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Die grünen Schätze der Ostsee

Zuerst sind es nur ein paar schwarze Punkte in der Dunkelheit. Doch ihr Geschrei lässt erahnen, dass es viele sind.


Im Morgengrauen, sobald die Dämmerung einsetzt, erheben sich Hunderte Kraniche in die Luft und gleiten unter schrillem Trompetengeschrei über die Köpfe der Besucher hinweg - langbeinige, gräuliche Körper, die sich in V-Formationen aus dem Wasser emporschwingen, um sich auf den Feldern des Festlands satt zu fressen.

Nachdem im September und Oktober 50.000 bis 70.000 Kraniche von Skandinavien nach Südeuropa geflogen sind, kehren sie im März und April zurück. Und rasten zwischen der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und der Insel Rügen. Besucher stehen dann mit Ferngläsern und Kameras in hölzernen Beobachtungshütten und verfolgen das Schauspiel.

Fast nirgendwo sonst in Mitteleuropa sieht man die Zugvögel so zahlreich wie hier im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns, wo die Küste aussieht wie ein Flickenteppich aus Meer und Land.

Zwischen Naturerlebnis und Naturschutz

Die Kraniche sind die Hauptdarsteller. Doch auch Rotwild und Wildschweine, Seeadler und Gänse, Höckerschwäne und Reiher betreten in dieser Region die Bühne. Im Bodden - flache Meereslagunen zwischen Halbinsel und Festland - auf den Schilfinseln, im Watt und in den Dünen finden sie Nahrung, Schutz und Ruhe. Dieser Teil der Halbinsel ist Kerngebiet des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft.

"Manche Teile sind ganzjährig komplett für Menschen gesperrt, andere stehen in der Zugzeit nur zu bestimmten Uhrzeiten Besuchern offen, um die Tiere zu schützen", sagt Juliane Kiwitt, die als Rangerin im Nationalpark arbeitet. Nicht immer ist es leicht, den Spagat zwischen Naturschutz und den Bedürfnissen der Menschen zu meistern.

Der Großteil des drittgrößten deutschen Nationalparks ist über Wanderpfade und Fahrradwege gut erschlossen. Kutschfahrten und Bootstouren laden dazu ein, Naturstrände, Dünenlandschaft, Moore und dichte Buchenwälder zu erkunden. In den Sperrzonen dagegen bleiben Tiere und Natur vom Menschen unbehelligt.

Dort, wo jeden Tag Tausende Füße entlang trampeln, können keine Küstenseeschwalben und Sandregenpfeifer brüten. Und Robben können nicht ruhen, Meerkohl nicht am Dünenhang gedeihen.

Das ist auch im Nationalpark Jasmund so. Deutschlands kleinster Nationalpark liegt rund eineinhalb Autostunden weiter östlich, im Nordosten Rügens. Mit seinen berühmten Kreidefelsen, die schon der Maler Caspar David Friedrich in seinen Bildern verewigte, gilt er als Wiege des deutschen Tourismus. Doch auch hier muss die Natur vor jährlich gut 1,5 Millionen Inselbesuchern geschützt werden.

Die Wende als Chance

An den Hängen des Kliffs brüten Wanderfalken und Mehlschwalben. Hinter der Küste liegen mehr als 100 Moore, Bäche und Quellen, wo seltene Pflanzen wie Frauenschuh, Riesenschachtelhalm und Zwiebelzahnwurz sprießen. Dazu ein Idyll, das einst ganz Europa überzog, heute jedoch sehr selten geworden ist: der größte zusammenhängende Buchenwald der Ostseeküste, Unesco-Welterbe seit 2011. Als Nationalpark wurde Jasmund schon vor 30 Jahren ausgewiesen.

Hans Dieter Knapp hat damals maßgeblich dazu beigetragen, dass der Wald nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt wird und Menschen das Gebiet nur noch auf ausgewiesenen Wegen besuchen dürfen. "Mit der Wende gab es die einmalige Chance, Naturschutz im neuen Licht zu sehen", erinnert sich der Geobotaniker und Landschaftsökologe.

Zu DDR-Zeiten gab es im Osten Deutschlands noch keine Nationalparks, obwohl kleinere Gebiete sehr wohl schon unter Schutz gestellt wurden. In einer Hauruckaktion gelang es Knapp und seinen Mitstreitern, die Forderung nach mehr Schutz im Einigungsvertrag zu verankern. Wenige Tage vor der Vereinigung wurden sechs Biosphärenreservate, fünf Nationalparks und drei Naturparks nach DDR-Recht gesichert.

Dazu gehörte auch das Unesco-Biosphärenreservat Südost-Rügen, eine eiszeitlich geprägte Kulturlandschaft mit Halbinseln, Küstenvorsprüngen, Nehrungen und Endmoränen. Von Frühjahr bis Herbst ziert blühender Trockenrasen die hügelige Landschaft, Schilfgürtel und Salzwiesen säumen die Küste. Schon in der Steinzeit vom Menschen besiedelt, dient das Gebiet heute als Modellregion, wo nachhaltige Bewirtschaftungsformen erprobt werden sollen.

Ein fabelhafter alter Wald

Urlauber können die alte Kulturlandschaft gut mit dem Fahrrad entdecken. Zwischen Dörfern mit mittelalterlichen Kirchen und Ostseebädern finden sich Großsteingräber aus der Jungsteinzeit, bronzezeitliche Hügelgräber und Schutzgebiete.

Darunter ist eines der ältesten Naturschutzgebiete an der deutschen Küste, die Insel Vilm im Greifswalder Bodden. "Maximal 9000 Besucher im Jahr haben hier Zutritt", sagt Andreas Kuhfuß von der Reederei Lenz, der Naturinteressierte auf dem Eiland herumführt. Hier wachsen Jahrhunderte alte Rot- und Hainbuchen, bizarr geformte Stieleichen, Bergahorn und mehr als 300 Arten Farn- und Blütenpflanzen.

Dass die Vegetation geschützt gedeihen konnten, hat die Insel Vilm ihrer Historie zu verdanken. Zu DDR-Zeiten wurde sie als Urlaubsdomizil für den Ministerrat der DDR genutzt. Für den Rest der Bevölkerung war sie lange Zeit nicht zugänglich.

Wer mit Kuhfuß durch den urtümlichen Wald wandert und den Blick durch den Schilfgürtel über den Bodden schweifen lässt, versteht die Worte des ehemaligen Bundesumweltministers Klaus Töpfer. Der hatte die Schutzgebiete im Nordosten Deutschlands bereits damals als "Tafelsilber der deutschen Einheit" bezeichnet.

Ein Fahrradweg führt unweit des Darßer Weststrands durch den Wald
--- - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA (dpa/gms/Alexandra Frank)/Alexandra Frank

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Auf der Insel Vilm im Greifswalder Bodden wachsen uralte Bäume
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Idyllische Landschaft im Biosphärenreservat Südost-Rügen
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