APA - Austria Presse Agentur

Wie die "Wiederholung" der Coronakrise die Psyche belastet

Nach einer Besserung im Sommer spitzt sich die Corona-Situation nun wieder zu. Ein bisschen fühlt es sich wie ein Déjà-vu des Frühjahrs 2020 an. Was macht das mit unserer Psyche?

Beschränkungen wurden gelockert, die Fallzahlen sanken: Im Sommer schien das Schreckgespenst Corona an Bedrohlichkeit zu verlieren. Doch es war nie weg, das wird nun deutlich. Für die Psyche ist so ein Hin und Her belastend, sagt die Psychotherapeutin und Autorin Mirriam Prieß.

Im Interview erklärt die Expertin, warum die kürzer werdenden Tage das nun noch verschlimmern und wie man es schafft, mit der Situation bestmöglich umzugehen.

Frage: Frau Prieß, steigende Fallzahlen und mehr Einschränkungen: Die Corona-Krise spitzt sich wieder zu. Was macht das mit unserer Psyche?

Mirriam Prieß: Für die Psyche ist jedes Auf und Ab und jedes Hin und Her ein Problem. Je häufiger das stattfindet, umso belasteter ist die Psyche.

Für dich ausgesucht

Frage: Verstärkt die Tatsache, dass die Krise nun in den Herbst und Winter geht, die Probleme? Machen Corona-Folgen in dieser Jahreszeit mehr Menschen mental zu schaffen als im Frühjahr?

Prieß: Es sind sicherlich mehrere Aspekte, die eine Rolle spielen. Auf der einen Seite haben wir die Krise schon einmal durchlebt - verbunden mit der Hoffnung, dass sie vorbei und durchschritten ist. Jetzt kommt eine Wiederholung und das ist immer sehr belastend. Hinzu kommt: Wenn die Tage kürzer und dunkler werden, wirkt sich das bei vielen Menschen im Negativen auf die Stimmung aus. Erneut mit den Beschränkungen und den Bedrohungen konfrontiert zu werden, in einer dunklen Jahreszeit: Diese Kombination ist eine hohe Belastung.

Frage: Wie merkt man, ob einem die Krise psychisch mehr zu schaffen macht, als es gut ist?

Prieß: Betroffene bemerken an unterschiedlichen Symptomen, dass die eigene Belastungsgrenze überschritten ist. Auf der Verhaltensebene finden sozialer Rückzug und Isolation statt. Auf der emotionalen Ebene beginnen eine innere Unruhe, Angst und Anspannung – daraus kann sich eine Panik entwickeln. Je länger die Belastung anhält, entwickelt sich daraus eine emotionale Ausgelaugtheit, depressive Erschöpfung und Resignation, die eine Bewältigung der Situation zunehmend erschwert. Auf der gedanklichen Ebene ist Grübeln ein typisches Stresssymptom.

Auf der Körperebene funktioniert das Immunsystem nicht mehr so gut wie gewohnt. Rückenschmerzen, Magenprobleme, Kreislaufschwäche, Tinnitus, Allergieschübe: Je nachdem, wo Betroffene körperliche Schwachstellen haben, macht sich die Belastungssituation bemerkbar.

Frage: Welche Strategien helfen, um mental auf der Höhe zu bleiben und es nicht so weit kommen zu lassen?

Prieß: Resilienz, die innere, psychische Widerstandsfähigkeit, entsteht durch eine innere und äußere Dialogfähigkeit. Jeder kann Stress dadurch reduzieren, indem er mit sich selbst im Dialog bleibt. Das heißt: aktiv darauf achtet, wie es ihm geht, auf Störungen rechtzeitig reagiert und bei körperlichen Symptomen rechtzeitig einen Arzt konsultiert. Wichtig ist ebenfalls, im Dialog über die eigene Belastung zu bleiben: innerhalb der Familie oder im Freundeskreis. Wenn man spürt, dass damit keine Entlastung entsteht, sollte man sich auch fachliche therapeutische Hilfe suchen.

Ein zentraler Punkt ist, die Beziehung zu sich selbst zu stärken und sich jeden Tag etwas Zeit nehmen, in der man zur Ruhe kommt und sich fragt, ob man in dieser angespannten Situation auch genug auf seine Kosten kommt und was man konkret tun könnte, um sich zu entlasten und sich etwas Gutes zu tun.

Frage: Wie kriegt man das Schreckgespenst Corona im Alltag aus dem Kopf? Lässt es sich ausblenden?

Prieß: Ich kann verstehen, was Sie mit Ausblenden meinen. Aber in dem Moment, wo Sie etwas ausblenden wollen, blendet es sich die ganze Zeit bei Ihnen ein. Dagegen angehen macht die Situation schlimmer und endet in der Erschöpfung. Es gilt, der Krise auf Augenhöhe gegenüberzutreten und realistisch zu bleiben. Je mehr ich mich in den Emotionen verliere, umso unkontrollierbarer wird die Situation.

Die Corona-Krise rührt bei Menschen immer auch an unbewussten Ängsten und unbewältigten Krisen. So hat mir eine Frau erzählt, dass der Lockdown sie an ihre Scheidung erinnert habe. Da habe sie von heute auf Morgen völlig alleine dagestanden. Das heißt: Wir werden mit alten, nicht verarbeiteten Gefühlen aus früheren Ohnmachts- und Krisensituationen konfrontiert, die aber mit der jetzigen Situation nichts zu tun haben. Sich darüber bewusst zu sein und darauf aktiv zu reagieren, ist ein ganz zentraler Punkt.

ZUR PERSON: Dr. Mirriam Prieß ist Ärztin und Psychotherapeutin. Sie hat mehrere Bücher geschrieben und berät Firmen unter anderem im Bereich Gesundheitsmanagement und Prävention von Burnout.

Grübeln ist ein typischen Stresssymptom bei schweren  Belastungen
GELTENDORF - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA (dpa/gms/Hildenbrand)/Karl-Josef Hildenbrand

APA - Austria Presse Agentur