Warum ich nichts mehr von Neuinfektionen hören und sehen will

Warum ich nichts mehr von Neuinfektionen hören und sehen will
Beim täglichen Anblick der Corona-Neuinfektionen dreht sich einem der Magen um. Über eine ungesunde Sucht.

34.011 neue Corona-Fälle wurden von 25. auf 26. Jänner in Österreich gemeldet. Das ist zum Erscheinungsdatum dieses Artikels der höchste Wert seit Beginn der Pandemie vor nunmehr knapp zwei Jahren. Ein neuer Rekord – und eine Zahl, die viele von uns nervös macht. Mich eingeschlossen.

Jeden Tag lesen oder hören wir aufs Neue irgendwo, wie viele Neuinfektionen seit dem Vortag in Österreich registriert wurden. Jeden Tag warten wir mit Spannung die aktuelle Zahl, spekulieren, ob wir diesmal vielleicht eine neue Tausendermarke knacken könnten, schließen Wetten ab, hoffen, teilen, twittern.

Mittlerweile ist die Vermeldung der Fallzahlen eine Art tägliches Ritual. Wie das Wetter oder der Verkehr. Nur viel ungesünder.

Ich nehme die Zahl der Neuinfektionen – inzwischen unterbewusst – meist als Richtwert dafür, wie besorgt ich aktuell sein sollte: Wenn die Zahl der neuen Fälle etwa im dreistelligen Bereich liegt, so wie es letzten Sommer der Fall war, ist das Leben ein bisschen unbeschwerter. Fast schon normal. Jetzt, wo ein Rekordhoch das nächste jagt, überlege ich mir zugegebenermaßen lieber zweimal, ob ich wirklich auf den Geburtstag der einen Kollegin gehen sollte. Oder ins Kino. Oder generell außer Haus.

Die Sache ist die: Das geht jetzt schon zwei Jahre so. Ja, letztendlich will ich nur mich selbst und meine Mitmenschen schützen, wenn ich gewissenhaft die aktuelle Corona-Lage verfolge und dadurch abwäge, wie schlau es im Moment wäre, sich mit 100 fremden Menschen in einen geschlossenen Raum zu setzen.

Aber die Pandemie nagt an uns allen. Unsere psychische Gesundheit bleibt auf der Strecke. Fixieren wir uns weiterhin tagtäglich auf die Fallzahlen und beißen uns daran fest, werden wir irgendwann verrückt. Zumindest geht es mir so.

Zumal wir meist gar nicht wissen, wie die Infektionen einzuordnen sind. Vor genau einem Jahr lag die tägliche Fallzahl in Österreich bei 1.582. Da wirken 30.000 Neuinfektionen im direkten Vergleich zunächst sehr viel. Beunruhigend viel. Alarmglocken-mäßig viel.

30.000 sind auch viel, aber hear me out: Sieht man sich die Zahl der täglich durchgeführten Testungen in Österreich an, kann man dadurch die Zahlen besser einordnen. Die Zahl der Tests lag laut coronatracker.at am 25. Jänner bei rund 500.000. Klar: 30.000 von 500.000 sind immer noch verdammt viele – aber die Relation macht es irgendwie leichter, psychisch nicht permanent auf Anschlag zu sein.

Zumal die Dunkelziffer der positiven Fälle seit der milden Omikron-Variante viel höher sein dürfte, als je zuvor – das soll nicht heißen, dass die vermeldeten Neuinfektionen wahrscheinlich eh falsch sind, aber sie waren vermutlich schon mal genauer.

Freilich sagt die Zahl der an Corona erkrankten Menschen in einem Land immer noch viel über den Stand der Pandemie aus. Worüber sie wohl eher wenig aussagt, ist das individuelle Risiko einer vollimmunisierten Einzelperson. Ich will mich nicht mehr schlecht fühlen müssen und an die Neuinfektionen denken, wenn ich im Kino sitze. 

Also versuchen wir zumindest, uns nicht mehr allzu sehr auf die bloßen Fallzahlen zu fixieren. Für unser aller Seelenheil. 

Wenn dir die Pandemie zu schaffen macht und du an Depressionen leidest, solltest du dich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits ein einzelnes Gespräch. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich rund um die Uhr kostenlos unter der Rufnummer 142 an die Telefonseelsorge wenden. Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt ÄrztInnen, Beratungsstellen oder Kliniken.

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