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Rekorde an der Börse: Anleger haben Angst vor Dotcom-Blase 2.0

Aktien von Technologieunternehmen eilen von Rekord zu Rekord. Doch die Verluste der Unternehmen nähren die Furcht vor Blasenbildung.

Die Wall Street eilt von Rekord zu Rekord, doch bei einigen Anlegern will keine rechte Feierlaune aufkommen. Kopfschmerzen bereitet ihnen, dass die Rally der vergangenen Jahre von einigen wenigen Technologiewerten getragen wurde. Sie ziehen sich daher aus den Aktien von Amazon, Facebook & Co zurück, weil sie bei diesen Titeln größere Kursrückschläge befürchten.

„Die meisten Anleger werden sehr überrascht sein, wenn sie bei einer Änderung der Rahmenbedingungen entdecken, welche Risiken in ihren Portfolios schlummern“, sagt Damien Bisserier, Partner beim Vermögensberater Advanced Research Investment.

Ähnlich wie beim Dax stiegen die Kurse an der Wall Street 2019 so stark wie seit Jahren nicht - beim Dow-Jones-Index betrug der Zuwachs 22 Prozent, beim deutschen Leitindex war es sogar noch ein wenig mehr. Bei den 500 im US-Index S&P 500 gelisteten Firmen gingen Berechnungen des Index-Anbieters S&P Dow Jones zufolge 20 Prozent der Gesamt-Rendite - Kursgewinne plus Ausschüttungen - allerdings auf das Konto von gerade einmal vier Werten: Amazon, Apple, Facebook und Microsoft.

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Apple mit größtem Jahresgewinn

Mit einem Kursanstieg von gut 86 Prozent im Jahr 2019 stach Apple heraus. Das war für den iPhone-Anbieter der größte Jahresgewinn seit zehn Jahren. Aktuell ist der US-Konzern an der Börse knapp 1,4 Billionen Dollar wert. Beim weltgrößten Software-Hersteller Microsoft ging es um 55 Prozent bergauf, derzeit beträgt der Marktwert 1,25 Billionen Dollar. Zum Vergleich: Die deutsche SAP kam 2019 auf einen Kurs-Zuwachs von rund 38 Prozent und derzeit auf eine Bewertung von knapp 150 Milliarden Euro.

Aktuell übertrifft der Kurs von US-Technologiewerten den Gewinn je Aktie um das 21,5-fache. Für sämtliche Titel im S&P 500 liegt das sogenannte Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) derzeit bei 18,3 und damit knapp über dem im Dax. Das liegt deutlich über dem langjährigen KGV-Durchschnitt bei beiden Indizes von etwa 15. Keinem der beiden trauen Analysten vorerst weitere größere Sprünge zu.

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Katerstimmung

Sven Henrich, Gründer des Vermögensberaters NorthmanTrader sieht bereits „Die Geister von 2000“ wieder aufziehen: dem anfänglichen Hype um Internet-Unternehmen folgte kurz nach der Jahrtausendwende Katerstimmung. Angeführt von den Technologie-Werten gingen die Aktienkurse weltweit bis etwa 2003 zurück.

Eine „Mitschuld“ an der aktuellen Rally trägt die US-Notenbank Fed mit ihrer ultra-lockeren Geldpolitik und den billionenschweren Geldspritzen. Nach der Finanzkrise 2008 kaufte die Fed in großem Stil Anleihen auf, um die Zinsen niedrig zu halten und die Konjunktur anzukurbeln. Weil diese seither kaum noch Gewinne abwerfen, wird Geld verstärkt in Aktien angelegt. Das treibt die Wall Street von Rekordhoch zu Rekordhoch. In Deutschland ist das ähnlich.

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Die Rolle der Notenbanken

Die Fed ist sich des Problems bewusst, sagt der US-Notenbanker Robert Kaplan. Er plädiert deshalb für ein behutsames weiteres Vorgehen, um Spekulationsblasen zu verhindern. Auf dem europäischen Kontinent ist die Lage für die Europäische Zentralbank (EZB) komplizierter, weil sich die Wirtschaft nicht so stark wie in den USA entwickelt.

Neil Campling, Chef-Analyst für Technologie-, Medien- und Telekom-Werte beim Vermögensverwalter Mirabaud weist zudem darauf hin, dass derzeit etwa 30 Prozent aller Firmen aus dem Bereich Verluste schreiben. Dies sei die höchste Quote seit den 1990er Jahren, abgesehen von Zeiten unmittelbar nach einer Rezession. Symbolhaft stehe hierfür Tesla. „Der Elektroauto-Bauer ist an der Börse mehr wert als General Motors und Ford zusammen, bei gerade einmal vier Quartalen mit Gewinnen in der zwölfjährigen Unternehmensgeschichte.“ Selbst der weltgrößte Pkw-Bauer Volkswagen liegt mit einem Börsenwert von umgerechnet 101 Milliarden Dollar nur etwas höher als Tesla, dabei baut VW drastisch mehr Autos. Das US-Unternehmen gilt aber als weltweit führend in Fahrzeug-Elektronik und Batterietechnik.

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Spannungen sorgen für Verunsicherung

Potenzielle Auslöser für einen Ausverkauf am Aktienmarkt gibt es Börsianern zufolge reichlich. Erst jüngst gab es darauf einen Vorgeschmack, als der Konflikt USA/Iran unerwartet eskalierte. Die Aktienkurse weltweit sackten daraufhin ab, weil die Gefahr eines Kriegs in der Golfregion im Raum stand. Inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt. Handelskonflikte, andere geopolitische Spannungen, der Brexit oder die US-Präsidentschaftswahl Ende 2020 bleiben aber potenzielle Stör-Faktoren. Kevin Dennean, Analyst der Vermögensverwaltung der Bank UBS, rät daher seit Monaten dazu, das Engagement in Technologiewerte zu reduzieren.

Zwar kletterten die Kurse weiter. Dennoch halte er an seiner Einschätzung fest. „Die Bewertungen waren damals schon hoch und sind jetzt noch viel höher.“ Und klar ist auch: brechen die Kurse am US-Aktienmarkt ein, sacken auch die Märkte in Europa inklusive Deutschland weg. Zu sehr sind Investoren inzwischen grenzüberschreitend unterwegs und Märkte miteinander verwoben, als dass eine Region sich von der Entwicklung in einer anderen abkoppeln könnte.

Finanzmarkt-Experte Bisserier von Advanced Research Investment blickt deswegen auch über den Tellerrand hinaus. Um sich von Kursschwankungen am Aktienmarkt unabhängiger zu machen, investiert sein Unternehmen verstärkt etwa in Fonds, die ihr Geld mit Lizenzgebühren für Medikamente machen.

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