Chaos de Luxe: First-world-problems

Polly Adler über die Unterschätzung von Freundschaft
Polly Adler Polly Adler

Meine Freundin B. will sich trennen. Ich bin so devastiert wie ratlos. Der Typ ist ein Lotto-Fünfer (Minuspunkt: mühsame Herkunftsfamilie). Entspannt erfolgreich, (eine seltene Kombi), mit Treue-Bonus und ohne Wo-bist-du-wann-kommst-du-so-war-das-nicht-ausgemacht-Terror, dem manche Kerls ihre Herzensdamen aussetzen. Er fand es wichtig, dass meine Freundin Eigenleben besaß, ihre Abende beim Mädchen-Italiener verbrachte und bisweilen allein verreiste. „Warum willst du ihn verlassen? Trägt er heimlich Frauenkleider? Will er einen Hobby-Keller für Zinnsoldaten-Schlachtaufstellungen? Posiert er auf Tinder mit nacktem Oberkörper  vor einem kirschroten Flitzer?“ Sie schüttelte den Kopf: „Wenn er den Raum betritt, höre ich einfach keine Engel mehr singen. Nüsse, nada. Ich mag ihn, er ist mir sogar extrem sympathisch, aber von verzehrender, alles konsumierender Liebe sind wir soweit entfernt wie Österreich von einem Steuerparadies. Wir sind eine Versorgungsgemeinschaft. Ich trage schon Pyjamas im Bett.“ Sie mobilisierte einen Blick, als ob die Rede von einem unheilbaren Hautausschlag sei, und fügte hinzu: „Wir sind tatsächlich mehr Freunde als Liebesgefährten.“ Womit wir schon bei einem Mega-Missverständnis angekommen wären: Freundschaft ist in Wahrheit das Gold aller sozialen Beziehungen. Und weitaus verlässlicher als jede Form der Leidenschaft. Denn irgendwann, meistens so nach einem Jahr, normalisieren sich die exaltierten Passionsspiele zu einem unaufreibenden Wie-war-dein-Tag-Trott. Was ja auch völlig in Ordnung ist. Denn die Welt läge brach, wenn Leidenschaft kein Ablaufdatum hätte. Friedrich Nietzsche war zwar, was seine eigene Vita betrifft, kein ausgewiesen stabiler Beziehungsmensch, vermeldete in „Menschliches, Allzumenschliches“: „Die gute Ehe beruht auf dem Talent zur Freundschaft.“ Das sparte ich mir jetzt und sagte nur: „Meine Tochter würde  sagen: ,First World Problems, Marie Antoinette!’“

Pollys „Nymphen in Not“  am 22. 2., Kulturwerkstatt Melk, 20 Uhr.

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