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Flüchtlinge: Wie es nach dem Türkei-Deal weitergeht

Merkel trifft Erdogan in Istanbul - zentrales Thema werden die Flüchtlinge sein. Griechenland stürzt in "Migrationskatastrophe".
Karoline Krause-Sandner Karoline Krause-Sandner

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel reist von Davos gleich weiter nach Istanbul. Dort trifft sie auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Beziehungen der beiden Länder sind angespannt, spätestens seit der Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Denis Yücel, der etliche Festnahmen von Erdogan-Kritikern (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) folgten.

Doch die Türkei und Europa brauchen einander. Nicht zuletzt, um der Migrationsströme aus dem Nahen und Mittleren Osten Herr zu werden. Die Gefechte im syrischen Idlib verschärfen sich, 350.000 Menschen befinden sich an der Grenze zur Türkei auf der Flucht. Zudem mehren sich die Flüchtlingsankünfte auf den griechischen Inseln, seit Monaten schlagen die Behörden dort Alarm (siehe unten).

Das Thema Migration wird das heutige Treffen von Merkel und Erdogan dominieren. Das zeichnete sich bereits im Vorfeld ab, nach einem Interview des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu in der "Bild Zeitung". Dort kritisierte der Minister die EU, weil diese die im Flüchtlingsabkommen mit der Türkei versprochenen sechs Milliarden Euro bislang nur zum Teil ausgezahlt habe.

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Gegenseitige Schuldzuweisungen

Ankara und Brüssel beschuldigen einander gegenseitig, sich nicht an die Vereinbarungen des EU-Türkei-Abkommens aus dem Jahr 2016 zu halten. Den Vorwurf Cavusoglus wies die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Donnerstag gegenüber der französischen AFP zurück. Bis Ende 2020 sollen insgesamt vier Milliarden Euro ausbezahlt werden.

Die EU hatte Ankara 2016 insgesamt sechs Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei zugesagt. Die türkische Seite verpflichtete sich hingegen, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Migranten zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen.

Die Türkei kritisiert die Auszahlung der Gelder regelmäßig als zu langsam, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat auch bereits mehrfach mit der Aufkündigung des Flüchtlingspaktes gedroht.
„Wir zahlen jeden Monat“, sagte Johansson. Nach Angaben vom Dezember erwartet die EU-Kommission, dass aus dem Flüchtlingspakt in diesem Jahr nochmals rund eine Milliarde Euro fließt. Damit wären Ende 2020 rund vier Milliarden ausbezahlt. Der Rest soll bis 2025 folgen.

"Die EU braucht beim Zahlen immer lange", sagt Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative, ein Thinktank, der an der Entwicklung des EU-Türkei-Deals von 2016 maßgeblich beteiligt war. In diesem Fall gehe es sogar "erstaunlich schnell". Die drei Milliarden aus der ersten Tranche seien fast zur Gänze geflossen. Und auch aus der zweiten Tranche wurden bereits mehrere Millionen gezahlt. "Insgesamt sind derzeit bereits mehr als drei Milliarden geflossen", so Knaus zum KURIER.Statt einander gegenseitig Vorwürfe zu machen, solle man sich längst darauf konzentrieren, "was als nächstes kommt", so der Migrationsexperte.

100.000 syrische Babys jedes Jahr

Die Türkei beherberge mit 3,6 Millionen Syrern bereits einen Großteil der Flüchtlinge des Krieges, dreimal so viel wie Europa. "Und die Zahl der Syrer in der Türkei nimmt stetig zu", warnt Knaus - nicht, weil so viele neue kommen, sondern vor allem wegen der Geburten: Rund 100.000 syrische Babys werden im türkischen Exil jedes Jahr geboren. Die Zahl der schulpflichtigen Syrer habe die Million bereits überschritten.

"Die Situation der Syrer in der Türkei muss verbessert werden, das ist auch im Sinne Europas", so Knaus. Europa könne weiterhin vor allem finanziell helfen. Derzeit leben rund 1,7 Millionen Syrer in der Türkei von Sozialhilfen, die von der EU finanziert werden.

Die Türkei wünscht sich als Gegenleistung für die Versorgung der Syrer etwa eine Visa-Erleichterung für Türken sowie Beitrittsperspektiven. Doch bei den Gesprächen über einen EU-Beitritt gibt es momentan „keine Fortschritte“, so EU-Kommissarin Johansson. Der Grund ist vor allem auch das Vorgehen der türkischen Regierung gegen ihre Kritiker innerhalb des Landes.

"Migrationskatastrophe" in Griechenland

Während die Flüchtlingsankünfte in Europa insgesamt zurückgehen, wird die Situation auf den griechischen Inseln immer schlimmer. Im vergangenen Jahr sind dort rund 60.000 Flüchtlinge aus der Türkei angekommen - ein Anstieg von 83 Prozent. Angesichts der hohen Zahl an Flüchtlingen in der Türkei selbst sei das zwar wenig, sagt Knaus. Doch die griechischen Behörden kommen mit der Bearbeitung der derzeit 88.000 offenen Asylanträge nicht nach. Außerdem werden die Ankünfte weiter steigen.

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Vor allem auf Lesbos (Lager mit 19.225 Migranten), Chios (5.695) und Samos (7.208) herrscht aggressive Stimmung. „Unsere Inseln können nicht länger Lager verloreren Seelen leidtragender Menschen sein“ Regionalgouverneur der Ägäisinseln, Kostas Moutzouris.

„Wir wollen unsere Insel zurück“, riefen Tausende Bewohner von Lesbos bei Demonstrationen, die auf die für sie unerträgliche Situation der Lager aufmerksam machen wollten. Nach umfangreichen Protesten der Lokalbevölkerung hat die Regierung in Athen beschlossen, das Migrantenlager von Moria auf der Insel Lesbos sowie vier andere Lager auf den Inseln Chios, Samos, Leros und Kos zu schließen. "Wir werden diese Lager bis zum Sommer 2020 schließen", erklärte Migrationsminister Notis Mitarakis im Staatsfernsehen.

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat die Europäische Union immer wieder scharf dafür kritisiert, immer noch keine nachhaltige Lösung für die Verteilung von Flüchtlingen gefunden zu haben.

Drohungen des Präsidenten in Ankara, die Türkei werde für die Millionen Flüchtlinge in ihrem Land die „Türen nach Europa“ öffnen, bezeichnet die griechische Regierung indes als "Einladung" an Migranten und Schmuggler.

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