Scharfe Kritik an Türkei im Fall Zirngast

Zirngast wurde am 11. September festgenommen
Der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien, Friedrich Forsthuber, übt im Fall des in der Türkei inhaftierten Journalisten Max Zirngast scharfe Kritik an Ankara. "Ich kann keine konkreten Vorwürfe herauslesen, weil es sie nicht gibt", so der Jurist am Sonntagabend bei einer Diskussionsveranstaltung zum Abschluss einer "Solidaritätswoche" für Zirngast im Schauspielhaus Wien.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft war zuvor von einem Gericht in Ankara mit der Begründung zurückgewiesen worden, dass sie formale Fehler enthalte, wie die Solidaritätskampagne #FreeMaxZirngast am Mittwoch unter Berufung auf den Anwalt Zirngasts meldete. Details zum Inhalt der Schrift - also die konkreten Vorwürfe gegen Zirngast - sind demnach nicht bekannt, da die Akte weiterhin unter Verschluss ist. Das Außenministerium bestätigte lediglich, dass bisher keine Anklage erhoben wurde.

Der Journalist und Politikwissenschaftler Zirngast wurde am 11. September festgenommen und sitzt seither ohne Anklage in dem Hochsicherheitsgefängnis Sincan 2 ein. Laut seinen Anwälten wirft ihm die türkische Justiz Kontakte zu einer linksgerichteten "terroristischen Vereinigung" vor.

"Es ist von Beweisen die Rede, die sich durch die Unterlagen von Zirngast ergeben sollen. Diese werden aber ebenso nicht genannt wie die Terrororganisation, der er angeblich angehören soll", sagte Forsthuber. Für Forsthuber ist eine solche Vorgehensweise der türkischen Behörden nach dem Putschversuch im Juli 2016 systematisch. Auffällig sei aber, dass auch nach Beendigung des Ausnahmezustands, Österreicher und Personen aus anderen Nationen festgenommen würden. "Man handelt immer noch im rechtsfreien Raum", sagte der Jurist weiter.

Seiner Meinung nach müsste die Internationale Gemeinschaft vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Beschwerde einbringen, weil die Türkei Bestimmungen wie etwa das Recht auf faire Verfahren oder die Freiheit auf Meinungsäußerung verletze. "Die Staatenbeschwerde wäre wichtig und könnte die Türkei zum Einlenken bringen."

Die frühere Grüne Nationalratsabgeordnete Berivan Aslan und der Präsident des Österreichischen Journalisten Clubs, Fred Turnheim, bekräftigten unterdessen ihre Kritik an der Bundesregierung. "Ich kann keine konkreten Schritte der Bundesregierung erkennen", sagte Aslan und warf Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) vor, untätig zu sein. "Seit dem Putschversuch gibt es viele Einreiseverbote, seit diesem Sommer auch vermehrt Festnahmen." Ihren Informationen nach sei Zirngast der einzige unter den insgesamt fünf inhaftierten Österreichern ohne türkische Wurzeln. Das Außenministerium hatte die Zahl nicht bestätigt.

In eine ähnliche Kerbe schlug die Präsidentin von Reporter ohne Grenzen, Rubina Möhring. Man müsse auf die österreichische Regierung Druck ausüben, nicht auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan - dieser könne sich aufgrund der geopolitischen Lage der Türkei Gleichgültigkeit erlauben. Die Türkei gehört weltweit zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Journalisten. Möhring sprach von 88 Medienvertretern, die sich derzeit in türkischer Haft bzw. Untersuchungshaft befänden, wenngleich nicht bei allen sicher sei, ob sie Journalisten sind. "Unser Repräsentant in Istanbul ist zwar ebenfalls angeklagt, ist aber, wie manche andere auch, auf freiem Fuß", sagte sie.

Die "Solidaritätswoche" der Kampagne #FreeMaxZirngast nahm laut Veranstaltern am Mittwoch in New York mit einem Podium über politische Gefangene in der Türkei ihren Anfang. Thomas Köck, Autor und Freund von Zirngast, berichtete von zahlreichen Solidaritätsbotschaften aus europäischen Ländern, aber auch aus den USA. National wie international käme aus der Politik und der Verlags-, Kunst- und Medienszene viel Unterstützung, so Johanna Bröse, die wie zuvor Zirngast für das sich "linksradikal" bezeichnende Onlinemagazin re:volt arbeitet. Ein Buch mit Texten von Zirngast werde im März erscheinen, so Bröse.

Am Dienstag wird Max Zirngast in Abwesenheit im Wiener Rathaus der Dr.-Karl-Renner-Solidaritätspreis durch Mesale Tolu verliehen. Die Übersetzerin war letztes Jahr gemeinsam mit dem Journalist Deniz Yücel erstmals mit dieser Sonderkategorie des Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreises geehrt worden, nachdem die beiden deutschen Staatsbürger ohne konkrete Anklagepunkte einige Monate in türkischer Untersuchungshaft verbracht hatten. Die Rede von Max Zirngast sei von der Briefkommission des Gefängnisses wegen "problematischer Stellen" einbehalten worden, so der Aktivist der Solidaritätskampagne und Freund von Zirngast, Alp Kayserilioglu.

Der Freund beschrieb außerdem die Haftbedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Sincan 2 in Ankara. Der 29-Jährige dürfe dort lediglich Briefe auf Türkisch empfangen und einmal pro Woche für zehn Minuten telefonieren, berichtete Alp Kayserilioglu. "Es gibt keinen Gerichtstermin, dennoch wird er wie ein Verurteilter behandelt."

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