via REUTERS/SPUTNIK

Politexperte Ischinger: "Russland würde nur zur Show verhandeln"

Auf echte Gespräche werden wir noch warten müssen, sagt Wolfgang Ischinger, ärgert sich über "Megafondiplomatie" und warnt vor einer Hochrüstungsspirale.
Evelyn Peternel Evelyn Peternel

Wolfgang Ischinger gilt als einer der renommiertesten Außenpolitik-Experten Europas: Der 76-Jährige war deutscher Botschafter in den USA, von 2008 bis 2022 leitete er die Münchner Sicherheitskonferenz, bei der von US-Präsident Obama bis zum Autokraten Lukaschenko fast alle wichtigen Staats- und Regierungschefs zu Gast waren. Er kennt aber auch die stille Welt der Diplomatie und weiß, wie sehr die zunehmend schriller werdende Politik deren Bemühungen übertönt.

KURIER: Sie gelten als einer der bestvernetzten Diplomaten Europas. Wissen Sie von einem Austausch zwischen der Ukraine und Russland, dem Westen und Moskau? Und wie fruchtbar ist der?

Wolfgang Ischinger: Natürlich gibt es Kontakte. Die Frage ist nur, ob sie nützlich sind, und ob sie auf der richtigen Ebene stattfinden – und da habe ich große Zweifel. Beim G-20-Gipfel in Bali war ja der russische Außenminister Sergej Lawrow dabei, daneben gibt es relativ hochrangige Kontakte zwischen Russland und den USA zur Rüstungskontrolle, und es findet Krisenkommunikation statt, etwa beim Raketeneinschlag in Polen. Aber ohne hier Staatsgeheimnisse zu verraten: Diese Gespräche sind nicht sehr fruchtbar.

Liegt das auch an der "Diplomatie per Megafon", wie Sie die Krisenbewältigung der letzten Jahre einmal genannt haben? Dass alles immer gleich kommuniziert und kommentiert werden muss?

Ja, Politik ist populistischer geworden, sie ist auch nervöser geworden. Ich vermute, das hängt mit den sozialen Medien zusammen: Vor 20 Jahren hätte man über eine Krise frühestens aus den Morgenzeitungen erfahren, heute wird sie in Echtzeit hunderttausendfach auf Twitter kommentiert. Dadurch erliegen Politiker dem Zwang, rasch zu zeigen, dass sie nicht eingeschlafen sind. Außenpolitik findet im Zeitraffertempo statt, und die "Megafondiplomatie" drängt sich immer mehr in den Vordergrund: Jeder Politiker muss jeden Tag zeigen, dass es ihn noch gibt – leider.