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Die wildesten Verschwörungstheorien zum Coronavirus im Check

Der Fantasie der Menschen sind keine Grenzen gesetzt. Im Moment äußert sie sich vermehrt in Verschwörungstheorien.
Birgit  Seiser Birgit Seiser Armin Arbeiter Armin Arbeiter

Die Zeiten sind schlecht, wer ist schuld daran? Kann ein unsichtbarer Feind, wie ein Virus, tatsächlich die Welt zum Stillstand bringen? Viele Menschen wollen nicht daran glauben. Ursachen und Antworten zu finden, lässt den Verstand aber leicht in ungeahnte Sphären abdriften. Es entstehen Verschwörungstheorien.  

Bill Gates sei Teil einer Weltverschwörung, wolle die Menschheit mit Mikrochips ausstatten und sich an der Pandemie bereichern. Oder war es die chinesische Regierung, die das Virus absichtlich züchtete, um ihre Feinde auszuschalten?

Der KURIER fragte bei Jürgen Grimm nach. Der Professor der Uni Wien beschäftigt sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien und sagt, Krisenzeiten würden diesen eine attraktive Bühne bieten.

Das Fünkchen Wahrheit

Den meisten wohne sogar ein Funke Wahrheit, oder zumindest eine Grundthese inne: "Jede Verschwörungstheorie muss an etwas anknüpfen, das mit der Realität vereinbart werden kann. Sonst hätten die Theorien ein Problem mit der Glaubwürdigkeit. Nun ist Bill Gates einer der reichsten Menschen auf dieser Erde und hat die Internetkultur geprägt. Solchen Menschen traut man zu, für Krisen verantwortlich zu sein."

Dass Menschen in Krisensituationen wahnhafte Vorstellungen entwickeln, sei laut dem Experten keine Neuheit. Schon als die Pest in Europa wütete, habe man nach einem "Sündenbock", nach einem Verursacher der Krise gesucht. "Wir haben das Problem mit überschießenden Bedrohungsszenarien, die uns, statt zu orientieren, peinigen können und letztendlich zu irrationalen Handlungen verleiten", sagt Grimm

Die Akteure, die in den Verschwörungstheorien zentrale Rollen spielen, hätten laut Grimm eigentlich nur wenig Chance, gegenzuwirken – im Gegenteil. "Verschwörungstheorien funktionieren wie Glaubensvorstellungen von Sekten, die jedes Argument im Sinne ihres Wahnsystems umdeuten."

Würde die chinesische Regierung die Theorie des gezüchteten Virus dementieren, würden sogenannte Skeptiker darin neuen Stoff finden, um ihre Ansichten zu untermauern. Die "Glaubensgemeinschaft" nimmt das bereitwillig hin. Auf der anderen Seite können unbelegte Thesen  auch absichtlich politisch genutzt werden: "Es gibt jene, die versuchen damit ganz bestimmte politische oder ökonomische Ziele zu erreichen. Es gibt aber auch jene, die eine Bühne suchen. Nicht mehr Geld regiert die Welt, sondern Aufmerksamkeit." 

Isolation als Verstärker

Damit spielt Grimm auf die gefühlt Tausenden  Mediziner an, die sich derzeit zu Wort melden. Es sei ein Problem, dass die Öffentlichkeit nicht wisse, woran man sich halten kann: "Mit der Wissenschaft ist es so eine Sache. Wir haben mehrfach erlebt, dass Virologen erst negativ über Masken sprechen, weil sie angeblich nichts nützen. Jetzt werden sie propagiert. Das ist in der Wissenschaft durchaus üblich. Für die Öffentlichkeit ist es aber schwierig, Orientierung zu finden." 

Dass wir uns dazu in Quarantäne befinden, mehr oder weniger eingesperrt sind, verschlimmere die Situation. Das mache  anfällig für irrationale Vorstellungen, die durch tief sitzende Ängste angetrieben werden. "Wir sind die Nachfahren von Menschen, die in Höhlen der Eiszeit ausgesetzt waren und nur dort überleben konnten. Dabei haben die Menschen eine überbordende Fantasie entwickelt. Das sieht man an den Höhlenmalereien", sagt der Experte.

