APA - Austria Presse Agentur

Ärzte ohne Grenzen: Von Politikern "angegriffen"

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat nach Ansicht der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die Grenze zwischen Kritik und Diffamierung klar überschritten. Das sagte Margaretha Maleh, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Österreich, am heutigen Mittwoch in einer Pressekonferenz in Wien.

Die Organisation werde zunehmend kriminalisiert und von Politikern "angegriffen wie nie zuvor", sagte Maleh. "Als Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen will ich ganz klar sagen, dass wir nicht mit Schleppern zusammenarbeiten." Mit Kurz' Vorwurf erreiche die Kriminalisierung ein neues Ausmaß, das man nicht akzeptiere. Es sei an der Zeit, stattdessen nachhaltige Lösungen für die Lage am Mittelmeer und in Libyen voranzutreiben.

Kurz hatte NGOs in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vorgeworfen, "das klare Ziel" der 28 Staats- und Regierungschefs in Europa zu konterkarieren. "Und das nicht nur mit dem Ziel, Leben zu retten, sondern gemeinsam mit den Schleppern Menschen nach Mitteleuropa zu bringen," sagte er. Konkret nannte er das Schiff "Aquarius 2", das gemeinsam von Ärzte ohne Grenzen und "SOS Mediterranée" betrieben wird.

Die Organisation bezeichnete die aktuelle humanitäre Situation im Mittelmeer als katastrophal. "Ich habe viele furchtbare Geschichten gehört, aber Libyen übertrifft alles," sagte Nina Egger, die in den vergangenen Monaten als Hebamme an Bord der "Aquarius 2" tätig war. Gewalt, Folter und Versklavung stünden auf der Tagesordnung. Menschen zurück nach Libyen zu schicken, sei untragbar, das Bürgerkriegsland sei kein sicherer Hafen.

"Wir versprechen den Menschen nicht, dass wir sie nach Europa bringen, das ist nicht unsere Aufgabe. Aber es ist ihnen auch egal, sie wollen einfach weg aus Libyen," sagte Egger.

Die Organisation forderte die österreichische Regierung sowie die anderen europäischen Staaten dazu auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es sei bezeichnend, dass die Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen, 28 EU-Staaten daran erinnern müsse, was ihre internationalen völkerrechtlichen Verpflichtungen seien, sagte Marcus Bachmann, humanitärer Berater der Organisation in Österreich.

Bachmann nahm Bezug auf eine Aussage von Kurz, der in dem Interview gesagt hatte: "Wenn nicht europäische Schiffe retten, sondern libysche oder ägyptische, stellen sich komplexe Rechtsfragen gar nicht erst". Bachmann fragte, ob dies bedeute, der Kanzler wolle sich menschenrechtlichen Fragen nicht mehr stellen und nannte die Aussage eine "de facto Aushebelung internationaler und völkerrechtlicher Verpflichtungen".

"Ärzte ohne Grenzen tragen zur Lösung des Problems bei und machen das, was am nötigsten ist: Menschenleben retten," sagte er. Dabei lasse man sich nicht instrumentalisieren und halte sich strikt an das internationale Seerecht und die Genfer Konventionen, fügte Maleh hinzu.

Vor jeder Rettung kontaktiere man die libysche Seeleitstelle, doch diese antworte nur selten, erzählte Egger von ihren Erlebnissen auf der "Aquarius 2". Dann nehme man Kontakt zur italienischen Küstenwache auf, die antworte, sie sei nicht zuständig. "Es ist, wie wenn man die Rettung ruft und niemand abhebt", sagt Egger. In diesem Fall greife die Organisation immer ein, es gehe um Menschenleben.

Im Gegensatz zu Kurz' Behauptung, dass immer weniger Menschen im Mittelmeer ertrinken, sei der prozentuelle Anteil seit dem Regierungswechsel in Italien sogar gestiegen, rechnete Bachmann vor. Die Statistiken seien alarmierend. Zusätzlich werde mit dem derzeitigen Zurückdrängen der unabhängigen Seenotretter auch die Zahl der Berichte gesenkt. Die Dunkelziffer steige.

Der aktuelle Zugang der Politik sei also, die Krise unsichtbar zu machen, sagte Maleh: "Das hat noch nie geholfen, sie zu lösen."

Ärzte ohne Grenzen sehe sich oft in einem Spannungsfeld, mit Regierungen weltweit verhandeln zu müssen, um Zugang zur notleidenden Bevölkerung zu bekommen, sagte Bachmann. Nun wende man sich an die Öffentlichkeit, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, was da im Mittelmeer gerade verhandelt wird.

Derzeit liegt die "Aquarius 2" im südfranzösischen Marseille und sucht nach der Entziehung der Flagge durch Panama eine neuen Flaggenstaat.