Anaïs Eriksson, Simon Barbach, Danilo Vukasović, Katharina Koberger und Stella Wendtlandt mit Magazin, Foto-Heft vor einigen der Fotos der Ausstellung

Marina Đorđević

Belgrad entdecken - in Wien, ohne Reisebeschränkungen

Team der „Graphischen“ gestaltete 1. Ausgabe eines Magazins „Made in Balkan“ – Ausstellung in der Photon-Gallery in einem kleinen Kaffeehaus. Jetzt auch das Magazin dum Online-Durchblättern.
Heinz Wagner Heinz Wagner

Ein Schuhschachtel-kleines und doch so großes Kaffeehaus in der Wiener Zieglergasse, gleich neben dem bekannteren Mädchencafé Flash, verströmt einen Mix aus Familiarität und brodelndem künstlerischen Spirit. Vorne im „Coffee and Beard“ (Kaffee und Bart) gerade einmal zwei Tische mit Sesseln und eine Bank, eine kleine Theke mit selbstgemachten Kuchen. Aber gleich dahinter eine Galerie – auch nicht sonderlich groß, weitet aber Blicke. Derzeit – bis 8. August 2020 - auf Belgrad.

Fotos von Künstlerinnen und Künstlern und deren Werken, offiziellen und Untergrund-Galerien, Menschen in Bussen und bei Stationen von Öffis der serbischen Hauptstadt finden sich hier. Ebenso wie fotografische Impressionen von Ada Ciganlija, dem Meer der Belgrader oder von Plattenbauten wie sie zur Linderung von Wohnungsnot in praktisch allen Großstädten in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf Böden am Rande der Metropolen hochgezogen worden sind.

Porträt des Künstlers Djile Marković, fotografiert von Katharina Koberger

Katharina Koberger

Bunt und vielfältig

Eines dieser Fotos wirkt fast künstlerisch inszeniert – von Weitem als wären bunte Wäschestücke Flaggen verschiedener Länder – in einem Bau vereinigt. Und „natürlich“ Fotos von Demos und Protestierenden – die seit Langem einmal wöchentlich die Innenstadt Belgrads bunt, vielfältig und laut bevölkern.

Die Fotos – in unterschiedlichen Formaten von postkartenklein bis Plakat-groß – sind Teil des Magazins „Made in Balkan“, Ausgabe 1: Belgrad. Und dieses Magazin ist die Abschlussarbeit von fünf – mittlerweile – Absolvent_innen des Kollegs von „Die Graphische“ in der Wiener Leyserstraße: Simon Barbach, Anaïs Eriksson, Katharina Koberger, Danilo Vukasović und Stella Wendtlandt.

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Doppelseite aus dem Magazin, gestaltet von Stella Wendtlandt

Stella Wendtlandt

Abschlussprojekt

Als schon vor dem Projekt zusammengewachsenes Team aus den beiden Zweigen Fotografie und Grafik wollten sie nicht nur ihre Techniken kombinieren, sondern hatten von Anfang auch mehrere inhaltlich-künstlerischen Ansprüche: „Wir wollten“ – und das kommt in der kleinen Galerie im Interview mit dem Quintett auch von allen Seiten: „Neues entdecken, das Leben selber sehen lassen, möglichst objektiv die Atmosphäre in den Fotos einfangen“, wobei die jungen Künstler_innen selber gleich den Begriff objektiv relativieren. Denn „es war uns schon von Anfang an ein Anliegen, stereotype Bilder, die viele mit einer Region verbinden, zu hinterfragen, aufzubrechen“ – sie sozusagen mit Gegenbildern zu erweitern.

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Einer der Bauten von Novi Beograd/Neu-Belgrad, festgehalten von Simon Barbach

Simon Barbach

Dann Balkan

Die ursprüngliche Idee, widerständige Künstler_innen im Iran zu portraitieren, wurde – auf Anraten der Schule – „fallengelassen, sei doch zu gefährlich“. Die nächste Idee, die dann auch verwirklicht wurde, drängte sich nahezu auf. Ein Team-Mitglied, Danilo Vukasović, ist in Belgrad aufgewachsen, kam nach Wien, „ich wollte eigentlich Sportwissenschaften studieren, ich hab intensiv Basketball gespielt. Im Deutschkurs hab ich eine Kamera bekommen – das hat mir mehr Spaß gemacht“, schildert er seinen „Umweg“ auf die Graphische.

Somit hatte die Gruppe einen „Anker“ für ihr Projekt. Ihr Mit-Student hatte jede Menge Kontakte zu Künstler_innen der serbischen Hauptstadt, kenn Belgrad wie seine sprichwörtliche Westentasche und die fünf machten sich gemeinsam im Herbst des Vorjahres zu einer fünftägigen Research-Reise auf. „Bei der ersten Reise haben wir uns zuerst einmal inspirieren lassen“, meinen die nunmehrigen Absolvent_innen beim letzten Hängen der Ausstellungsfotos.

