APA - Austria Presse Agentur

Jamie Cullum gibt sich mit seinem neuen Album "Taller"

Jamie Cullum hat Sinn für Humor. Immerhin hat der britische Jazz-Popper, der nicht zu den hochgewachsenen Männern gehört, sein neues Album "Taller" getauft. Darauf enthalten sind zehn Eigenkompositionen des 39-Jährigen, die nicht nur seinen Variantenreichtum zwischen treibendem R'n'B und gefühlvoller Ballade offenbaren. Sie zeigen auch seinen Kampf gegen das "Peter-Pan-Syndrom", wie er erzählt.

Es sind einige Jahre vergangen, seit Cullum eine Platte veröffentlicht hat. "Ich habe auch schon vor längerem begonnen, an etwas Neuem zu arbeiten, ich war aber nicht glücklich damit", erzählte er im Interview. "Diese Songs haben mich nicht repräsentiert. Dabei ging es weniger um mich als Musiker, als viel mehr um mich als Mensch." Viel sei passiert in seinem Leben. "Gutes wie Schlechtes, wie es nun mal so ist. Nichts davon war eine Offenbarung. Aber als Musiker bist du einfach in diesem Veröffentlichungsrhythmus gefangen, das ist wie ein Peter-Pan-Syndrom. Du fokussiert dich nicht so sehr auf das Erwachsenwerden."

Was als Single durchaus okay sei, war für ihn - Cullum ist seit 2010 mit dem ehemaligen Model Sophie Dahl verheiratet und Vater zweier Töchter - letztlich eine Herausforderung. "Ich habe meine Zeit darauf verwendet, ein besserer Ehemann und Vater zu sein. Außerdem habe ich auf meine Vergangenheit geschaut. All das ist aber gar nicht so zwingend in die Musik eingeflossen. Es war sogar befreiend, die Songs, die damals entstanden sind, beiseitezulegen. Die Welt wartet ja nicht gebannt auf eine neue Platte von mir", lachte Cullum.

Dass es am Freitag nun doch so weit ist, hat auch mit einem neu gefundenen Selbstvertrauen zu tun. "Ich fühlte mich ein bisschen verloren, wenn ich ehrlich bin", zeigte sich Cullum nachdenklich. "Ich musste erst zu mir als Person zurückfinden. Als das klappte, kamen auch die Songs. Und dann war auch klar: Es muss ein Album mit meinen Songs werden. Sie strahlten eine neue Art von Ehrlichkeit aus. Ab diesem Zeitpunkt ging es sehr schnell - ich habe zehn Songs geschrieben und aufgenommen, nicht mehr und nicht weniger."

Die haben es dafür in sich: Das Titelstück begeistert mit knackigem Groove und Cullums einnehmender Stimme, in "The Age of Anxiety" wird es melancholisch-verträumt und "Usher" begeistert mit einem coolen Saxofon-Riff, das ordentlich in die Beine fährt. Es sind unterschiedlichste Emotionen und Geschichten, die der Brite vermittelt. Auf die Vielseitigkeit angesprochen, grübelte Cullum: "Ich weiß nicht, ob das ein Erfolg oder ein Scheitern ist. Ich habe sicher nicht an ein bestimmtes Genre gedacht." Unterstützt wurde er von Troy Miller, einem langjährigen Kollegen. Aber ansonsten sei es ein "sehr intimes Arbeiten" gewesen. "Ich habe aber schon das Gefühl, dass es eine stilistische Verbindung gibt. Vielleicht ist sie nur für mich erkennbar, aber sie ist da."

Ein roter Faden zieht sich jedenfalls durch die Texte - beziehungsweise ihr Entstehen. "Sie standen am Anfang, was untypisch ist für mich", so Cullum. Dabei habe er sich durchaus geöffnet. "Das fühlte sich ungewohnt an. Ich will nicht sagen, dass meine alten Sachen unehrlich waren. Aber ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem man sich nicht sofort alles erzählt hat." Das habe er erst durch seine Frau kennengelernt. "Nun konnte ich in den Songs Dinge ansprechen, die ich vorher nicht thematisiert habe. Es war definitiv neues Terrain für mich. Für jeden Song wusste ich genau, was ich sagen wollte."

Ein Beispiel ist "Mankind", in dem Cullum seinen Glauben an die Menschheit artikuliert. Und das trotz Hass im Netz, politischer Umwälzungen und Rechtsruck? "Was bleibt uns sonst übrig?", entgegnete Cullum lachend. "Dieser Song ist ja mehr eine Konversation. Es gibt nämlich Momente, in denen ich diesen Glauben nicht habe. Oder zumindest sind es oft nur die Frauen, an die ich wirklich glaube. Aber ehrlich gesagt: Ich bin mir einfach nicht sicher." Beobachte man die Nachrichten, könne man den Eindruck gewinnen, "dass alles auseinanderfällt. Vielleicht war das aber immer schon der Fall, nur wussten wir darüber nicht so viel wie heute."

Als dezidiert politischer Künstler sieht sich Cullum deshalb allerdings nicht. "Ich bin einfach eine Person, die auf diesem Planeten lebt wie jede andere und von diesen Dingen beeinflusst wird. Ich schreibe über das, was hochkommt." Für "Taller" sei ihm wichtig gewesen, etwas abzuliefern, das "essenziell" ist. "Man kann auch 'No Filler' dazu sagen", schmunzelte der Sänger. "Kein Wort, kein Ton sollte umsonst sein." Bei alledem wolle er "einfach ehrlich" sein. "Ich habe das Gefühl, dass ich mich derzeit als Künstler und Person stark weiterentwickle." Wie das live klingt, davon kann man sich am 9. Juli in der Wiener Staatsoper im Rahmen des Jazz Fest Wien überzeugen.