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Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Freundschaften im Porträt

Die Corona-Krise hat aufgezeigt, welchen Stellenwert Freunde in unserem Leben haben – drei Geschichten von besonderen Verbindungen unter besonderen Umständen.
Julia Pfligl

Monatelange Kontaktsperren, virtuelle Zoom-Dates als neues Freitagabendritual, unterschiedliche Zugänge zu den Corona-Regeln: 2020 war – ist – auch das Jahr, das unsere Freundschaften neu wertet und auf die Probe stellt. „Corona war und ist ein Testfall und eine Bewährungsprobe für Freundschaften“, sagt der deutsche Psychologe Wolfgang Krüger, der sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzt. Sein Fazit: Herzensfreundschaften wurden durch die Pandemie noch enger, Durchschnittsfreundschaften, die über gemeinsame Alltagsaktivitäten wie Chorproben oder Radfahren gepflegt werden, eher distanzierter. Krüger nennt sie die „Mir geht es gut“-Freundschaften, die den größten Teil unserer Kontakte ausmachen.

Die digitale Kommunikation konnte soziale Bindungen eine Zeit lang aufrecht erhalten – je intensiver die Freundschaft vorher war, desto länger übersteht sie ohne physischen Kontakt, erklärt der Psychologe. „Mit unseren Herzensfreunden können wir auch telefonieren oder skypen. Wir haben so viele Begegnungen, so viele Umarmungen und Gespräche verinnerlicht, dass wir den anderen spüren, wenn wir ihn auf dem Bildschirm sehen.“

Stabiler als Liebe

Freundschaften seien jedoch immer auf den unmittelbaren Kontakt angewiesen, sagt Krüger: „Man muss sich gelegentlich sehen, sich sogar in die Augen schauen, man könnte sogar sagen: Man muss die Ausstrahlung des Freundes wahrnehmen. Das ist auch jungen Menschen sehr bewusst.“

Der große Facebook-Hype sei daher vorbei – mittlerweile hätte jeder erkannt, dass der virtuelle Freundeskreis in Krisen (oder ganz einfach beim Übersiedeln) wenig hilfreich ist. Facebook-Nutzer sehen nur etwa vier ihrer Online-Freunde als vertraute Bezugspersonen an, offenbarte eine Oxford-Studie 2016.

Die engen Verhältnisse halten laut Krüger bis zu 30 Jahre und sind stabiler als so manche Liebesbeziehung. 50 Prozent der anderen, weniger engen Freundschaften scheiterten innerhalb von sieben Jahren. Ab dem Alter von 23 nimmt die Anzahl der Freunde generell ab – Forscher nehmen an, dass man alle zehn Jahre einen Freund verliert und keinen hinzugewinnt.

Für dich ausgesucht

Die wahre Herausforderung sei es, einander wirklich nahe zu kommen, sagt der Psychologe – nicht nur in Krisenzeiten. Seine Empfehlung: Freundschaftsbriefe schreiben. „Seit Jahren stelle ich mir die Frage: Warum soll man nur Liebesbriefe verfassen? Also bringe ich jeweils am Tag der Freundschaft zu Papier, was mich in den besten Freundschaften im vergangenen Jahr berührt hat.“

Zum heutigen Tag der Freundschaft erzählen zwei Freundschaftspaare und eine Gruppe, was ihre Verbindung so besonders macht und wie ihnen die Freundschaft durch die Krise geholfen hat.

„Man fühlt sich aufgehoben“

Nähe. Mit über 60 hat der Tiroler Paul noch einmal einen neuen Freundeskreis gefunden. Dem späten Glück ging ein familiärer Schicksalsschlag voraus: Vor drei Jahren starb seine Frau, mit der er 35 Jahre verheiratet war. Ganz alleine leben war für den Ziviltechniker keine Option – „und bei den Kindern wollte ich auch nicht einziehen, obwohl wir uns super verstehen“.

Also kaufte er ein Apartmenthaus in St. Johann bei Kitzbühel und gründete die „Wilde Kaiser Hausgemeinschaft“, bestehend aus zehn kleinen Wohnungen, einem großen Garten und geräumigen Gemeinschaftsbereich im Erdgeschoß. Über diverse Plattformen (zum Beispiel www.gold-wg.com) machte sich der Witwer auf die Suche nach Mitbewohnern – und fand Freunde. „Heute leben wir hier zu fünft und man kann wirklich sagen, dass sich eine schöne Freundschaft entwickelt hat. Wir unternehmen viel zusammen, machen Radtouren, gehen wandern oder im Winter Skifahren. Oft kochen wir gemeinsam, aber natürlich kann sich jeder zurückziehen, wenn er möchte. Man fühlt sich einfach gut aufgehoben. Auch in der Quarantäne waren wir somit nicht allein, was ein großer Vorteil war.“

Gipfelstürmer: Die Gruppe liebt die Berge 

Privat

Zur Hausgemeinschaft gehört auch der Deutsch-Spanier José, ein Elektriker, die sportliche Waltraud („Sie ist die Seele des Hauses“) sowie zwei Deutsche. Gerade  wird am Bau einer Sauna getüftelt. „Wir sind aktive Leute, keine Seniorenresidenz“, betont Paul. „Wenn man älter ist, werden ein ähnlicher Humor und gemeinsame Interessen  in Freundschaften noch wichtiger. Und wir wissen, dass wir uns immer auf den anderen verlassen können.“ 

