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Wie eine Kettenreaktion im All das Leben auf der Erde lahmlegen kann

Ein Crash von 2 Satelliten könnte einen Kaskaden-Effekt auslösen. Ein solcher Totalausfall aller Satelliten hätte dramatische Folgen.
Franziska Bechtold Franziska Bechtold

Wenn zwei der über 1.900 aktiven Satelliten im All kollidieren, sollte das kein großes Problem sein. Schließlich gibt es für fast jeden einen Ersatz. Allerdings könnte schon so eine kleine Kollision zu einem möglichen Totalausfall aller Satelliten führen, befürchten Experten. Dies wird Kessler-Syndrom, oder auch Kaskaden-Effekt genannt. 

Durch die Kollision zweier Satelliten entsteht ein fliegendes Trümmerfeld. Dieses kann weitere Satelliten treffen, wodurch auch das Trümmerfeld stetig anwächst, bis schließlich nahezu alle Flugkörper im All vernichtet sind. Der Ausfall von Satelliten hat weitreichende Folgen. Wetter- und Erdbeobachtung zur Katastrophenwarnung, militärische Überwachung, Logistiksysteme und die Steuerung autonomer Fahrzeuge sind neben der Internetversorgung Anwendungsgebiete.

Abhängigkeit

Eine eher unwichtig scheinende Funktion könnte aber die stärksten Auswirkungen haben. Dienste wie GPS haben einen hochpräzisen Zeitdienst mit einer Genauigkeit von bis zu zehn Nanosekunden. Dieser Zeitdienst ist bei der Stromversorgung, der Telekommunikation sowie beim Zahlungsverkehr für Banken für die weltweite Synchronisation zuständig. „Wenn diese Funktion nicht aufrechterhalten werden kann, kann dies eine Lawine an Effekten auslösen“, sagt Herbert Saurugg, Experte für Vernetzung aus Wien.

Im Bereich der Stromnetze könne es etwa zu einem Blackout kommen inklusive des damit einhergehenden Chaos. Da geht es um kritische Infrastruktur, Logistikketten aber auch den teil-autonomen Schiffverkehr. Auf diese Auswirkungen werden wir kaum vorbereitet sein,“ betont Saurugg.

Genügend Platz

Die Angst vor dem Kessler-Syndrom wird zusätzlich geschürt, weil SpaceX vorhat, 12.000 weitere Starlink-Satelliten ins All zu schießen. Erst Anfang der Woche konnte die ESA einen Zusammenprall zwischen ihrem und einem Starlink-Satelliten knapp verhindern – obwohl SpaceX erst 60 dieser Flugkörper im Weltraum positioniert hat.

Weltraum-Experte Eugen Reichel setzt die Zahlen in Relation: „Diese Satelliten sind nicht größer als ein Auto. Da oben ist auch Platz für eine Million Satelliten.“ Allerdings müsse die Kommunikation zwischen den Betreibern stimmen. Kleinere Unfälle im Weltraum hätten zudem für Dienste auf der Erde kaum Auswirkungen, sagt Reichel: „10 bis 20 Prozent der Satelliten könnten ausfallen, ohne dass man etwas davon merkt.“

Solche Unfälle gibt es immer wieder. „Desto mehr Flugkörper sich im Orbit befinden, desto höher ist das Risiko für Zusammenstöße. Die aktuelle Kollisionsrate liegt bei einem Zusammenstoß im Jahr. In wenigen Jahren könnten daraus fünf  oder sechs werden“, sagt Holger Krag, Leiter des ESA-Büros für Raumfahrtrückstände, zur futurezone. Aktuell bestünde noch keine Gefahr für einen Kaskaden-Effekt mit Totalausfall. Das könne sich in den nächsten Jahren aber schnell ändern. „Das ist wie beim Klimawandel. Das Problem ist bereits im Gange, wir können nur noch verhindern, dass mehr Müll dazu kommt. Wir müssen sofort handeln. Sonst verbauen wir  künftigen Generationen die Raumfahrt.“

Die Kugel schlug ein 6 Zentimeter tiefes Loch in den Aluminiumblock.

ESA

Welche Zerstörungskraft schon kleine Trümmerteile haben, fand die ESA in einem Test heraus. Sie schoss eine Aluminiumkugel mit 1 Zentimeter Durchmesser und der Durchschnittsgeschwindigkeit von 6,8 Kilometer pro Sekunde auf einen 18 Zentimeter dicken Aluminiumblock. Die Kugel schlug einen 6 Zentimeter tiefen Krater in den Block.

Diese Erkenntnisse verdeutlichen ein Problem. Derzeit können nur Trümmerteile für Ausweichmaneuver erfasst werden, die größer als 10 Zentimeter sind. Kleinere Bruchteile die, wie der Test gezeigt hat ebenfalls eine hohe kinetische Energie haben, schwirren unbemerkt im Weltraum herum und gefährden Satelliten, Raumschiffe und Raumstationen.

Entsorgungssystem für Satelliten

Nach ESA-Angaben befinden sich aktuell 8.400 Tonnen menschgemachte Technik im Orbit. Im Idealfall sollten sich Nationen und Unternehmen selbst darum kümmern, das All sauber zu halten. SpaceX gibt an, seine Satelliten würden nach Ablauf ihrer Funktionszeit innerhalb weniger Monate in die Erdatmosphäre eintreten, um dort zu verglühen. Können sie den Befehl zum Absturz nicht empfangen, soll dies nach maximal fünf Jahren automatisch passieren. Das halten die Forscher der ESA für sinnvoll, da so schon vor dem Platzieren eines Satelliten in der Erdumlaufbahn dessen Entsorgung geplant werden kann.

Müll einfangen

Das löst jedoch nicht das Problem des bereits bestehenden Mülls. Daran arbeitet ein internationales Team aus Forschung und Industrie. Das Projekt „RemoveDebris“ entwickelt Satelliten, die im All aufräumen sollen. Diese besitzen ein Scansystem, mit dem Trümmer identifiziert werden. Eine Möglichkeit zur Entsorgung des Weltraummülls ist das  Abschießen einer Harpune, die in großen Trümmern und toten Satelliten steckenbleibt. Am anderen Ende der Harpune wird ein Segel geöffnet. Dadurch wird ihr Kurs geändert und sie verglühen in der Erdatmosphäre. 

Müll einfangen Nach ähnlichem Prinzip soll auch ein Fangnetz funktionieren. Es wird auf Trümmer geschossen und  wickelt sich darum. Das so geschnürte Müllpaket wird in Richtung in Atmosphäre geschickt, wo es verglüht. Auch die ESA arbeitet an so einem System. 2025 soll damit ein Satellit aus dem All entfernt werden. 
 

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