APA - Austria Presse Agentur

NS-Zeit der Wiener Austria wissenschaftlich aufgearbeitet

Noch rechtzeitig im Gedenkjahr 2018 ist die wissenschaftliche Aufarbeitung zur Geschichte der Wiener Austria in der NS-Zeit nun in Buchform erschienen. Mit "Ein Fußballverein aus Wien - Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938-1945" wird ein Schlussstrich unter so manchen Mythos gezogen, erläuterte Historiker Bernhard Hachleitner bei der Präsentation am Donnerstag in der Generali Arena.

"So gibt es für die angebliche Weigerung von Matthias Sindelar, für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen, keine Belege", berichtete Hachleitner. Nur vor dem Spiel einer "Ostmark"-Auswahl gegen Aston Villa soll die Austria-Legende "herumgedruckst" haben, er sei müde. Das sei bei dem damaligen dichten Spielplan der Austria und dem schon hohen Fußballer-Alter Sindelars nachvollziehbar, sagte der Co-Autor des Buches.

Zum Zeitpunkt des Anschlusses im März 1938 war der Vorstand der Austria jedenfalls durchwegs mit jüdischen Bürgern besetzt. Sie wurden sofort nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten abgesetzt und vertrieben. Manager Robert Lang und Schriftführer Heinrich Bauer wurden Opfer des Holocaust. Der Verein wurde vorübergehend in "Ostmark" umbenannt und bekam einen neuen Vorstand.

"Die Spieler waren in der NS-Diktion alle 'Arier' und sollten weiterspielen dürfen", sagte Hachleitner. Sie profitierten teilweise von "Arisierungen" - so wie Sindelar vom Cafe Annahof im Bezirk Favoriten - oder bekamen Versorgungsposten der Stadt Wien zugeschanzt. "Diese Versorgung der Austria-Spieler ist nicht anders abgelaufen als bei anderen Wiener Fußballvereinen", betonte Hachleitner. Eine ganze Reihe Austrianer spielte auch für die deutsche Nationalmannschaft.

"Die Austria sollte ein ganz normaler Wiener Sportverein werden", erläuterte Mit-Autor Matthias Marschik. "Diese Umbauphase war im Herbst 1938 abgeschlossen". 14 Vereinsmitglieder - darunter zwei Spieler - waren in den NS-Jahren bei der NSDAP, je zwei auch SS- oder SA-Mitglieder. Dass die Austria als "Judenklub" ein besonderes Opfer des Nationalsozialismus war, ließ sich in den Recherchen der Wissenschafter nicht belegen. Zur Anfangsphase des Krieges wurden zwar mehr Austrianer als Spieler anderer Klubs zur Wehrmacht eingezogen, das lässt sich laut dem Buch jedoch mit jahrgangsspezifischen Logiken der Heeresrekrutierung erklären.

Austria-AG-Vorstand Markus Kraetschmer betonte die aktuelle Wichtigkeit des Buches, nachdem immer mehr Zeitzeugen nicht mehr leben. Angesprochen auf rechtsextreme Umtriebe in der aktuellen violetten Fanszene sagte er, dass der Verein in den vergangenen Jahren mit Hausverboten eine klare Linie gegen solche Personen und Gruppen geführt habe. "Wir machen diesen Leuten klar, dass sie bei uns nicht willkommen sind", so Kraetschmer, der auf eingeschränkte Möglichkeiten der Austria bei Auswärtsspielen verwies.

Die beteiligten Forscher haben für "Ein Fußballverein aus Wien - Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938-1945" in Tausenden Arbeitsstunden über drei Jahre 6.379 Einzeldateien zusammengetragen, erläuterte Sportwissenschafter Rudolf Müllner von der Universität Wien. 150 Personenbiografien wurden recherchiert, Medien von der "Fußball-Woche" bis zum "Völkischen Beobachter" sowie der Sepp-Herberger-Nachlass in Frankfurt, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und Archive der Israelitischen Kultusgemeinde durchgesehen. Von der Austria habe es keine inhaltliche Einmischung gegeben, betonte Müllner.

Es ist auch "keine Geschichte, die nur die Austria betrifft", erläuterte Johann Skocek als einer der weiteren Autoren. "Es ist eine Stadtgeschichte, eine Fußballgeschichte, eine Geschichte des Vereins und eine politisch-ideologische Geschichte", fasste der Journalist und Historiker zusammen.

INFO: Bernhard Hachleitner, Matthias Marschik, Rudolf Müllner, Johann Skocek, "Ein Fußballverein aus Wien", Böhlau Verlag, gebundene Ausgabe, 311 Seiten, 30 Euro.