APA - Austria Presse Agentur

Simon Stones "Medea" im Burgtheater

So schlicht und selbstverständlich ist das riesige Burgtheater wohl selten als intimer Raum genutzt worden: Der australische Regisseur Simon Stone, der zuletzt auf die Akademietheater-Bühne ein ganzes "Hotel Strindberg" bauen ließ, überzeugt in seiner "Medea"-Version, die gestern zu Recht umjubelt wurde, mit Dichte und Schlichtheit, Intensität und Großaufnahmen.

Der 85-minütige packende Theaterabend hat bloß zwei Schwächen. Mit dem "Medea"-Mythos hat er außer dem Grundmotiv des Kindsmords und der Rivalität zweier Frauen, die um denselben Mann kämpfen, kaum etwas zu tun, weder Euripides noch Grillparzer lassen sich in dieser Überschreibung wiederfinden. Und die Inszenierung ist offenbar ein genaues Remake eines noch immer tourenden (und das nächste Mal im März im Londoner Barbican Centre gastierenden) Abends, den Stone vor exakt vier Jahren mit der Toneelgroep Amsterdam mit demselben Team erarbeitet hat. Die Darsteller sind nun freilich andere. Die als "Deutschsprachige Erstaufführung" firmierende Arbeit haben sie sich mit Verve zu eigen gemacht.

Stone hat sich eine reale Familientragödie vorgenommen, die sich in den 1990ern in den USA ereignete. Eine Ärztin versuchte nach der Scheidung ihren Ex-Mann auf raffinierte Weise mit Rizinussamen zu vergiften und steckte schließlich das Familienhaus in Brand, wobei zwei ihrer Kinder umkamen. Der Theaterabend beginnt mit der Entlassung Annas aus der Psychiatrie. Sie wird von ihrem Mann Lucas, der unterdessen in der Pharma-Firma, in der Anna früher als Laborchefin arbeitete, aufgestiegen ist und nun mit der Tochter seines Chefs eine Beziehung hat, abgeholt. Ein heikler Moment voller widerstrebender Gefühle. Auf dem Gesicht von Caroline Peters ist jede einzelne Regung ablesbar - per Live-Video in ganzer Burgtheaterbühnen-Breite.

Diese Schauspielerin ist auf dem Höhepunkt ihres Könnens. Für ihre Rollen in Stones "Hotel Strindberg" zur "Schauspielerin des Jahres" gewählt und kürzlich mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet, ist sie derzeit auch in Kinohauptrollen zu sehen. Als hoch intelligente Wissenschafterin Anna macht sie das, was sie innerlich zerreißt, und was sie und ihre Umgebung in den Abgrund stürzt, mit Blicken, Gesten, Sätzen transparent. Sie habe gelernt und möchte nichts weiter als, dass es allen gut geht, versichert sie. Sie wisse, dass sie nicht einfach an das Davor anschließen könne und respektiere, dass ihr Mann nun ein anderer sei. Und doch beweist sie mit jedem weiteren Satz, dass sie das Gegenteil davon meint. Sie beginnt sofort einen Druck aufzubauen, der früher oder später erneut zur Explosion führen muss.

Was Peters frei von jedem Pathos zeigt, ist Liebe, die in Raserei endet. Bedingungslose Zuneigung, der man sich nicht in den Weg stellen darf, ohne Schaden zu erleiden. Die rückhaltlose Umsetzung jener Drohung, die Ödön von Horvath seinem Fleischer Oskar in den Mund legte: "Du wirst meiner Liebe nicht entgehen!" Steven Scharf, der als Lucas während der Proben spät für den erkrankten Joachim Meyerhoff eingesprungen ist, versucht, mit dieser Gefühlsintensität umzugehen und wird von seinen beiden Loyalitäten zerrieben: Jener Frau gegenüber, mit der er zwei Buben hat (die das irre Familienleben als Schulaufgabe per Videotagebuch dokumentieren, ein raffinierter dramaturgischer Trick), und die versucht hatte, ihn umzubringen; der neuen Partnerin gegenüber, bei der er zweifellos seine private wie berufliche Zukunft sieht. Mavie Hörbiger verleiht dieser jungen Rivalin viel Selbstbewusstsein, Stärke und einen Hauch überlegener Ironie. Die sexuelle Anziehung, die der lasch und entscheidungsschwach wirkende Mann auf beide Frauen ausübt, bleibt ein Rätsel, deren Auflösung der Fantasie des Zuschauers überlassen bleibt.

Christoph Luser als Pharma-Boss, Irina Sulaver als Sozialarbeiterin und Falk Rockstroh als Unternehmer, der Wiedereingliederungshilfe als Zeitvertreib sieht, sind tadellose Mitspieler an diesem Abend, der dem intensiven Gefühlswirrwarr einen strengen ästhetischen Rahmen gibt. Auf der weißen, zu beiden Seiten wie aufgeklappt wirkenden und nach oben mit einer großen Projektionsfläche ergänzten Bühne von Bob Cousins gehen die Szenen fließend ineinander über - eine perfekte Choreografie.

Auch für die Mordtaten gibt es bloß schlichte, klare szenische Zeichen. Am Ende werden die beiden Buben von ihrer Mutter in jener Asche gebettet, die zuvor ruhig und unaufhörlich auf die Bühne fiel. Die hohe Temperatur der Flammen habe ihre Körper mit jenem ihrer Mutter buchstäblich verschmolzen, heißt es dazu. Der starke, lange Schlussapplaus kam einem gemeinsamen Aufatmen gleich.

(S E R V I C E - "Medea" von Simon Stone nach Euripides, Regie: Simon Stone, Bühne: Bob Cousins, Kostüme: An D'Huys, Fauve Ryckebusch, Musik: Stefan Gregory. Mit Caroline Peters, Steven Scharf, Mavie Hörbiger, Christoph Luser, Irina Sulaver, Falk Rockstroh sowie Sandro Eder / Moritz Krainz / Wenzel Witura und Noah Fida / Lucas MacGregor / Quentin Retzl. Deutschsprachige Erstaufführung im Burgtheater. Nächste Aufführungen: 22., 26.12., 2., 12., 17., 21., 25.1., Karten: 01 / 513 1 513, www.burgtheater.at)