APA - Austria Presse Agentur

Jetzt im Kino: Joy

Es ist der mitleidslose Kreislauf der Ausbeutung am Straßenstrich in Wien, dem sich Sudabeh Mortezai in ihrem neuen Drama "Joy" widmet. In ihrem zweiten Spielfilm nach "Macondo" wirft die österreichische Regisseurin erneut einen genauen Blick in eine Nebenwelt, deren Existenz der Mehrheitsgesellschaft noch nicht einmal bewusst ist.

Im Zentrum von "Joy" steht die gleichnamige Hauptfigur (Joy Anwulika Alphonsus) - eine Nigerianerin, die in Wien als Prostituierte arbeiten muss, um bei ihrer Zuhälterin, von allen nur Madame genannt, ihre Schulden abzuarbeiten. Gleichzeitig unterstützt sie ihre Familie in Afrika und kümmert sich um Precious (Precious Mariam Sanusi), eine junge Frau, die noch mit der ihr zugedachten Rolle in der Fremde hadert.

Den kalmierenden Weg einer Erlösungsgeschichte lässt Mortezai dem Zuschauer nicht. Pardon wird nicht gegeben, zugleich auf effektheischende Mitleidsmomente verzichtet. Zwar hört man minutenlang die Vergewaltigung von Precious zur Bestrafung oder betrachtet ausgiebig eine Juju-Zeremonie als Prolog. Mittels dieser Voodoopraxis werden die gläubigen Frauen auch moralisch gebunden. Wie der Hahn dran glauben muss, muss auch Joy Federn lassen. Und doch wird dies nicht als narrative Überhöhung, sondern als Insel im steten Fluss gezeigt.

Sudabeh Mortezai, die ursprünglich vom Dokumentarfilm kommt, gelingt so auch bei "Joy" eine beinahe hyperrealistische Darstellung einer Nebenkultur, welche die Tochter iranischer Eltern mit beinahe neutralem Gestus skizziert, hält ihre Figuren so ambivalent wie die Menschen nun einmal sind. Und ungeachtet der tristen Situation werden diese lakonisch, ohne Schuldzuweisungen gezeigt.

Es ist nicht die vermeintlich einfache Konstellation der Oper und Täter, der Frauen im System des Menschenhandels, die von den Männern ausgebeutet werden. So ist den Betroffenen durchaus bewusst, weshalb sie nach Europa geholt werden, wo die Zuhälter nicht männlich, sondern Madames sind - einstmals selbst als Prostituierte tätig. Letztlich wird der Kreislauf der Ausbeutung nicht durchbrochen, sondern wiederholt sich, wenn der jeweiligen Frau nicht die Abschiebung droht. Die Rollen wechseln, Oper werden zu Täterinnen.

Den angestrebten dokumentarischen Charakter erreicht Mortezai nicht zuletzt mit ihrer sehr eigenen Arbeitsweise, ausschließlich mit Laien zu drehen, die im vorgegebenen Rahmen die Dialoge improvisieren. Dabei dreht die Regisseurin chronologisch und lässt ihre Hauptdarstellerinnen stets nur die aktuelle Entwicklung, nicht jedoch das gesamte Drehbuch wissen. Hinzu kommt das sphinxhafte Gesicht von Joy Anwulika Alphonsus, die dem Zuschauer somit viel Raum zur Interpretation lässt.

Mit ihrem den Zuschauer in keiner Weise schonenden Porträt hat Mortezai zuletzt einen wahren Preislauf hingelegt. Bei der Weltpremiere in Venedig in der Parallelsektion Giornate degli autori wurde "Joy" von Europa Cinemas als Bester Europäischer Film gewürdigt, während Mortezai den mit 10.000 Euro dotierten Hearst Film Award erhielt. Es folgten der Hauptpreis im Wettbewerb für den besten Spielfilm beim BFI London Film Festival und der Silberne Hugo beim Chicago International Film Festival, der Wiener Filmpreis 2018 bei der Viennale und der Hauptpreis beim Filmfestival in Marrakesch. Jetzt muss "Joy" nur noch an der Kinokasse abräumen.