Aus dieser "Fantasiebegabung" stammen kulturelle Höchstleistungen, aber auch extrem realitätsferne Produkte unserer Einbildungskraft. Doch wie kann man sich in dieser Situation vor dem eigenen Hang zu übertriebener Skepsis und vereinfachten Formeln schützen?

Zunächst müsse man akzeptieren, dass jeder Mensch eine gewisse Neigung zu Verschwörungstheorien hat, weil er Bedrohungen erklären wolle. Auf das richtige Maß an Vorstellungskraft komme es an. "Ich bin wie alle Menschen immer nur einen Schritt vom Wahnsinn entfernt und versuche deswegen, eine gewisse kritische Distanz zu bewahren. Wir sind durchaus in der Lage, vernünftiges Krisenmanagement zu betreiben. Wir müssen uns nur eben jeden Tag aufs Neue mit der Realität und den Fakten auseinandersetzen und dabei irrationale Überlegungen aussortieren", sagt Grimm. Das geschieht im persönlichen Gespräch mit anderen, die nicht nur aus dem Kreis Gleichgesinnter stammen sollten. "Also ruhig mal die eigene Höhle verlassen" – fasst der Experte zusammen.

Der KURIER versucht, die meistdiskutierten Verschwörungstheorien – vom Virus, das aus dem Labor stammt, bis hin zu esoterischen Heilungschancen – auf Wahrheitsgehalt zu überprüfen bzw. zu bewerten.  Alle Angaben natürlich ohne Gewähr.

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Theorie 1: "Bill Gates will uns überwachen"

Dass Bill Gates ein äußerst kluger  Kopf ist, ist  bekannt. Vielleicht warnte der Microsoft-Gründer ja deshalb schon 2015 vor einer globalen Pandemie, auf welche  die Welt unzureichend vorbereitet sei.

Möglicherweise aber machte Gates damals  auf ein Geheimprojekt aufmerksam, das er plane. Obwohl das für besagtes Geheimprojekt eher kontraproduktiv wäre, glauben viele Menschen an diese These. In diversen Internetforen mutmaßen Verschwörungstheoretiker,  Bill Gates wolle sich am Coronavirus bereichern. Die beliebteste Theorie der selbst ernannten Aufklärer ist jene, wonach der Tech-Milliardär Mikrochips unter die Haut der gesamten Weltbevölkerung implantieren wolle, um so die absolute Kontrolle über die Menschheit zu erlangen. 

Diese Chips sollten  – laut den Verschwörungstheoretikern –  nicht nur dabei  helfen, Covid-19-Erkrankte  schneller ausfindig zu machen,  sondern auch andere Daten rund um Lebensgewohnheiten liefern. 

Solche Chips gibt es tatsächlich. Wir kennen sie von unseren Haustieren. Ist Schnurli entlaufen, kann man das Frauerl darüber ausfindig machen. Die Forschung, in die Bill Gates investiert, dreht sich allerdings um eine App, die als digitaler Ausweis fungieren könnte.

Eine App? Das kennen wir doch von unseren Handys. Wenn man so will, forscht das Team um Gates an einer ähnlichen Technologie wie in Österreich das Rote Kreuz (wenn auch in einer globalen Hightech-Variante).

Wahrscheinlichkeitsgehalt der Theorie: Drei Viren

Ein Funke Wahrheit ist gegeben, Gates beschäftigt sich mit dem Thema. Vieles ist aber Erfindung. 

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Theorie 2: "5G-Handymasten aktivieren Virus"

"Brenn Handymast, brenn!": Diese Parole wurde in den vergangenen Wochen öfter bemüht, als 5G-Skeptiker in ganz Europa Handymasten anzündeten. Allein in Großbritannien gingen fast 60  Masten, die eigentlich nur für schnelleres Internet sorgen sollten, in Flammen auf.

Warum? Weil ihre elektromagnetischen Strahlen  die Ausbreitung der Pandemie begünstigen, glauben Verschwörungstheoretiker.

Grundlage für diese absurde Theorie sind Berichte aus China, wonach die Installation von 5G-Handymasten im Epizentrum der Pandemie, Wuhan, zeitlich mit dem Ausbruch des Virus zusammenfielen.  Später spaltete sich die 5G-Coronavirus-Theorie in mehrere Stränge auf. Es gibt etwa Spekulationen, dass 5G-Strahlung das Virus im Körper aktiviert. 

