Van der Bellen erteilt Nationalismus in Europa erneut Absage
"Manche Nachbarn" würden sich über Austritte aus der Union "nur allzu sehr freuen", sagte der Bundespräsident. Sie fänden es einfacher, mit jedem Staat einzeln zu verhandeln, "statt mit der geballten Macht eines geeinten Europa". In einer Zeit, "in der internationale Beziehungen wieder konfrontativer werden", hat die Union seiner Ansicht nach eine einzigartige globale Schlüsselrolle inne. Sie müsse für Dialog, internationale Zusammenarbeit und Multilateralismus sowie die Einhaltung internationaler Verträge und Menschenrechte eintreten. "Wer sonst?", fragte der Bundespräsident.
Eine gegenwärtige Herausforderung für die Union ist laut Van der Bellen, die "Lehren aus dem letzten Jahrzehnt" zu ziehen und die EU widerstandsfähiger gegen Wirtschafts- und externe Krisen zu machen. Für den Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten sei es wichtig, ein "Gleichgewicht zwischen individueller Verantwortung und Solidarität" zu finden. Um das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union zu stärken, müsse die EU ihre Problemlösungskompetenz unter Beweis stellen, ist Van der Bellen überzeugt.
Er kritisierte in seiner Rede "die Rhetorik des Ausschließens, die gerade modisch ist". Man müsse sich nicht zwischen der Liebe zu seinem Heimatland und der Liebe zu Europa oder der "Hilfsbedürftigkeit der eigenen Landsleute und jener anderer" entscheiden. Europa sei ein Kontinent des "Und", und nicht des "Entweder/Oder". "Wir können unser Heimatland lieben UND die europäische Idee", betonte Van der Bellen. "Wir können unseren Landsleuten helfen UND ausländischen Mitbürgern. Wir können uns selber nützen UND zum größeren Wohle aller betragen."
In Europa geboren zu sein, bezeichnete er als "Haupttreffer in der Geburtsortlotterie". Es gelte, die Union als Wertegemeinschaft zu verteidigen, meinte der Präsident. Seiner Ansicht nach werden Werte "in der Regel nicht durch einen einmaligen Handstreich gefährdet", der klar erkennbar sei. Am meisten seien sie durch die "Salamitaktik" in Gefahr, sagte Van der Bellen und wies darauf hin, dass es sich dabei um keine Anspielung auf Ungarn handle. Es werden nach und nach "Kleinigkeiten abgezwackt", die kaum auffielen, "bis am Ende nichts mehr da" sei.
"Dass wir Europäerinnen und Europäer sind, ist ein Glück, das wir uns im Nachhinein verdienen müssen", erinnerte Van der Bellen am Schluss seiner Rede, mit der auch sein Besuch in Baden-Württemberg zu Ende ging. Bei seinem Aufenthalt standen laut Präsidentschaftskanzlei "Forschung, Wirtschaft und Zukunft Europas" im Fokus.
Am Vormittag war der Bundespräsident im Cyber Valley am Max-Planck-Institut in Tübingen zu Gast, "einer der größten Forschungskooperationen im Bereich der künstlichen Intelligenz", twitterte Van der Bellen im Anschluss daran. "Spitzenforschung dieser Art ist für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Länder sehr bedeutsam", so der Präsident. "Gleichzeitig ist wichtig, sich mit den Auswirkungen und dem Umgang mit diesen Technologien auseinanderzusetzen", schrieb er nach seiner "spannenden Begegnung" mit dem Roboter "Apollo". Dieser sei fähig, seine Umgebung wahrzunehmen, entsprechend zu handeln und aus Erfahrungen zu lernen.
Dem Firmenbesuch folgte ein Arbeitsgespräch mit Ministerpräsident Kretschmann in dessen Amtssitz Villa Reitzenstein in Stuttgart und ein gemeinsames Pressestatement. Am Nachmittag stand der Besuch beim Sportwagenbauer Porsche auf dem Programm, wo es vor allem um Elektromobilität ging. Porsche hat unlängst angekündigt, komplett aus dem Geschäft mit Dieselfahrzeugen aussteigen zu wollen. Außerdem arbeitet der Autobauer am ersten Elektro-Serienauto.
Das deutsche Bundesland Baden-Württemberg war im Jahr 2017 für Österreich bezüglich der Exporte - nach Bayern, den USA und Italien - der fünftwichtigste Handelspartner. Laut Wirtschaftskammer (WKÖ) betrugen die Exporte 7,1 Mrd. Euro, die Importe aus Baden-Württemberg beliefen sich auf 9,4 Mrd. Euro. Die baden-württembergische Wirtschaft zählt zu den wirtschaftsstärksten und wettbewerbsfähigsten Regionen Europas. Sie gilt insbesondere im Bereich der industriellen Hochtechnologie sowie Forschung und Entwicklung "als die innovativste Region der Europäischen Union", wie von der Präsidentschaftskanzlei betont wurde. Das Bruttoinlandsprodukt lag 2017 bei 493,3 Mrd. Euro.
Kommentare