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Ho-Chi-Minh-Stadt für Hungrige

Vietnam hat kulinarisch mehr zu bieten als Pho-Suppe und Garküchen. In Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, gibt es längst auch vegetarische Bio-Restaurants. Nachhaltigkeit ist hier zum Lifestyle geworden - aber auch eine Antwort auf das wachsende Müllproblem.

Plastikmüll macht Yen-Linh wütend. Als vor der Tür ihres Restaurants "Royal Saigon" wieder einmal rosa Tüten mit Unrat lagen, reichte es der Vietnamesin. Kurzerhand warf sie Chipstüte, Joghurtbecher und Plastikflasche in das Zierfischaquarium in ihrem Lokal. Ein Sinnbild für den Plastikschrott, der jeden Tag den Müllteppich im Südchinesischen Meer erweitert. Seitdem schwimmen ihre Fische zwischen Abfall herum, als Teil eines Lehrstücks.

Yen-Linh ist als Tochter zweier Boatpeople in Deutschland aufgewachsen, als ein Kind von Südvietnamesen, die nach dem Krieg in den 1970er Jahren flüchteten. Sie serviert heute Einheimischen ebenso wie Touristen zum Lunch Kokoswurzelsalat, gedünstete Austernpilze und frittierte Drachenbohnen. Die schmecken köstlich zum Te-Te-Bier aus der Craft-Brauerei. Alles frisch und appetitlich angerichtet - wäre da nicht die Mini-Müllkippe nebenan.

Geschätzt zehn Millionen Einwohner, mehr als acht Millionen Motorroller, 11.000 Tonnen Müll pro Tag, vom Hausmüll über Bauschutt bis zu Industrieabfällen: Das sind Eckdaten, die Umweltaktivisten in Ho-Chi-Minh-Stadt auf die Palme treiben. Mit einer Kampagne für Bambustrinkhalme, Pfandflaschen und Porzellanbecher kämpfen sie um saubere Gewässer. Ganz nebenbei hat sich daraus ein angesagter Lebensstil entwickelt, den auch viele Urlauber entdecken können: Sie wohnen in begrünten Öko-Hotels, schlürfen Biosäfte in den Rooftopbars und verspeisen an vegetarischen Imbissständen frittiertes Gemüse.

Der 57-jährige Do Truoc ist ein gut verdienender Reiseleiter, doch seine Jugend bestimmten einst rationierter Reis und monatliche Fleischzuteilungen im Sushiformat. "In Chemnitz habe ich mich das erste Mal in meinem Leben satt gegessen", erinnert sich Do an sein Maschinenbaustudium in den 1980er Jahren. Heute möchten gut situierte Vietnamesen nicht nur viel, sondern auch gesund essen. Vegetarische und vegane Restaurants sprießen in Ho-Chi-Minh-Stadt wie Austernpilze aus dem Boden. "BioGarten", "Organic Box" oder "Organica" heißen sie und bieten neben heimischem Gemüse meist Importe aus Europa.

Ho-Chi-Minh-Stadt ist für auswärtige Besucher ein rasantes Erlebnis. Es gibt keine bessere Art, das Lebensgefühl hier zu erspüren, als auf dem Rücksitz eines Taxiscooters durch das Verkehrsgewühl zu brausen. Miniröcke im Damensitz, Anzugbeine im Auspuffqualm, Musikboxen auf Trittbretter geschnallt, Einkaufskörbe zwischen Vater, Mutter und Kind gezwängt - alle rollen gemeinsam und jeder für sich zum Ziel. Auch Manager nehmen den Roller. Die knatternde Lawine schiebt sich ohne Hupen, ohne Schimpfen, ohne böse Gesten weiter, teilt sich an der nächsten Kreuzung und fließt zu einem neuen Strom zusammen.

Klassenunterschiede gibt es trotzdem. Wer sich eine Vespa leisten kann, trägt die Nase oben. Noch einmal rechts abgebogen, durch schmale Gassen an Suppenküchen, Friseuren und Wohnzimmern vorbei. Hinter den Eingängen quäken Karaoke-Shows, grüßen die Bewohner freundlich vom Fernsehsessel aus. Dann ist das Ziel erreicht.

Unter dem bunten Ladenschild "Them" (Verlangen) steht eine rote Vintage-Vespa. Drinnen liegen in Holzkisten buckelige Pomelo, hutzeliger Ingwer, erdige Galgantwurzel und kleine Melonen. Doch die Gesichter von Phuc und Khanh, 27 und 24 Jahre alt, strahlen: Erdig und schrumpelig ist ihnen recht. So sieht jeder, dass ihr Obst organisch angebaut wurde. "Ohne Pestizide", versichert Khanh. Seine Familie betreibt außerhalb der Stadt einen großen landwirtschaftlichen Betrieb.

Mitten im Herzen von Ho-Chi-Minh-Stadt haben die beiden einen Laden gemietet. Nebenan eine vegetarische Suppenküche, um die Ecke Boutique-Hotels, Hostels, angesagte Bars und Büros in Laufweite. "Genau unsere Klientel", sagt Phuc. "Startups wachsen hier wie Lotus im Sumpf. Man muss sie nur pflücken." Nebenan klopft und hämmert es. Das nächste Gästehaus wird ausgebaut. Im Laden hat Khanh Melone, Bananen und Mango auf einem kleinen Brett angerichtet, dazu ein paar Smoothies. Organisch hin oder her, die Früchte schmecken so frisch und aromatisch, dass man sich daran satt essen möchte.

Mit sich und der Welt in Einklang zu sein, ist Buddhisten ein Bedürfnis. Vegetarische Tage, die der Mondkalender bestimmt, dienen der inneren Reinigung. Im Restaurant "Hum" werden sie zum Lifestyle. Schon beim Eintreten klappern die Eiswürfel in den Shakern. Vorbei an der Cocktailbar führt es Besucher zu eleganten Holztischen. Safransuppe, Bananenblütensalat, gebratene Palmherzen und zart schmeckender, hausgemachter Tofu werden gereicht, alles pflanzlich. Nach und nach füllt sich der Tisch mit schönen Schalen und Tellern.

Do Truoc spricht noch einmal von der Vergangenheit. Wie er als Soldat mit schwerem Rucksack und Maschinengewehr über dem Kopf durch wilde Flüsse schwamm. "Welches Glück, dass wir uns heute um Plastikmüll sorgen und nicht mehr ums tägliche Überleben", sagt er beim Abschied. Und wirft sein Bonbonpapier gewissenhaft in den nächsten Müllbehälter.

Vegane und vegetarische Küche mit viel Obst ist zum Lifestyle geworden

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Viele Restaurants in Ho-Chi-Minh-Stadt setzen auf organische Zutaten

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Phuc und Khanh stehen mit ihrem "Them" für den Trend in Ho-Chi-Minh-Stadt

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