Eine andere Theorie besagt, dass das  Virus absichtlich verbreitet wurde, um die Folgen von 5G zu vertuschen. Im schlimmsten Fall sind sowohl 5G als auch das Virus Teil eines größeren Plans, um die Erdbevölkerung zu dezimieren – harter Tobak. Weil die Thesen immer bizarrer wurden, sah sich die Weltgesundheitsorganisation schließlich dazu genötigt, folgende Aussendung zu machen: "Viren können nicht über Funkwellen oder Mobilfunknetze übertragen werden." 

Abgesehen davon: Wer weiß, welches Risiko  so mancher Handy-begeisterte Teenager  in Kauf nehmen würde,   wenn dafür im Gegenzug das Internet schneller würde.

Wahrscheinlichkeit: 0 Viren

Diese Theorie ist absoluter Humbug. Es gibt keine Studien, wonach Handystrahlen gefährlich wären.  

Theorie 3: "Esoterik hilft"

Die FPÖ kennt Energie belegtermaßen in Form von Energydrinks mit Wodka. Einer Grazer FPÖ-Politikerin wohnt die Energie aber auch ohne fördernde Getränke inne. Ende März teilte sie auf ihrer Facebook-Seite einen Link, wonach gleichzeitige, weltweite Meditation zur "endgültigen Auslöschung" des Coronavirus führen würde.

Doch obwohl dieser Aufforderung möglicherweise  einige  Menschen gefolgt sind, breitete sich die Pandemie erstaunlicherweise weiter aus. 

Meditation ist aber nicht die einzige Lösung, die die Esoterik auf Lager hat. In mehreren Internet-Foren wurde die "Nummer zum Corona-Glück" publiziert. Zahlen hätten schließlich eine magische Wirkung. Besonders wichtig: Je schlimmer die Krankheit ist, desto größer muss die Zahl sein. Gegen Corona hilft laut der Numerologie die 537354.

Nun reicht es aber nicht, die Zahl einfach vor sich hin zu murmeln. Man muss sie schon auf einem Zettel ausdrucken und sie überall dort platzieren, wo sie strahlen und wirken kann. Sogar Politiker wurden darum gebeten, Plakate in Krankenhäusern, Bahnhöfen und anderen stark frequentierten Orten anzubringen – ein Rat, der  von sämtlichen Amtsträgern ignoriert wurde.

In den Augen von Energetikern ist das reine Blasphemie, schließlich komme die Zahl nicht einfach "irgendwo" her: Die Zauberformel sei von einem Wesen aus einer unsichtbaren Welt vorgegeben. Fazit: Das ist nicht nur unsichtbar – es ist vor allem unfassbar. 

Wahrscheinlichkeit: 0 Viren

Diese Theorien entbehren jeglicher Grundlage. Tragen Sie lieber Maske und waschen Sie Ihre Hände.

Theorie 4: "Grippe ist genauso schlimm"

Streunt man dieser Tage durch soziale Netzwerke, ist man mit Hunderten Interviews von Medizinern konfrontiert, die erklären, dass das Coronavirus eigentlich gar nicht so dramatisch sei. Influenza, also die Grippe, sei genau so schlimm. 

Einer der Verfechter dieser und ähnlicher Thesen ist Wolfgang Wodarg. Der deutsche Arzt und SPD-Politiker saß sogar im Bundestag und im Europarat. Auf seiner Homepage sind folgende Zeilen zu lesen: Die Pharma-Industrie und ihre Virologen versuchen derzeit, aus durchsichtigen Gründen, den Erreger SARS-CoV2 als stabilen Feind zu definieren.  Eine „coronafreie Welt“ ist das erklärte Ziel des impf-besessenen Bill Gates und seiner politischen Freunde. Man versucht, uns die Illusion eines klar definierbaren Gegners in der Welt der Viren einzureden.  

Auch Wodarg bemüht also wieder Bill Gates. Laut dem Mediziner ginge es nur um  das Geschäft mit den Tests, mit riskanten Arzneimittelstudien und um die staatliche Durchsetzung einer weltweiten und für die Impfstoffhersteller risikolosen Impforgie. Wodarg wird von Kollegen seit Beginn der Krise heftig für seine Aussagen kritisiert.  Ein Problem ist allerdings, dass es sich bei Wodarg eben um einen echten Mediziner handelt, der noch dazu eine wichtige politische Rolle in Fragen der Sicherheit und Medizin in Deutschland und Europa inne hatte. Obendrein gibt es derzeit weiterhin nur wenige belegte Studienergebnisse in Sachen Corona. Wodargs Aussagen zu komplett zu negieren, ist deshalb schwierig. 

