Das Coronavirus bzw. die Maßnahmen gegen die Verbreitung fegen die Straßen Wiens leer

Kurier / Gerhard Deutsch

Simulationsforscher: "Wir werden nicht an Corona zugrunde gehen"

Niki Popper von der TU Wien erklärt im Interview, wie Corona-Simulationen funktionieren und wo ihre Grenzen liegen.
David Kotrba David Kotrba

In den vergangenen Wochen konnte die TU Wien relativ stichhaltige Aussagen dazu machen, wie sich das Coronavirus in Österreich ausbreitet und wie effektiv die Schutzmaßnahmen der Bundesregierung sind. Zu verdanken ist das einem komplexen Simulationsmodell. Niki Popper vom Institut für Information Systems Engineering ist einer der Entwickler dieses Modells. Wir haben den Informatiker interviewt, um mehr über das Entstehen von Pandemie-Prognosen herauszufinden.

futurezone: Sie arbeiten schon seit vielen Jahren daran, den Verlauf von Krankheiten vorherzusagen. Wie kam es dazu?
Niki Popper: Wir haben vor 15 Jahren damit begonnen, uns mit der Frage zu beschäftigen, wie man das Gesundheitssystem simulieren kann. Sehr bald ist es dabei auch darum gegangen, wie sich Krankheiten ausbreiten. Das kann man mit Agenten, also digitalen Zwillingen von Personen, sehr gut machen. Wir haben damit etwa die Pneumokokken-Impfung evaluiert und Modelle zur Ausbreitung von Influenza gebaut. Herausgekommen ist dann die Forschungsplattform dexhelpp. Der Name steht für Decision Support for Health Policy and Planning.

Was macht diese Forschungsplattform?
Sie versucht, vernünftige Datenprozesse zu etablieren, schlaue Modelle und Visualisierungen, um zu verstehen, was im Gesundheitssystem passiert und daraus möglichst gute Planungsschritte zu entwickeln. Dabei wird interdisziplinär gearbeitet. Wir sind mit unserem Unternehmen dwh [von Popper mitbegründetes Datenanalyse-Spin-Off der TU Wien] daran beteiligt.

Wie schwierig ist es, ein Modell für die Ausbreitung des Coronavirus zu konstruieren?
Das ist relativ einfach. Wir ziehen ein Bevölkerungsmodell der Menschen in Österreich heran. Dazu gibt es verschiedene Module, wo wir etwa aktuelle sonstige Erkrankungen einfließen lassen oder die medizinische Infrastruktur. Auch die Möglichkeit, die Übertragung einer Krankheit mittels Tröpfcheninfektion zu simulieren, hatten wir bereits. Diese Dinge sind alle schon validiert, man muss nichts grundsätzlich Neues erfinden. Wir haben dann bereits Mitte Jänner damit angefangen, die Prozesse im Zusammenhang mit dem Coronavirus in das Modell einzubauen.

Wie wurde Ihre Expertise dann von den Gesundheitsbehörden verwertet?
Wir arbeiten mit dem Wiener Krankenanstaltenverbund und der niederösterreichischen Landeskliniken Holding zusammen. Die verwenden unsere Ergebnisse für ihre Ressourcenplanung. So wurden wir Teil einer Forschungsgruppe des Gesundheitsministeriums. Darin haben sich mehrere Forschungseinrichtungen zusammengetan, um Planungsschritte aus möglichst verschiedenen Perspektiven zu bewerten.

Wie programmiert man ein Simulationsmodell mit neun Millionen Agenten für alle Österreicher?
Die Agenten sind statistische Repräsentanten, die nach Alter, Geschlecht und vielen weiteren Faktoren unterschieden werden. Man muss nicht neun Millionen heranziehen, wenn man 900.000 nimmt, stellt einer einfach zehn Bürger dar. Man könnte eine Simulation schaffen, wo tatsächlich jeder Österreicher relativ genau repräsentiert wird - falls das mit dem Datenschutz vereinbar ist. Aber für die Frage der epidemiologischen Entwicklung reichen statistische Repräsentanten aus. Ob ein Agent den Kurti aus Kufstein oder die Maria aus Wien darstellt, ist irrelevant.

Also man kann sich das nicht so vorstellen, dass sich Agenten in einer Art Sim City bewegen?
Man kann sie schon so beobachten, aber ein Simulationsmodell muss man so kompliziert machen, wie man es braucht, und nicht, wie es sein kann. Ob ein Agent parallel drei Freundinnen hat, ist egal. Für uns ist etwa wichtig, dass für verschiedene Alterskohorten passende Kontaktannahmen getroffen werden. Wenn etwa eine Schule schließt, werden die Kontakte während der Schulzeit für 6- bis 14-Jährige reduziert, dafür steigen aber die Kontakte in der Freizeit. Man simuliert das und bekommt Aussagen heraus.

Wie verlässlich sind diese Aussagen?
Wir bewegen uns immer in bestimmten Schwankungsbreiten. Alle Modelle haben bestimmte Schwächen. Es gibt keine Glaskugel, die die Zukunft exakt vorhersagt. Wenn man sich mit unserer Materie beschäftigt, muss man sehr viel darüber lernen, was man mit einem Modell machen kann und was nicht.

Lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie gut sich die Verlaufskurve der Coronavirus-Infektionen durch die Maßnahmen des Staates steuern lässt?
Ja, die Kurve lässt sich steuern. Die staatlichen Maßnahmen geben einen Rahmen vor. Wir sind uns gerade einig, dass man dem folgen muss. Wenn es einmal darum geht, dass Maßnahmen zurückgefahren werden können, muss man das in einem gesellschaftlichen Diskurs besprechen. Wenn man Menschen dazu zwingen will, sich impfen zu lassen, ist das nicht zielführend. Man muss an die Gemeinschaft appellieren. Der größte Faktor beim Impfen sollte sein, nicht sich selbst, sondern andere zu schützen.

Kommt es bei der derzeitigen "Suppression"-Strategie, die Österreich anwendet, jemals wirklich zu einem Ende der Krise?
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber das Leben besteht ständig aus kleineren oder größeren Krisen, bis man tot ist. Also ich glaube schon, dass es zu einem Ende kommen wird, wenn hinreichend viele Menschen die Krankheit gehabt haben oder es eine Impfung gibt. Wir werden als Menschheit nicht an Corona zugrunde gehen. Die Krankheit wird zu Ende gehen. Die momentan wichtigere Frage ist aber, wie wir die nächsten Monate gesundheitlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich gut überstehen.

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