Aktuell sucht die Truppe drei bis vier weitere Hausbewohner zwischen 45 und 65, die „nicht mehr im familiären Verbund sind“ (www.wildekaiserwg.at). „Es sollte jemand sein, der mehr sucht als bloß eine Wohnung. Die Freundschaft ist uns wirklich extrem wichtig.“  

„Unsere Freundschaft war Schicksal“ 

Wer sich für Lifestyle interessiert und in den sozialen Medien unterwegs ist, kommt an den beiden Powerfrauen nicht vorbei: Katharina Hingsammer und Viktoria Heiler (beide 31) zählen zu den erfolgreichsten Influencerinnen  des Landes, gemeinsam haben sie mehr als 200.000 Instagram-Abonnenten. Seit acht Jahren sind sie nicht nur beste Freundinnen, sondern auch Chefinnen ihres Online-Magazins „The Daily Dose“. 

„Unsere Freundschaft war mehr oder weniger Schicksal, denn wir haben uns bei einer Wohnungsbesichtigung kennengelernt“, erzählt Heiler. „Kathi ist in meine alte Wohnung eingezogen – bei der Besichtigung haben wir uns auf Anhieb so gut verstanden, dass wir direkt für die Woche nach dem Umzug eine Girls Night vereinbart haben. Die Abende wurden schnell zum wöchentlichen Ritual. Nach sechs Monaten beschlossen wir, gemeinsam eine Firma zu gründen.“

Katharina (li.) und Viktoria sind beste Freundinnen und Geschäftspartnerinnen 

The Daily Dose

Sieben Jahre später sind die zwei privat wie beruflich immer noch auf Erfolgskurs. Stand die Freundschaft je auf der Kippe? „Nein, zum Glück nicht!“, sagt Hingsammer. „Ich glaube, das würde sich genauso schlimm anfühlen wie eine Trennung vom Partner. Ich wüsste auch gar nicht, was daherkommen müsste, damit wir nicht mehr befreundet sind.“

Ein Pauschalrezept für eine erfolgreiche Zusammenarbeit als Freundinnen gebe es nicht, sagt Heiler. „Wir haben das Glück, dass wir nicht nur sehr ähnliche Vorstellungen vom Leben haben, sondern auch, was unsere Familie und die gelernten Werte angeht. Daher war die Zusammenarbeit von Tag eins  an immer ein absoluter Segen.“

Es gibt keinen Tag, an dem die zwei  – Katharina ist verheiratet, Vicky in einer langjährigen Beziehung – nicht in Kontakt sind. „Auch wenn wir uns mal ein paar Tage nicht sehen, ist die andere Person immer die erste Anlaufstelle für Rat. Egal, ob es einfach nur darum geht, Dampf abzulassen, das morgige Outfit zu planen, sich beruflich zu beraten oder vom Wochenende zu erzählen. Das hört sich intensiv an, ist für uns aber ganz natürlich – wir haben uns einfach wahnsinnig viel zu sagen: Profanes genauso wie Bedeutendes.“  

"Bei einander zu Hause sein"

Isabell und Nina trennen mehr als 1.000 Kilometer, und doch sind sie einander seit fünfundzwanzig Jahren ganz nahe. Während der Studienzeit wuchsen die beiden Wienerinnen zusammen, nach ihrem Abschluss ging Nina nach New York, wo sie ihren französischen Ehemann kennenlernte. Seit mehr als zehn Jahren lebt die 45-Jährige nun schon  mit ihrer Familie in Paris – Isabell blieb in Wien, wurde Unternehmensberaterin und Mutter zweier Söhne. Ihre Wege hätten sich leicht trennen können, doch bis heute vergehen keine zwei Wochen, in denen sie nicht telefonieren. „Die Distanz ist nur bedingt relevant“, sagt Isabell. „Wenn die Chemie stimmt, braucht es nicht viel, um eine Freundschaft aufrecht zu erhalten.“ 

Fern-Freundschaft: Nina (li.) und Isabell 

Privat

Dabei half, dass ihre Biografien quasi synchron verliefen: Sie beendeten ihre Studien, heirateten (Nina war es, die Isabell ihren späteren Mann vorstellte) und wurden im selben Alter Mütter. Nicht immer sind es tiefgehende Gespräche, die sie führen: „Manchmal geht es einfach nur um ein schnelles Rezept oder einen Geschenke-Tipp für den Kindergeburtstag. Ninas Sohn ist nur drei Wochen jünger als meiner,  da haben wir uns am Anfang oft abgesprochen. Und natürlich haben wir einander auch in schweren Zeiten immer beigestanden.“ 

Dazu gehörten die Terroranschläge in Paris, wo Nina „mitten im Geschehen“ war. Oder die Covid-19-Pandemie, die auch Frankreich hart getroffen hat und die gemeinsamen Urlaubspläne der zwei Familien vereitelte. „Bei unserem ,Pyjama-Jour-fixe‘ am Sonntagmorgen haben wir uns regelmäßig ausgetauscht, wie es der anderen geht. Oft geht es einfach nur um ein kurzes Lebenszeichen.“ 

„Unsere Freundschaft erlaubt es uns, im Austausch und im Gedanken bei einander zu Hause zu sein“, sagt Nina. Ihr nächster Wien-Besuch ist schon geplant – die gemeinsame Zeit werden die Freundinnen auch dieses Mal wieder besonders intensiv nutzen.