Wahrscheinlichkeit: 2 Viren

Wir wissen, dass wir über Corona wenig wissen. Wodargs Theorien klingen teils absurd – bewiesen ist nichts. 

Theorie 5: "Haustiere sind Virenschleudern"

Der erste Bericht, dass eine chinesische Katze positiv auf das Coronavirus getestet wurde, dürfte Haustierhalter in der aller Welt in Alarmbereitschaft versetzt haben (es handelte sich bei besagtem Tier übrigens um  eine Hauskatze und nicht um eine, die zum Verzehr vorgesehen  war).

Das Kuscheln fiel in so manchem Haushalt nach dieser Meldung vermutlich aus. Tatsächlich leiden Hunde und Katzen sehr häufig an Erkrankungen mit Coronaviren. Die Fell-Gefährten husten aber nicht. Vielmehr  setzen sich Coronaviren  bei Tieren meistens im Darm ab und führen zu Entzündungen.
Das ist für das Tier natürlich unangenehm. 

Solange man sich aber nicht dazu entschließt, das Haustier notzuschlachten  und zu verzehren, ist man als Mensch vor einer Ansteckung sicher – das ist zumindest der derzeitige Stand der Forschung. 

Untermauert wird das etwa durch den  deutschen Virologen Hendrik Streek, der  Katzen untersuchte, die in Haushalten mit mehreren Covid-19-kranken Personen  lebten. Alle Katzen waren Corona-negativ. Was momentan als wissenschaftlich wahrscheinlich gilt, ist, dass das neuartige Coronavirus auf Wildtiermärkten in China auf den Men übertragen wurde.

Ursprünglich hätte sich das Virus in der Fledermaus entwickelt. 
Als Zwischenwirt diente dann das Schuppentier, dessen Fleisch in China als Delikatesse gilt. Ihm wird sogar heilende Wirkung zugeschrieben – bisher zumindest.

Wahrscheinlichkeit: 2 Viren

Haustiere haben den Ruf als Virenschleudern zu Unrecht. Aber:  Corona wurde anfangs von Tieren übertragen. 

Theorie 6: "Nikotin und Alkohol helfen"

So viel Alkohol wie dieser Tage haben unsere Hände zuvor wohl nie gespürt. Hochprozentiges hilft, Viren an den Fingern abzutöten – warum also nicht gleich im Mund weitermachen? Kurz nach Ausbruch der Krise machten lustige Bilder in sozialen Netzwerken die Runde, wonach zum Beispiel Bier vor dem Covid-19-Erreger schützen soll.

Das entspricht nicht der Wahrheit – im Gegenteil. Alkohol schwächt das Immunsystem und macht den Körper deshalb anfälliger für Krankheitserreger. Alkohol sollte daher nur in Maßen genossen werden. Die Österreicher halten sich daran und haben ihren Konsum laut einer Studie der Uni Wien eher minimiert.

Eine andere Meldung, die im Internet viral ging, besagt, dass Nikotin vor dem Coronavirus schütze. Alle Raucher atmeten auf bzw. einen Zug von der Zigarette ein. 

Die Meldung beruht auf einer Studie aus Frankreich. Bei Untersuchungen von Covid-19-Patienten in Spitälern kam heraus, dass ein sehr geringer Anteil Raucher waren. Von den 500 Covid-19-Infizierten griffen nur fünf Prozent regelmäßig zur Zigarette, erklärte der Studienleiter und Professor für Innere Medizin, Zahir Amoura
Die Hypothese ist, dass Nikotin an Zellrezeptoren anhaftet, die vom Coronavirus genutzt werden und damit die Anhaftung des Virus verhindert. Nun wird in Frankreich mit Nikotinpflastern geforscht. Die Wissenschafter weisen aber darauf hin, dass die Studienergebnisse vorsichtig interpretiert werden müssen – und Rauchen natürlich ungesund ist. 

Wahrscheinlichkeit: 2 Viren
 

Alkohol hilft nur auf der Haut gegen Viren. Mit Nikotin wird aber tatsächlich geforscht.