Stefan Faschinger (li.) und Oliver Raferzeder haben sich mit Brotsüchtig den Traum vom geschmackvollen Bio-Brot erfüllt

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Warum Bäcker wieder auf traditionelles Handwerk setzen

Diese drei oberösterreichischen Backstuben brauchen keine Fertigmischungen oder Zusatzstoffe für ihre Brote.
Julia Gschmeidler Julia Gschmeidler

Anders als in herkömmlichen Backstuben beginnt der Arbeitstag bei Gragger & Cie in der alten Mühle in Ansfelden erst um sechs Uhr in der Früh. Das liegt daran, dass die Mitarbeiter die Teige erst morgens aus Mehl, Wasser, Salz und manchmal etwas Öl oder Butter zubereiten, den Sauerteig einrühren und dann etliche Stunden im Kühlraum ruhen lassen.

So hat der Sauerteig Zeit, sich zu entwickeln und dem Brot seinen unvergleichlichen Geschmack zu verleihen. „Wir haben nur eine Misch- und eine Teigteilmaschine, der Rest passiert alles händisch“, sagt Bäckermeister Helmut Gragger sichtlich stolz. Der aus Strobl am Wolfgangsee stammende Bäcker folgt seit über zwei Jahrzehnten seinen Idealen. Anstatt sein Leben lang in industriell betriebenen Backstuben zu arbeiten, hat er 1997 seinen Betrieb in Ansfelden bei Linz eröffnet. Sein Antrieb: die Rückbesinnung auf die ursprüngliche Art des Backens. Mittlerweile betreibt Gragger mehrere Filialen in Wien sowie in Berlin, im Senegal, in Uganda und Bangkok, eine weitere in der DR Kongo ist gerade im Aufbau.

Von der Backstube in Ansfelden aus beliefert Helmut Gragger Wochenmärkte und Bio-Läden.

Kurier/David Niedermayer

Das Herzstück

Das Besondere an den Gragger-Backstuben ist, dass die Brote und Backwaren im Holzofen gebacken werden. „Das ist die ideale Form des Backens, weil die Wärme des Steins keine aggressive ist, die dem Brot die Feuchtigkeit entzieht“, sagt Gragger. Um den idealen Holzbackofen zu entwickeln, hat er bereits vor 20 Jahren mit einem Freund an ersten Entwürfen getüftelt. Die Vorteile des heute in den Gragger-Backstuben im Einsatz befindlichen Ofens: eine andere Geschmacksentwicklung, da die Krustenbildung früher einsetzt, sowie eine längere Frischhaltung, wie der Bäckermeister betont.

Mit dem Projekt „BackMa‘s“ in Kooperation mit der Caritas bildet  der Bäcker derzeit zehn lernschwache Jugendliche für den Arbeitsmarkt aus

Gragger & Cie

Neben der natürlichen Art des Backens ist Gragger noch etwas besonders wichtig: Bio-Rohstoffe, die – wenn möglich – direkt aus der Region kommen. So setzt der Unternehmer auf Roggen vom Stift St. Florian sowie Dinkel vom Mühlviertler Produzenten Ebners Rotkorn, „dem Dinkelspezialisten in Europa“, wie ihn Gragger bezeichnet. Mit dem oberösterreichischen Bio-Getreide backen die Bäckereiangestellten dann Spezialitäten wie das Florianer Chorherrn-Brot, das in Oberösterreich bekannte Mohnflesserl oder den Fastenbeugel, eine Art oberösterreichische Version des Bagels.

Gragger & Cie

Das beliebteste Backwerk der Kunden in der Wiener Filiale ist jedoch der Mühlviertler Laib. „Das ist ein kräftiges Roggenbrot, das es so in Wien vor uns noch nicht gegeben hat, diese schwereren Brote waren untypisch“, berichtet Gragger. In seiner Berliner Filiale, die er gemeinsam mit der Fernsehköchin Sarah Wiener betreibt, standen die Einheimischen dem flachen Mühlviertler Laib anfangs hingegen etwas skeptisch gegenüber. „Der ist schon sehr oberösterreichisch. Eh klar, da bin ich daheim“, meint Gragger und lacht. Immerhin entspringen alle Rezepte seiner Feder, auch wenn der Bäckermeister selbst nicht mehr jeden Tag in der Backstube steht.

In die ganze Welt

Mehrmals im Jahr reist der Ansfeldner nach Afrika, wo derzeit seine bereits dritte Dependance entsteht. Eigentlich war angedacht, die afrikanischen Gragger-Backstuben mit einem Solarofen zu betreiben. „Das wäre eine coole Methode gewesen, mit Sonnenenergie Brot zu backen“, erzählt Gragger. Allerdings sei ihm bei diesem Projekt das Geld ausgegangen, weshalb der Oberösterreicher auf einen Backofen umgesattelt hat, der mit Briketts aus gepresstem organischem Abfall betrieben wird. „Niemand hat daran geglaubt und alle haben uns ausgelacht, aber das System funktioniert“, sagt Gragger.

