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Mit der Bahn durch Osteuropa ans Schwarze Meer

Warum immer hektisch fliegen? Mit der Bahn geht es gemütlich bis ans Schwarze Meer. Unterwegs warten echte Perlen wie Krakau, Lemberg und Odessa. Eine Reise im Takt der Schienen.

In zwei Wochen mit der Bahn gemächlich ans Schwarze Meer rollen - für viele klingt das verrückt, für andere ist es ein Traum. Eine Zugreise durch Osteuropa steht so in keinem Reiseführer. Die Schienen führen über Breslau (Wroclaw) mit seiner berühmter Altstadt sowie Krakau mit Hauptmarkt, Burg und Touristenmassen nach Lemberg und Winnyzja im Westen der Ukraine. Die Züge rollen weiter nach Balti und Chisinau in Moldawien, nach Tiraspol in Transnistrien und Odessa in der Ukraine.

Von Krakau über die Grenze in die Ukraine

Der Zug aus Krakau (Krakow) fährt in Przemysl ein, eine Stadt im Südosten Polens mit tausendjähriger Geschichte. Hier endet die Europäische Union. Fahrgäste gehen mit ihrem Gepäck durch die Unterführung in den anderen Bahnhofsteil. Der lange Triebwagen-Zug nach Lwiw (Lemberg) steht bereit. Die Erste Klasse ist mit blauen Polstersitzen ausgestattet. Alles ist modern und geräumig.

Gut 15 Minuten hält der Zug im Grenzort in der Ukraine. Der Uniformierte prüft den deutschen Ausweis und nickt. Angenehme Fahrt. Draußen gleiten Felder, Wälder und Ortschaften vorbei. Buchstaben und Schriftzüge in Kyrillisch an Bahnhöfen, Läden und Fabriken.

Lemberg ist eine Pracht

Lviv, das frühere Lemberg, wird sichtbar. Im Herzen der Stadt auf dem Rynok-Platz erschallt Musik. Paare tanzen im Freien zwischen Rathaus, Brunnen, Museum und Restaurants. Die jahrhundertealten Gebäude der Altstadt haben den Krieg überstanden. "Florenz des Ostens" nannten Bewunderer die Stadt, ein Schmelztiegel vieler Ethnien.

In einer kleinen Schankstube am Rynok fließt der Obstwein in Strömen, palavern und trinken Jung und Alt auf dem Bürgersteig. Der Spaziergang führt durch verwinkelte Gassen mit Kopfsteinpflaster. Hinterhöfe haben morbiden Charme. Restaurants locken mit originellen Namen zur Einkehr: "Doctor Faust", "Bruderschaft" und "Mafia". Viele sind auf mehr Touristen und den erhofften EU-Beitritt vorbereitet.

Erkundungen abseits der Touristenströme

Nächste Station nach viereinhalb Stunden gemütlicher Bahnfahrt Erster Klasse ist Winnyzja (oder auch Vinnytsia). Die Stadt hat 380.000 Einwohner und kaum Touristen. Heute geht es ohne Vorbereitung zum Stadtbummel. Kirchtürme und Kuppeln geben Orientierung. Hinter Brücke und Fluss beginnt das Zentrum. Es überrascht mit einer kleinen Altstadt, Fußgängerzone und einem rostroten, gemauerten Wasserturm.

Im Bahnhof rollt der Schnellzug aus Moskau ein. Der "D 47MZ" ist die lahmste Ente auf dieser insgesamt etwa 1.700 Kilometer langen Bahnfahrt. Die graublauen Wagen haben Jahrzehnte auf dem Buckel, stammen aus sowjetischen Zeiten. "1. Klasse" steht auf dem Ticket - die gibt es aber nicht. Der Schaffner führt den überraschten Gast in ein leeres, muffiges Abteil mit zwei Doppelstockbetten.

Das nächste Land wartet schon

Weiter geht's nach Moldau. Bauern bestellen ihre Äcker, Wäldchen wechseln sich mit Brachland ab. Hin und wieder tauchen Dörfer und Kuppeln orthodoxer Kirchen auf. Die Sonne geht unter. Der Zug ist pünktlich, er benötigt ins moldawische Balti für etwa 290 Kilometer gut acht Stunden einschließlich Grenzkontrollen.

