APA - Austria Presse Agentur

Angst vor Schadenersatz führt zu Radikalschnitten im Wald

Über Fichten herfallende Borkenkäfer, ein Pilz, der Eschen heimsucht, Stürme und erdrückende Schneelasten wie diesen Winter setzen Österreichs Wäldern zu. Umstürzende Bäume oder herabfallende Äste werden zur Gefahr, weshalb aus Furcht vor Schadenersatz oft vorauseilend zurückgeschnitten werde, warnt die Plattform Baumkonvention. Sie trifft sich am Donnerstag in Linz zu einer Fachtagung.

Die Rechtsprechung für Baum- und Wege-Erhalter (z. B. Kommunen) habe sich in Österreich deutlich verschärft, stellte die Leiterin der Umweltschutzabteilung der Stadt Wien, Karin Büchl-Krammerstätter, bereits 2016 fest. Daher ließ sie von der Johannes Kepler Uni Linz die Projektstudie "Umweltrechtliche Haftungsfragen" erstellen.

Da eine einheitliche gesetzliche Regelung fehle, registrierte Autorin Erika Wagner tatsächlich "uferlose Haftungsausweitungen". Der "anzusetzende Sorgfaltsmaßstab wird von den Gerichten immer im Einzelfall beurteilt", und diese Messlatte werde ständig höher. Das führe bei den für Wälder Verantwortlichen zur Verunsicherung, so der Tenor der Studie. Um Schadenersatzzahlungen zu vermeiden, würden inzwischen nicht selten Schneisen in die Wälder geschlagen. Bis zu 30 Meter links und rechts des Weges sollen sicherheitshalber "baumfrei" gehalten werden.

Sowohl mit dem Ziel "ökologisch wertvolle Baumbestände zu erhalten", als auch "Klarheit bei den Haftungsregelungen zu schaffen", rief Büchl-Krammerstätter die Plattform Baumkonvention ins Leben. Inzwischen umfasst sie mehr als 35 unterstützende Mitglieder von NGOs, Interessensvertretungen, Institutionen aus der Verwaltung bis hin zu Wissenschaftern.

Bei der Fachtagung im Linzer Schloss wird weiter an der Zielumsetzung gearbeitet. Konkret heißt dies, es soll ein Leitfaden entwickelt werden, der nicht nur eine legistische Änderung zum Ziel hat. Genauso soll für die Baum- und Wege-Erhalter eine Handlungsanleitung mit einheitlichen Standards für die Baumpflege ausformuliert werden, um "Angstschnitte" zu vermeiden.

Zudem will die Plattform auch das Bewusstsein bei den Bürgern schärfen. Dabei gehe es vor allem um die Eigenverantwortlichkeit. Viele Menschen würden sich die Naturgewalten nicht mehr vergegenwärtigen. Sie gehen von einem "Nullrisiko" aus - mit Ausnahme von Lawinen. Da würde sich niemand fragen, warum der Lawinenhang nicht sicher gemacht worden sei. Im Gegenteil - wenn jemand trotz Warnung mit einer Gruppe hineinfahre, riskiere er sogar eine Anzeige wegen fahrlässiger Gefährdung, erklärt Büchl-Krammerstätter. Im Grunde sei diese Situation genau die gleiche, wenn jemand bei Sturm in den Wald geht.

In Deutschland wird dies rechtlich so gesehen, hielt Studienautorin Wagner fest. Dort erfolge die Benutzung des Waldes und der Wege laut Bundeswaldgesetz auf eigene Gefahr. Dies gelte auch für sogenannte waldtypische Gefahren, zu denen herabhängende Äste oder mangelnde Bruchfestigkeit von Bäumen zähle. Abschließend gibt sie in der 180 Seiten umfassenden Untersuchung zu Bedenken, dass "der Baum eben nicht nur Gefahrenquelle und Haftungsobjekt, sondern auch Schutzgut im öffentlichen Raum" sei.