APA - Austria Presse Agentur

"Power 100": #MeToo wird zum Machtfaktor in der Kunst

Seit Jahren tummeln sich die immer gleichen Strippenzieher auf den vorderen Plätzen des Kunstrankings "Power 100": Galeristen, milliardenschwere Sammler, einflussreiche Kuratoren. Dieses Jahr hievt das renommierte britische Kunstmagazin "ArtReview" den in New York ansässigen deutschen Mega-Galeristen David Zwirner auf Platz eins. Die eigentliche Überraschung folgt aber dahinter.

Denn rebellierende Frauen und schwarze Künstler erschüttern das Machtgefüge in der Kunst. Mit der weltweiten #MeToo-Kampagne gegen sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch hat erstmals eine gesellschaftliche Bewegung den Sprung in die "Power 100" geschafft - aus dem Stand auf Platz drei. Und der kritische afroamerikanische Künstler Kerry James Marshall schoss von Platz 68 auf Rang zwei hoch.

"Wir leben in einer Zeit, wo man sich politisch wieder viel klarer bekennen muss", sagt die global vernetzte Berliner Galeristin Esther Schipper, die auch dieses Jahr wieder im Mittelfeld der "Power 100" platziert ist. Dass #MeToo zum Machtfaktor in der Kunst geworden ist, findet sie folgerichtig. "Gerade in einem Feld, wo man fortschrittlich denkt und viel früher als andere inhaltlich eine Avantgarde darstellt, ist es geradezu entrüstend, dass es so viel Machtmissbrauch in unseren Reihen gibt."

Die durch die Affäre um den Hollywood-Film-Produzenten Harvey Weinstein ausgelöste #MeToo-Bewegung hat auch in der Kunstwelt zu Rücktritten einflussreicher Kunstmanager geführt. Vor allem aber hat die weltweite Kampagne gegen Sexismus eine Debatte entfacht, wie viel weibliche Nacktheit überhaupt in den Museen gezeigt werden darf. Kurz: Die Frage der Kunstfreiheit wird durch #MeToo neu gestellt.

Das mündete darin, dass etwa in der Manchester Art Gallery das Bild "Hylas und die Nymphen" (1896) des englischen Malers John William Waterhouse medienwirksam abgehängt wurde. Tausende Menschen schlossen sich einer Online-Petition an, das Bild des Malers Balthus, "Thérèse, träumend", im New Yorker Metropolitan Museum zu entfernen. Das Bild zeigt ein junges Mädchen mit hochgerutschtem Rock. Und in Berlin musste das Gedicht "Avenidas" von Eugen Gomringer von einer Fassade verschwinden, weil es angeblich sexistisch ist. Nur im Kleinformat ist es dort jetzt noch zu lesen.

"Ich glaube, sie wäre nicht so mächtig, wenn sie nicht gebraucht würde", sagt " ArtReview"-Herausgeber Mark Rappolt über die #MeToo-Bewegung. "Es gibt eine wachsende Sorge darüber, wie wir Macht nutzen. Das zeigt auch die Liste dieses Jahres." Denn in der Kunst gebe es den Wunsch, "eine größere Geschichte zu erzählen". Man müsse endlich anerkennen, "dass gewisse Leute ausgeschlossen sind aus der Kunstgeschichte und der zeitgenössischen Kunst".

Marshall etwa, der in den USA mit großen Ausstellungen gefeiert wird, malt nur den "black body", ausschließlich schwarze Figuren - "aufsässige und feierliche Aussagen über das Schwarz-Sein in einem Medium, in dem Afroamerikaner oft unsichtbar gewesen sind", schrieb das New Yorker Met Breuer-Museum.

Dazu gehört auch der afroamerikanische Dichter Fred Moten: Auch er wurde erstmals in die "Power 100" aufgenommen - und das gleich auf Rang zehn. Für Rappolt ist Moten ein Beispiel für die neuen "Stimmen von außen", die von der Kunstdebatte bisher ausgeschlossen waren.

Dennoch regiert immer noch das Geld die Kunstwelt. Galerist Zwirner gehört schon seit Jahren zuverlässig zum Spitzenpersonal der "Power 100" und darf sie 2018 anführen. Der Jahresumsatz der internationalen Zwirner-Galerien liegt Medienberichten zufolge bei rund einer halben Milliarde Dollar. Künstler, die Zwirner vertritt und auf dem Markt platziert, sind weltweit Stars. Dazu gehört der deutsche Fotokünstler Wolfgang Tillmans, dieses Jahr auf Platz elf - und übrigens auch Marshall, der inzwischen einer der teuersten schwarzen Künstler ist. Drei Plätze gut gemacht hat der österreichische Galerist Thaddaeus Ropac: Er wird heuer auf Rang 62 geführt.

Dass Kunst sogar den Lügen der Staatsmacht und der vermeintlich echten Bilder auf die Spur kommt, zeigt niemand besser als das Recherchekollektiv Forensic Architecture. Der Direktor und Menschenrechtler Eyal Weizman wurde dieses Jahr von Platz 94 auf Platz neun katapultiert. Sein Institut, Teilnehmer der documenta 2017, sammelt wie ein Archäologenteam "Datenschutt" und klärte so Militäraktionen oder Verbrechen auf. Auch einen der Morde des rechtsextremistischen NSU rekonstruierte Forensic Architecture. Rappolt sagt: "Die Liste der 'Power 100' zeigt, dass Kunst viel komplizierter ist, als sie allgemein präsentiert wird."