Handarbeit ist nicht nur in Ansfelden gefragt, sondern auch im Senegal, wo Gragger eine Filiale aufgebaut hat. Der Gewinn des Betriebs geht an Schulen vor Ort

Daniel Gollner/Caritas Kärnten

Allein durch die Energiekostenersparnis kann die Bäckerei zehn Mitarbeiter beschäftigen. „Da können wir benachteiligte Menschen einstellen, Leute mit Behinderung, so kann man Randgruppen in das System einbauen und es funktioniert“, sagt der Unternehmer stolz. Es gehe zwar in erster Linie darum, qualitativ hochwertiges Brot zu verkaufen, aber auch um die Menschen. „Da bist du in Afrika und bäckst mit den Leuten vor Ort gemeinsam, das ist unglaublich. Ich bin ja ein ganz Einfacher“, sagt er und lacht. Wenn er sich etwas in den Kopf setze, werde er aber ziemlich stur, bis er das erreicht habe, was er möchte.

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Neben der neuen Bäckerei in der DR Kongo eröffnete vor Kurzem eine weitere am Wiener Nordbahnhof-Areal. Auch hier finden Menschen einen Arbeitsplatz, die durch ihr Schicksal – sei es Flucht oder Arbeitslosigkeit – besondere Unterstützung brauchen. Denn am Ende des Tages gehe es laut Gragger um die Menschen und darum, soziale Verantwortung zu übernehmen. Ein außergewöhnlicher oberösterreichischer Bäcker, der sich auf seinem Weg nie durch Kritiker beirren ließ und so ein Stück oberösterreichische Kulinarik in die Welt trägt.

Quereinsteiger

Einen etwas ungewöhnlichen Weg zur eigenen Bio-Bäckerei haben auch die Linzer Oliver Raferzeder und dessen Schwager Stefan Faschinger gefunden. Der eine war Projektleiter bei namhaften Softwarefirmen in Linz, der andere zwar in der elterlichen Bäckerei groß geworden, aber nach einem Studium an der FH Wels Sales Manager beim Seilhersteller Teufelberger. Dass es die beiden dann doch in die Gastronomie gezogen hat, ist ihrer Leidenschaft für etwas Selbstgebackenes, handwerklich Erschaffenes zu verdanken.

„Dabei das Lächeln unserer Kunden zu sehen, weil sie gutes Brot in den Händen halten – das ist sehr zufriedenstellend“, sagt Oliver Raferzeder heute. Dabei hatten die Eltern seines Schwagers sogar davon abgeraten, eine gemeinsame Bäckerei zu eröffnen – zu groß sei der wirtschaftliche Druck in Zeiten von Backboxen in Supermärkten. Beirren ließen sich die beiden Jungunternehmer davon nicht und gründeten „Brotsüchtig“ – eine Bäckerei, in der „Brote mit Persönlichkeit“ entstehen sollten.

Oliver Raferzeder (Foto) und Stefan Faschinger sind Quereinsteiger in der Brotbackbranche

tom mesic

„Wir wollen eine emotionale Verbindung zu unseren Produkten schaffen“, sagt Raferzeder. Gewöhnliche Bezeichnungen wie „Vollkornbrot“ oder „Landbrot“ seien da zu langweilig gewesen – ihre Brote und Gebäcke tragen Namen wie „Gunni Gugl“, „Christine Croissant“ oder „Krustav“. „Die Leute kaufen dann anders ein und schätzen die Produkte auch anders“, sagt der Unternehmer.

Wie auch die Bäckerei Gragger setzen die Brotsüchtig-Macher auf Bio-Rohstoffe und verwenden Dinkel aus dem Mühlviertel. Auf Weizen verzichten die Linzer komplett. Dieser sei so stark in unserer Ernährung verbreitet, dass einige Personengruppen bereits allergisch darauf reagieren würden.

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„Weiters ist er stark überzüchtet und hat weniger Nährstoffe als der Dinkel. Sieht man sich die geschmackliche Seite an, weist der Dinkel weit bessere Aromen auf als der Weizen“, führt Raferzeder aus. Der Geschmacksfavorit der Kunden in den zwei Linzer Brotsüchtig-Backstuben – eine bei der Promenade, die andere in der Nähe der Lentia City – ist übrigens das „Drahdiwaberl“, dessen Namen sich die Unternehmer schützen ließen. Es besteht zur Hälfte aus Bio-Dinkelvollkorn und zur Hälfte aus hellem Bio-Dinkelmehl, garniert mit Bio-Fenchel.

