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Mexiko: Im Dschungel des verrückten Gringos

Der reiche Exzentriker wählte den Ort für sein Turmhaus weise - mit Blick auf Wasserfall und Urwaldberge. Acht Stockwerke hoch sollte sein Refugium im Dschungel Mexikos am Ende sein und die oberste Etage von einer Glaskuppel gekrönt, damit Edward James nachts aus dem Bett die Sterne sehen könnte. Dazu kam es nie. Das Turmhaus blieb unvollendet, so wie die meisten der drei Dutzend Bauwerke im Skulpturengarten Las Pozas.

Doch allein die Bauruine ist zauberhaft. Bromelien wuchern auf Tulpensäulen, ein Blauer Morphofalter flattert zwischen gotischen Spitzbögen hindurch. Man spaziert vorbei an Füllhörnern und bemalten Blütenkelchen, aus Beton gegossen wie die Schirmdächer, die an balinesische Tempel erinnern.

In Mexiko ist der Zaubergarten bei dem entlegenen Bergdorf Xilitla berühmt. Genauso wie die türkisen Wasserfälle und Flüsse der Region, die ein Spielplatz für Rafting, Canyoning und Stehpaddeln sind.

Ein Märchenreich auf Erden

Erzählt man hierzulande von der Schönheit der Huasteca Potosina, schauen selbst Mexiko-Kenner meist ratlos. Die Gegend liegt fernab der üblichen Touristenrouten. Auch Edward James hatte wohl noch nie von der Huasteca gehört, bevor ihn sein Freund Plutarco Gastélum hierher lotste. James wurde 1907 in Schottland geboren und war der einzige Sohn eines Eisenbahn- und Kupferminen-Magnaten, sein Taufpate hieß König Edward VII. Er studierte Literatur in Oxford, interessierte sich für Kunst. Als er 21 Jahre alt war, starb seine Mutter. James erbte Hunderte Millionen Pfund. Mit seinem Vermögen förderte er Surrealisten wie Salvador Dalí und René Magritte.

Ihm selbst aber blieb die Anerkennung als Dichter verwehrt. Verbittert floh er nach einer schmutzigen Scheidung aus England und machte sich auf die Suche nach seinem "Seclusia", dem Märchenreich, von dem er als Kind geträumt hatte. Er fand es auf einem Roadtrip durch Mexiko. 1947 kaufte er die frühere Kaffeeplantage an den Gumpen - auf Spanisch las pozas - und begann, Orchideen und Schmetterlinge zu züchten. Abertausende Blumen erblühten im Regenwald - bis sie ein ungewöhnlicher Wintereinbruch im Schnee erfrieren ließ. Damit sich das nicht wiederholen konnte, ließ er nun Blumen aus Beton gießen.

Traumwandeln durch den wundersamen Garten

Die Formenfülle und das schiere Ausmaß des exaltierten Projekts überwältigen bis heute. Stundenlang kann man über die verzweigten Treppenwege flanieren, durch offene Arkaden und Spaliere filigraner Säulen, über Brücken und Wendeltreppen, die mal auf Dachterrassen führen und mal in die Wolken. Mehr als 30 Jahre werkelten die Maurer, Zimmermänner und Steinmetze. Viele waren indigene Otomí, für sie war James einfach ein verrückter Gringo.

Wildes Wasser und Südsee-Farben

Der Abenteuer-Tourismus treibt immer neue Blüten in der Huasteca Potosina. Heute hoppeln an Spitzentagen bis zu 100 Boote durch die Schlucht des Tampaon. Mineralien färben den Fluss türkis wie eine Südseelagune, aber an der geriffelten Felswand sieht man, mit welcher Urgewalt das Wasser toben kann.

"Wir haben 13 Stromschnellen vor uns", sagt Steve Melendez. Der Mittdreißiger steuert seit 17 Jahren Gummiboote den Tampaon hinab, nur wenige kennen die Felsen, Untiefen und Strudel besser. Die gefährlichste Stromschnelle sei Roulette, ein eineinhalb Meter hoher Wasserfall mit einer Wasserwalze dahinter. "Da überschlagen sich manche Boote rückwärts."

Unfreiwillig auf Tauchstation

Zu Beginn gleitet das Boot sanft dahin, ungestört kann man sich die bis zu 40 Meter tiefe Schlucht anschauen. Flechten hängen von den Bäumen, bunte Schmetterlinge schwirren herum. Doch der Müßiggang ist bald vorbei. Die ersten Stromschnellen folgen so rasch aufeinander. "Adelante", ruft Melendez. Vorwärts! Das Boot hüpft durch stehende Wellen, touchiert ein paar Felsen, die Gischt spritzt ins Gesicht, alle jauchzen - bis das Kommando zu spät kommt.

Ein Schlag auf der rechten Seite, und wer links saß, wird über Bord katapultiert. Man sollte jetzt die Luft anhalten und ruhig warten, sagte Melendez im Briefing, bis einen der Strudel wieder ausspuckt. Leicht gesagt. Die Panik siegt, man versucht zu schwimmen, wird wieder hinab gezogen, bis der Kopf etwas Hartes trifft: das Rettungskajak. "Alles ok?", fragt der bärtige Engel.

Zum Glück beruhigt sich der Fluss nun, es ist noch einmal Zeit, die Schönheit des Tampaon zu betrachten. Und um den Schock zu verdauen. Denn der nächste Adrenalinstoß wartet schon - am Rio Micos, der tatsächlich noch intensiver türkis leuchtet. Die Treppe von Kaskaden liegt einsam da: hinein ins Wasser.

Hüpfend von Becken zu Becken

Der erste der sieben Sprünge ist mehr ein Hopser, einen guten Meter hoch. Das Tückische aber ist, dass man Anlauf nehmen muss. Zum Glück ist der überspülte Kalkstein weniger glitschig, als er aussieht.

Nach der ersten Mutprobe wird jeder Sprung leichter. Unterschätzen sollte man die Kaskaden aber nicht. Als Teilnehmer einer Tour ist man in Helm und Schwimmweste verpackt, und Melendez zeigt exakt, wo man am besten abspringt. Langsam steigern sich die Höhen, dazwischen sind ein paar Felsrutschen eingeschoben. Und am Ende hüpfen alle selbst den fünf Meter hohen Wasserfall jauchzend hinab, La Prueba.

Die wahre Probe kommt aber noch: das Abseilen am Wasserfall Minas Viejas. 50 Meter geht es in die Tiefe, und zum Start muss man sich trauen, rückwärts über die Felskante zu hopsen. Dann aber gleitet man schrittweise entlang des Seils abwärts, direkt neben der Gischt, und unten sieht man das unwirkliche Türkis. Ein Nervenkitzel, der wohl auch dem ewigen Ästheten Edward James gefallen hätte.

Manche Treppe in Las Pozas führt ins Nichts
--- - MEXIKO: ARCHIV - Zum Themendienst-Bericht von Florian Sanktjohanser vom 22. Dezember 2020: Manche Treppe in Las Pozas führt ins Nichts - wie einst so mancher Wunschtraum von Edward James. Foto: Florian Sanktjohanser/dpa-tmn - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++. - FOTO: APA/APA (dpa)/Florian Sanktjohanser

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Rafting auf strahlend grünen Flüssen
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Der Wasserfall El Meco stürzt 35 Meter in die Tiefe
--- - MEXIKO: FOTO: APA/APA (dpa)/Florian Sanktjohanser

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