Kurier / Juerg Christandl

Wahldebakel in blau: FPÖ verliert drei Viertel der Wähler

Die FPÖ erreicht laut Hochrechnungen 7,7 Prozent und verliert 25 Mandate. FPÖ-Chef Dominik Nepp kämpfte auf mehreren Fronten gegen ein Debakel.
Bernhard Ichner Bernhard Ichner Marlene Penz Marlene Penz

Laut ersten Hochrechnungen erhält die FPÖ 7,7 Prozent, 2015 waren es noch 30,79 Prozent. Damit würde die FPÖ auf neun Mandate kommen, Platz zwei und 25 Mandate verlieren.

Bereits nach der ersten Trendprognose war der Absturz absehbar, 10 Prozent wurden vorhergesagt. Der Wiener FPÖ-Klubchef Anton Mahdalik sieht den Grund dafür vor allem beim früheren Parteichef Heinz-Christian Strache. "Da wurde viel Vertrauen verspielt", verwies Mahdalik auf die Ibiza- und Spesenaffäre des Ex-Vizekanzlers. "Dafür kann die aktuelle Parteiführung gar nichts."

Keine Obmann-Debatte

Mahdalik erwartet sich insofern auch keine Obmann-Debatte. Dominik Nepp hat einen Wahlkampf aus einem Guss geführt." Es habe zuletzt "einen nicht viel schwereren Job" gegeben, als nach den Skandalen Straches die FPÖ zu führen, sagte der Klubobmann.

Die Themenlage sei außerdem nicht gerade im Sinne der FPÖ gelegen. "Corona spielt den Regierenden in die Hände", so Mahdaliks Analyse. Außerdem habe es 2015, als die FPÖ mehr als 30 Prozent hatte, die große Flüchtlingsbewegung gegeben.

Für FPÖ-Spitzenkandidat Dominik Nepp selbst liegt die Ursache für den freiheitlichen Absturz in der Vergangenheit. Der Verlust sei "schmerzlich". Das Ergebnis habe aber in Ibiza seinen Ausgangspunkt. Jetzt gehe es darum, "mit harter konsequenter Arbeit" das Vertrauen wieder zurückzugewinnen.

"Strache muss Buße tun"

Gefragt danach, ob er an Rücktritt denke, meint Nepp, dass nun einmal das Ergebnis analysiert werden müsse. Zudem verwies er auf den Landesparteitag in den kommenden Monaten. Eine Versöhnung mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, sollte dieser in den Landtag einziehen, könne es nur geben, wenn dieser "Buße" tue.

Enttäuscht zeigte sich auch FPÖ-Landesparteisekretär Michael Stumpf. Als Gründe für die Verluste machte Stumpf im ORF das Schüren von Angst durch die Bundesregierung im Zuge der Corona-Pandemie und das Antreten von Ex-Parteichef Strache mit einer eigenen Liste aus.

Auch für Stumpf war Dominik Nepp "der beste Spitzenkandidat" und "der beste Mann zu richtigen Zeit am richtigen Ort". Auch die Themen der FPÖ seien die richtigen gewesen. Laut Stumpf werde das Ergebnis am Dienstag intern analysiert, eine Wiedervereinigung mit Heinz-Christian Strache sei ausgeschlossen.

Keine Personaldebatte

Das Wahlergebnis der Wiener FPÖ habe "keine Konsequenzen auf Bundesebene", meinte der stellvertretende Bundesparteiobmann und oö. LH-Vize Manfred Haimbuchner. Jegliche Personaldebatten "lehne ich ab", stellte er klar. Der Verlust von mehr als zwei Dritteln der Stimmen laut erster Hochrechnung für die FPÖ in Wien sei "innerparteilich eingepreist" gewesen. Die Ursachen dafür sieht auch er in der Vergangenheit in der Person von Heinz-Christian Strache.

FPÖ-Chef Norbert Hofer wird keine personellen Konsequenzen aus dem Debakel seiner Partei bei der Wiener Gemeinderatswahl ziehen. Das hat er Sonntagabend vor Journalisten im Wiener Rathaus erklärt. „Die Talsohle ist durchschritten, jetzt kann es nur noch aufwärts gehen“, meinte er. Auch inhaltlich will er nichts ändern, höchstens „weiche Themen“ wie Pflege mehr beachten.

Es sei wichtig, dass die Partei nun zusammenhalte, so Hofer. Es sei von vornherein klar gewesen, dass es in Wien für die FPÖ nach dem Ibiza- und Spesenskandal von Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache besonders schwer sein werde. „Heute ist ein sehr schwerer Tag, aber es war zu erwarten“, sagte er.

Der Parteichef zog einen Vergleich mit dem Wien-Marathon. Er befinde sich jetzt auf der Prater-Hauptallee; die Lage sei schwierig, aber es gelte durchzuhalten.
Er selbst habe den ganzen Ruf, den er sich aufgebaut habe, zur Rettung der Partei in die Waagschale geworfen. Aus Hofers Sicht hätte es noch schlimmer kommen können: Er erinnerte an die Folgen des Zerwürfnisses von Knittelfeld, als die FPÖ in der Folge sogar aus dem steirischen Landtag geflogen sei.

