Augustin-Logo; Collage von k.at

Interview: Warum wir alle wieder öfter den "Augustin" kaufen sollten

Der "Augustin" kämpft mit finanziellen Schwierigkeiten, die Auflage ist in den letzten Jahren stark gesunken. Wir haben eine der Macherinnen gefragt, wie diese Entwicklung gestoppt werden soll.

Vor zehn Jahren produzierte der Augustin 35.000 Exemplare pro Auflage – heute sind es nur noch etwa 18.000. Alle zwei Wochen bringen 14 fixe Mitarbeiter_innen und freie Autor_innen den Augustin heraus, der von etwa 300 Menschen auf den Straßen Wiens verkauft wird. Immer weniger Passant_innen scheinen sich angesprochen zu fühlen, was den Verein in große Bedrängnis bringt. Schuld daran: Einerseits der Medienwandel – alle lesen in den Öffis Heute und Österreich. Aber auch soziale Kälte scheint ein ausschlaggebender Punkt zu sein.

Wir haben mit Eva Rohrmoser, die unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit für den Augustin innehat, über die Schwierigkeiten, mögliche Lösungen und die Folgen gesprochen.

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k.at: Mit welchen Problemen hat der Augustin derzeit zu kämpfen?
Eva Rohrmoser: Eines der zentralen Probleme ist der Rückgang des Zeitungsverkaufs, weil uns damit eine wichtige finanzielle Basis verloren geht. Kund_innen geben den Verkäufer_innen eher eine kleine spende, als 2,50 zu investieren und die Zeitung mitzunehmen, das hat sich als Alltagspraxis etabliert. Gut gemeint, aber damit geht eine Finanzierungsgrundlage für den Verein verloren, denn wir sind auf die 1,25 Euro aus dem Verkauf angewiesen. Einen weiteren Grund sehen wir darin, dass Verkäufer_innen zunehmend auch um den öffentlichen Raum kämpfen müssen. Das heißt, gerade Nicht-Deutschsprachige sind vermehrten Kontrollen durch Polizei und private Sicherheitsdienste ausgesetzt. Das vermindert die gesamte Aufenthaltsdauer auf ihrem Verkaufsplatz, weil jede_r nur mehr so lange verkauft, bis das nötige Geld für den momentanen Bedarf zusammen ist, und damit auch die Absatzzahl der Zeitung.

Wie tragen das soziale Klima und die politische Lage zur Tatsache bei, dass weniger Augustin-Ausgaben verkauft werden?
Ich glaube, dass vieles sagbar, denkbar und administrierbar geworden ist, das vor fünf Jahren noch nicht in dieser Form möglich gewesen wäre. Zum Beispiel Ausweisungen von EU-Bürger_innen ohne rechtliche Prüfung, Verwaltungsstrafen in unverhältnismäßiger Höhe für weggeworfene Zigarettenstummel, Verkaufsverbote vor Lebensmittelgeschäften ohne einen Anlass oder eine Begründung. Aber wir erleben natürlich auch, dass Kund_innen nachfragen, wenn sie eine_n Verkäufer_in vermissen.

Glauben Sie, dass AugustIn-Verkäufer_innen im öffentlichen Raum als störend wahrgenommen werden?
Ich glaube, dass Augustin-Verkäufer_innen eher in der Ausnahme als störend erlebt werden und ich denke es hängt mit einer seit Jahren andauernden Kriminalisierung von armutserfahrenen Menschen zusammen. Vielen wird auch durch mediale Berichterstattung eine Norm vermittelt, wie man sich wo verhalten muss, was wo getan werden darf und damit wird auch das eigene Handlungsspektrum eingeschränkt, denn dann ist es vielleicht nicht mit der Norm vereinbar, dass ich meinen “Lieblingsstörenfried“ freudig begrüße.

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Welche Maßnahmen sind geplant, um dem Rückgang der Verkaufszahlen wieder entgegen zu wirken?
Wir wollen an die Wiener und Wienerinnen appellieren, die erkennen, dass Verkäufer_innen ihren Verkaufsplatz allein durch ihre Präsenz zu einem freundlicheren Ort machen, weil sie ihn mit ihrer Energie ausstatten, und dass das für "den Spirit" der Stadt positive Effekte hat. Ziel des Appells ist, dass mit dem Kauf der Zeitung auch dieser Umstand finanziert wird und mit 2,50 Euro und einer Begegnung auf Augenhöhe ein Widerstand gegen die oben genannten Zustände gelebt werden kann. Augustin-Käufer_innen outen sich als Freund_innen eines offenen öffentlichen Raums.

Wie geht es den Verkäufer_innen mit der aktuellen Situation?
Es ist Kommunikationsarbeit gefragt und das ist bei den vielen Sprachen, die Augustin-Verkäufer_innen sprechen, durchaus eine Herausforderung. Aber weil das Konzept des Augustin auf Beziehung, gegenseitiger Wertschätzung und Offenheit beruht, glaube ich, dass es das Vertrauen gibt, dass wir gemeinsam eine Wende schaffen, die Verkaufszahlen erhöhen und sowohl die Verkäufer_innen, als auch den Verein absichern. Wie es den Verkäufer_innen mit der Stimmung im Land geht, ist mit Einfühlungsvermögen vorstellbar, gerade deshalb sind die Rahmenbedingungen, die wir bereitstellen, – ein offenes Ohr, ein Raum zur Erholung, Freizeitprojekte in vertrauter Umgebung – unverzichtbar. 

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Musstet ihr aufgrund der sinkenden Zahlen Verkäufer_innen “entlassen”?
Nein, "entlassen" geht bei uns auch gar nicht, denn einmal Augustin-Verkäufer_in – immer Augustin-Verkäufer_in. Denn oftmals sind die Menschen länger nicht da, haben gerade einen Job, der ausreicht, um zu überleben oder sind in Haft, auf Entzug, haben sich stabilisiert und nach fünf Jahren tauchen sie wieder auf, sind wieder abgestürzt oder anderweitig in Not – und dann können sie auch wieder zu verkaufen beginnen. Was wir immer wieder haben, sind "Aufnahmestopps", damit die Armen nicht mit den Armen teilen. Denn wenn sich 400 Verkäufer_innen eine Auflage von 18.000 Zeitungen mit weiteren 100 Verkäufer_innen teilen, ist das für alle unbefriedigend und nicht zielführend.

In vielen Social Media Kommentaren zum Thema wurde geschrieben, dass einige Wiener_innen die “Schuld” bei Pseudo-Augustin-Verkäufer_innen sehen, die vielleicht aufdringlich seien, deswegen leide das generelle Image von Zeitungsverkäufer_innen. Was meinen Sie dazu?
Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass es mit einem positiven Zugang zur Vielfalt im öffentlichen Raum möglich ist, auch "unangepasste" Nutzer_innen des öffentlichen Raums auszuhalten. Mich nerven auch Biertischsprüche und sexistische Anmachen, aber ich brauch nicht die Polizei, um das für mich zu klären, sondern ein "Danke, das will hier niemand hören" auf Augenhöhe reicht vollkommen. Ich denke, dass wir in der Stadt oft den selben Menschen begegnen, manche mögen wir vielleicht nicht, andere schon, die Frage ist immer: Wie gehe ich mit den Begegnungen um? Antworte ich mit einem Lächeln, einem Scherz oder einer freundlichen Begrüßung, ändert sich auch die Qualität der Begegnung.