer: Selber tun, eigene Erfahrungen machen, um sie dann zu gestalten und denkend zu verarbeiten", fasst es Kullak-Ublick zusammen. Die klassischen Fächer wie Mathe, Deutsch oder Geografie unterrichtet bis zur achten Klasse in der Regel ein einziger Lehrer. Es gibt kein Sitzenbleiben und keine Noten - außer bei den staatlichen Abschlussprüfungen.

Schulforscher Idel sagt, anti-autoritär gehe es an den Schulen nicht zu. "Gerade in den ersten Schuljahren beanspruchen die Klassenlehrer, eine richtunggebende Autorität für die Kinder zu sein." Die ursprüngliche Idee, eine Schule für alle Schichten zu sein, gerade auch für Arbeiterkinder, hat sich nach seinen Beobachtungen aber nicht erfüllt." Die Schüler kommen - wie an anderen Privatschulen auch - zu einem großen Teil aus der akademischen Mittelschicht.

Kullak-Ublick vom Bund der Freien Waldorfschulen räumt ein: "Uns gefällt das selbst nicht, weil unser Anspruch ist: Wir sind für alle Kinder da." Man könne zwar in sozial schwierigen Stadtteilen Schulen gründen. Das sei aber nicht so einfach - weil die Eltern aufgrund der Gesetzeslage zur Finanzierung der jeweiligen Schule beitragen müssten. Grob gesagt beläuft sich der Beitrag der Eltern nach den Worten von Kullak-Ublick im Durchschnitt auf rund 200 Euro pro Monat, wobei die Summen im Einzelfall erheblich davon abweichen können.