Balti ist eine kleine Industriestadt. Lateinische Buchstaben stehen neben kyrillischen. Straßennamen und anderes sind wieder verständlicher für westliche Besucher. Rumänisch ist offiziell Amtssprache in Moldawien, russisch die zweite. Im Zentrum liegen Bummel- und Parade-Boulevard, Panzerdenkmal und Einkaufszentrum.

Einmal Schummeln ist erlaubt. Die Rezeptionistin im Hotel "Elite" empfiehlt ein Taxi für die 135 Kilometer von Balti nach Chisinau für umgerechnet 35 Euro. "Das ist viel, viel schneller als ihr Zug." Das Auto ist komfortabel, der Fahrer freundlich. Er redet über Land, Leute und den Wein. Moldawien gehört zu den ärmsten Ländern Europas, ist aber reich an guten Tropfen. Reizvolle Weingüter und riesige Lager mit Flaschen und Fässern locken zu Ausflügen.

Wo das Leben der Menschen zur Sehenswürdigkeit wird

Moldawiens Hauptstadt ist weitläufig. Keine Schönheit, kein Overtourismus. Tägliche Szenen des Alltags sind die Attraktionen. Teenager hüpfen in einem Park im Zentrum vollständig angezogen in einen Springbrunnen mit Fontäne. Keiner meckert.

Das Bahnhofsgelände in Chisinau bietet schöne Fotomotive, auch eine ausrangierte Dampflok. Der Wunsch des Kunden am Ticketschalter ist ungewöhnlich: Dritte Klasse nach Tiraspol und von dort Erste Klasse drei Tage später nach Odessa. Die Dame nickt.

Ein praktisch unbekanntes Land

Kaum einer steigt aus in Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens. Der schmale Landstrich hat sich nach dem Zerfall der Sowjetunion schnell vom jungen Moldawien losgesagt, wird aber international nicht anerkannt. Der Mangel an Touristenattraktionen sowie die innige Liebe zu Russland, Putin, Lenin und Marx ziehen kaum Ausländer an.

Die meisten bleiben im Zug nach Odessa, verpassen aber eines der letzten Geheimnisse Europas. Die Menschen in Tiraspol sind zurückhaltend, freundlich und hilfsbereit. Im Freiluftmuseum Tiraspol scheint die Sowjetunion weiterzuleben. Der riesige Suworow-Platz ist umsäumt von Grünanlagen, Fahnen, Verwaltungsgebäuden, Monumenten und Denkmälern. In der Nähe klettern Kinder auf einen sowjetischen T-34 Panzer, Teil einer Gedenkstätte. Büsten und Statuen von Lenin und anderen Helden des Kommunismus sind allgegenwärtig.

Odessa ist ein würdiger Abschluss der Reise

Zwei beschauliche Stunden im Zug bringen einen zum Bahnhof von Odessa, der wohl schönste der Reise. Das historische Hauptgebäude hat eine mächtige Kuppel. Vieles wurde nach dem Krieg restauriert.

Ein zwei Kilometer langer Bummel vom Bahnhof führt zur historischen Oper und einer berühmten Treppe. Auf dem Weg machen das Kloster Panteleimon, die Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit, die Or-Sameach-Synagoge und die Al-Salam-Moschee neugierig.

Hunderte Besucher steigen täglich über die 192 Stufen der Potemkinschen Treppe. Der Blick auf Hafen und Meer Odessas ist spektakulär, die Geschichte noch mehr. Im Stummfilm "Panzerkreuzer Potemkin" von Sergei Eisenstein (1925) ist die Treppe Schauplatz für die blutige Niederschlagung eines Putsches gegen die Zaren-Armee.

Das Ende dieser entspannten Reise naht. Wer mehr Historie mag, bucht den Rückflug von Odessa mit sieben Stunden Stopp in Kiew. Das ist Zeit genug, um den berühmten Maidan-Platz und das Zentrum der ukrainischen Hauptstadt zu sehen.

Quietschendes Transportmittel: Eine Tram fährt durch Lwiw in der Ukraine
LWIW - UKRAINE: FOTO: APA/APA (dpa/gms/Andreas Gebert)/Andreas Gebert

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Panzerdenkmal in Tiraspol in Transnistriens
TIRASPOL - REPUBLIK MOLDAU (MOLDAWIEN): FOTO: APA/APA (dpa/gms/Bernd Kubisch)/Bernd Kubisch

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Betagt und plüschig: Im Speisewagen des Zuges von Winnyzja nach Balti
---: FOTO: APA/APA (dpa/gms/Bernd Kubisch)/Bernd Kubisch

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