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Offline-Website, gestaltet von Anaïs Eriksson

Anaïs Eriksson

Inspiration ergab Gestaltung

Die Inspiration ergab die Rubriken für das Magazin, dessen Gestaltung Stella Wendtlandt übernahm, assistiert von der zweiten Grafikerin im Team, Anaïs Eriksson. Letztere produzierte auch für das Diplomprojekt den Prototyp einer Website – sozusagen eine Offline-Homepage. Die Inspirationen der ersten Reise führten zu – nicht nur, aber vor allem – geplanten Vorgehen bei der zweiten Reise, vorab organisierten Interviews usw.

Von den drei Fotograf_innen spezialisierte sich Simon Barbach auf die Architektur-, Katharina Koberger und Danilo Vukasović auf Menschenportraits. Die beiden zuletzt Genannten führten auch etliche Interviews und insbesondere Vukasović, mit Sprach- und Ortskenntnis-Vorteil konnte auch Belgrader Künstler, vor allem Pavle Tasić dafür gewinnen, Beiträge für das Magazin zu verfassen.

Übrigens fotografiert Vukasović analog – „bewusst. Erstens überlegst du dir – immer geht das nicht, oft aber schon, bevor du ein Foto machst, weil dein Film ja mit jeweils 36 Aufnahmen begrenzt ist. Außerdem mag ich den Prozess. Wenn du die fertig entwickelten Fotos bekommst, ist das wie ein Geschenk, eine Überraschung.“

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Demonstrant_innen, aufgenommen von Danilo Vukasović

Danilo Vukasović

Text follows Fotos

Die beiden Grafikerinnen ließen sich bei der Gestaltung des Magazins von den von allen fünf gemeinsam ausgewählten Fotos – zum Glück alles vor dem Corona-Lockdown – ebenso inspirieren wie von den jeweiligen Themen. Texte – jeweils englisch und serbisch - zu den blockartigen Plattenbauten sind blockartig gesetzt. Die Doppelseiten zu den zivilgesellschaftlichen, überparteilichen, bunten, vielfältigen, lauten Protesten unter dem Motto Wem gehört die Stadt?/Kome pripada grad? sind in unterschiedlichsten Schriften, Stilen und Größen gesetzt.

Fortsetzung?

Irgendwie schwingt bei den fünf Macher_innen ihrer allerersten Ausstellung schon der Wunsch mit, die Magazin-Idee fortzusetzen, auch wenn schon Ausgabe Nummer 1 (130 Seiten) aus Kostengründen nur eine limitierte Auflage (bereits ausverkauft) hat. Und das Ende des Kollegs doch ein „Zerflattern“ bedeutet. Konzipiert für zwei Mal jährlich, soll jede Ausgabe eine andere Stadt oder Region am Balkan portraitieren. Vukasović möchte – „sobald es Corona zulässt, lange mit einem Bus in dem ich arbeite und lebe, den ganzen Balkan abfahren und fotografieren“.

Im Cluster statt in den Cluster

Irgendwie scheint sich ein Bogen zwischen dem „Cluster“ – ein derzeit eher negativ besetzter Begriff, der mit Corona hier aber genau gar nichts zu tun hat – aus Atelier, Galerie, Studio und Shop und einem der portraitierten Objekte Belgrads zu schließen. Kvaka 22, ein alternativer nicht-kommerzieller Kunstraum der serbischen Metropole hat ein altes abgefucktes Gebäude zum kreativen Leben erweckt. Einst Proberaum und Instrumentendepot für das jugoslawische Armee-Orchester, später Zufluchtsstätte für Junkies, später Müllhalde, ist es heute Treffpunkt von unangepassten, mitunter aber auch arrivierter Künstler_innen, Galerie ständig wachsender und wechselnder Ausstellungen bildender zwei- und dreidimensionaler Werke.

Wie eine Miniaturausgabe davon scheint der kreative Co-Working-Space in der Zieglergasse zu wirken. Das Café als Treffpunkt, der kleine Galerieraum, dahinter Stiegen in einen zum Foto- und Tanzstudio ausgebauten Keller – samt Dunkelkammer. Und jetzt, wo Reisen in den Westbalkan und damit nach Belgrad wegen Corona sehr beschränkt sind, eine Möglichkeit, jene die diese Stadt entdecken wollen wenigstens auf diesem Weg ein bisschen erkunden zu können. Und jenen, die Heimweh danach haben, dieses ein wenig zu stillen.

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Das Magazin zum Durchblättern

Hier kannst du das ganze "Made in Balkan"-Magazin online anschauen

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