Vereinsarbeit

Die traditionsreiche Backkunst ist Raferzeder und Faschinger so wichtig, dass sie den Verein „Wir Eigenbrotler“ gegründet haben. Hier versammeln sich acht Handwerksbäcker aus Oberösterreich, um die Backtradition wieder aufleben zu lassen. „Ein bisschen bewusster auf die Herkunft und die Herstellungsart zu achten, ist unser Ziel“, sagt Raferzeder. So haben sich die Eigenbrotler-Mitglieder verpflichtet, bis 2020 Produkte frei von Aromen und Backmittel herzustellen. Auch Sauerteig und Handsemmeln sind Pflicht.

Der Shop in der Linzer Herrenstraße wirkt modern und strahlt dennoch Natürlichkeit aus

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„Der Unterschied zu anderen Bäckereien liegt darin, dass dort Backmischungen aller Art zur Verwendung kommen, welche auch teilweise fragwürdige Zutaten enthalten, die unserem Körper einfach nicht guttun“, so der Backprofi. Daher geben die Vereinsmitglieder ihren Teigen Zeit – diese formen und backen sie nicht direkt nach dem Mischen, sondern lassen sie mindestens 24 Stunden ruhen. „Dann erst können alle Stoffe, bei denen sich der Darm schwer tut, abgebaut werden“, sagt der Linzer Bäcker. Sein Tipp lautet daher: Immer nachfragen, ob die Teige „lange geführt“ wurden.

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Neue Pläne haben die Brotsüchtig-Gründer auch schon. Bis Mitte 2020 soll in Steyregg eine Backstube entstehen, in der Transparenz eine große Rolle spielt. So können Fußgänger und vorbeifahrende Radfahrer Einblicke in die gläserne Schaubackstube erhaschen und zusehen, wie ihr Brot entsteht. „Die Leute sollen wieder die Verbindung zum Handwerk bekommen; wie etwas entsteht. Das hat man ja komplett verlernt durch die Automatisierung in Großfabriken“, sagt Raferzeder als Verfechter der Brotbacktradition.

Zurückbesinnung

Auch im Traunviertel kneten traditionsbewusste Bäcker den Teig, formen die Teiglinge per Hand, schießen diese in den Ofen und bestimmen beim Schwaden die spätere Beschaffenheit des Brotes. Hier, in der Bäckerei Bruckmühle im Almtal, setzt Bäckermeister Michael Ullner mit seinem Team auf erprobte Backkunst. Fertigbackmischungen finden auch hier keinen Platz. Dennoch ist dem Scharnsteiner wichtig anzumerken, dass die Bruckmühle auch keine neue, hippe Start-up-Bäckerei sei, die Foodtrends kreiere.

In der Bäckerei und Konditorei Bruckmühle im Almtal bereitet Michael Ullner mit seinem Team neue und vergessene Rezepturen in Handarbeit zu

Bäckerei Bruckmühle

„Wir mahlen unser Mehl selbst und mischen nach eigenen Rezepturen. Wir geben dem Teig die Zeit zum Ruhen, die er benötigt. Für einen anderen wäre das vielleicht ein Mehraufwand, den er sich nicht leisten möchte – wir sind stolz darauf, ohne Stabilisatoren, Aroma- oder Farbstoffe backen zu können“, sagt Ullner. Er hat Anfang dieses Jahres den Betrieb, der seit den 1930er-Jahren in Bäckersfamilienhand war, vom Vorgänger übernommen. Ullner hat zwar ein neues Logo entwickelt und einige Herstellungsverfahren optimiert – das Sortiment hat er jedoch kaum verändert, die Produkte seien einfach gut, so wie sie seien.

Einige moderne Brotsorten hat der Bäckermeister dann aber doch ergänzt. So etwa den „Nordhang“, ein Roggenbrot in Form eines Dreieckes. „Ihm die Form und den Namen einer Skiabfahrt am Kasberg zu geben, war im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend – rustikal, wild, schroff und mir persönlich ein Genuss“, sagt Ullner. Ebenso ein sehr regionales Erzeugnis ist der Zwieballen, ein doppeltes Kleingebäck aus versäuertem Roggenmehl, Weizenmehl und Kümmel, das zu jedem Standardsortiment eines Almtaler Bäckers gehöre.

Bäckerei Bruckmühle

Die Produkte verkauft die Bäckerei Bruckmühle aber nicht nur in ihren Filialen in Viechtwang, Grünau, Scharnstein und Pettenbach, sondern bedient damit auch ihre Gai-Kunden. „Gai ist eine alte Bezeichnung für das Gebiet, in dem ein Bäcker seine Ware ausliefert“, erklärt der Oberösterreicher. Ins Gai zu fahren meint daher den Fahrverkauf in der Region.

Egal, ob in der eigenen Bäckerei, dem Verkaufswagen oder am Markt: Diese drei Backstuben sorgen mit ihren durchdachten Produkten und den Visionen der Bäckermeister dafür, dass die traditionelle Backkunst in Oberösterreich noch lange nicht in Vergessenheit gerät – sogar weit über die Grenzen des Bundeslandes hinaus.