Rückblick auf Wahlkampf

Man kann mit deutlich positiveren Vorzeichen zu einer Wahl antreten als Dominik Nepp. Dem 38-jährigen Döblinger, der im Mai 2019 den Vorsitz der Wiener FPÖ übernahm, nachdem sich sein Mentor Heinz-Christian Strache und der frühere Stadtparteichef Johann Gudenus in Ibiza ins politische Aus katapultiert hatten, könnte gleich bei seiner ersten Wahl als Stadtparteichef ein Debakel blühen.

Für Nepp, der lang als Personalreserve in der Wiener FPÖ aufgebaut wurde, dann aber schneller als erwartet aus Straches und Gudenus Schatten treten musste, war es ein schwieriger Wahlkampf. Und das nachdem er die Wiener FPÖ nach Ibiza und Spesenskandal bei 6 Prozent übernommen und sie - zumindest Umfragen zufolge - wieder an 12 bis 13 Prozent herangebracht hatte.

Nepp bekam im Wahlkampf Unterstützung von Hofer und Kickl.

Kurier/Jeff Mangione

Zum einen sah er sich mit einer türkisen ÖVP konfrontiert, die der FPÖ mit der Forderung nach Deutschkenntnissen als Voraussetzung für eine Wohnung im Gemeindebau, der altbekannten Nikolo-im-Kindergarten-Diskussion oder dem strikten Nein zur Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Moria das Wasser abgrub.

Und zum anderen mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der "dank" Wohnsitz-Causa und Würstel-Politik über weite Strecken des Wahlkampfs die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Schon im Vorfeld des Wahlkampfs waren sowohl im Gemeinderat als auch in einigen Bezirksvertretungen SPÖ-Mandatare zu Strache gewechselt.

Dass Nepp im Gegensatz zu Strache "keine Rampensau" sei, wie es ein Insider gegenüber dem KURIER ausdrückte, machte den Stimmenfang in Wien nicht leichter.

Zwei Parteien, ein Programm

Zumindest ein kleines bisschen Auftrieb dürfte den Blauen das Wahlkampffinale am Freitagabend auf dem Favoritner Viktor-Adler-Markt gegeben haben - wo zwei Tage zuvor auch Strache zum "Fest der Freiheit" geladen hatte. Zum Auftritt von FPÖ-Chef Dominik Nepp, der sich allerdings Unterstützung von Bundesparteichef Norbert Hofer und Klubobmann Herbert Kickl geholt hatte, kamen um ein Vielfaches mehr Zuschauer als zum direkten Konkurrenten.

Zum FPÖ-Wahlkampffinale kamen weit mehr Leute auf den Viktor-Adler-Markt als zuvor zu Strache.

Kurier/Jeff Mangione

Inhaltlich unterscheiden sich FPÖ und Strache - wenig überraschend - allerdings nicht wirklich. Beide setzen auf Klassiker: die Angst vor dem politischen Islam, Sicherheitsdefizite und Kritik an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Das große Mobilisierungsthema Migration dürfte den Freiheitlichen im Corona-Krisenjahr wenig geholfen haben.

Schwächste Landesgruppe

Zwei Drittel der Wähler brachen der FPÖ weg, aber bei weitem nicht alle liefen zum früheren (auch Wiener) FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache über, viele der 2015er-Wählern blieben wohl zu Hause. Mehr als 200.000 der bei der vorigen Wahl 256.451 Blau-Wähler verabschiedeten sich diesmal. Strache konnte mit laut Hochrechnung rund 25.000 Stimmen nur einen Bruchteil davon für sich gewinnen.

Dabei hatte sich die FPÖ mit ihm an der Spitze vor fünf Jahren in Wien noch das beste blaue Ergebnis aller Landtagswahlen außerhalb Kärntens - 30,8 Prozent - geholt. Jetzt ging nicht einmal der Wunsch Dominik Nepps in Erfüllung, zumindest zweistellig zu bleiben - und zunächst war noch nicht klar, ob die Blauen (nach der Briefwahlauszählung) auf Platz 4 oder gar nur auf Platz 5 hinter Neos landen. Dabei waren sie in Wien fünfmal seit 1991 (ausgenommen nur 2005) klar zweitstärkste Kraft. Und hatten 2015, weil sie mehr als ein Drittel der 100 Mandate eroberten, erstmals auch den Posten des Vizebürgermeisters bekommen. Den muss Nepp jetzt räumen.

Parteiintern sind die lange Zeit tonangebenden Wiener Blauen jetzt eindeutig die schwächste Landesgruppe - nachdem sie 2015 in der vom Flüchtlingsthema dominierten Wahl sogar die starken Oberösterreicher noch knapp überholt hatten. Jetzt sind die Oberösterreicher - mit 30,4 Prozent - stärkste Landespartei; sie müssen sich im Herbst 2021 der Wahl stellen. Einstellig ist die FPÖ derzeit außer in Wien nur noch im Burgenland, wo heuer im Jänner gewählt wurde - aber mit 9,8 Prozent noch deutlich stärker als in der Bundeshauptstadt.

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