APA - Austria Presse Agentur

60 Jahre Élysée-Vertrag: Scholz reist nach Paris

Deutschland und Frankreich wollen nach erheblichen Spannungen in den vergangenen Monaten wieder enger zusammenrücken. Dazu reist der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag früh mit seinem Kabinett nach Paris, wo die im Oktober vertagten Beratungen mit der französischen Regierung an einem historischen Datum nachgeholt werden. Vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag zur Aussöhnung der beiden einstigen Kriegsgegner unterzeichnet.

Zum Jubiläum gibt es einen Festakt der beiden Parlamente in der renommierten Sorbonne-Universität, an dem die Regierungen teilnehmen. Bei der anschließenden gemeinsamen Kabinettssitzung stehen die Themen Wirtschaft und Energie, Sicherheit und Verteidigung sowie Europa auf der Tagesordnung. Ergebnis soll eine gemeinsame Erklärung sein, die eine Vision für die Zukunft Europas skizzieren soll.

In einem gemeinsamen Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und das "Journal du Dimanche" schrieben Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron, sie wollten die EU zu einer "noch stärkeren Führungsmacht der Hoffnung" machen. "60 Jahre nach Unterzeichnung des Elysée-Vertrags stimmen Deutschland und Frankreich überein, wenn sie auf die grundlegenden Fragen zur Zukunft Europas blicken."

Bei den Beratungen wird es unter anderem um die weitere Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer gehen. Scholz wird von der Ukraine und mehreren Verbündeten gedrängt, den Weg für die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern frei zu machen. Weil diese Panzer in Deutschland produziert werden, hat die Bundesregierung bei der Weitergabe aus anderen Ländern ein Vetorecht. Ihr kommt also eine Schlüsselrolle zu, Scholz hat sich aber noch nicht entschieden. Ob Frankreich seinen Kampfpanzer Leclerc in die Ukraine schicken will, ist ebenfalls unklar.

Die Abstimmung bei den Waffenlieferungen in die Ukraine lief zwischen den beiden Regierungen zuletzt nicht richtig rund. Anfang Jänner preschte Macron bei der Entscheidung über Späh- und Schützenpanzer vor und verkündete sie einen Tag vor Scholz und US-Präsident Joe Biden.

Deutsch-französische Verstimmungen gab es aber schon davor bei der Bewältigung der Folgen des Ukraine-Kriegs: Frankreich missfiel im vergangenen Herbst der deutsche Widerstand gegen einen europäischen Gaspreisdeckel und das 200-Milliarden-Programm der Bundesregierung zur Abfederung der hohen Energiekosten. Macron warf Deutschland damals vor, sich in Europa zu isolieren.

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sieht die Verantwortung für die Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis aber auf beiden Seiten. "Sicherlich ist auf deutscher Seite nicht immer auf Frankreich Rücksicht genommen worden. Aber auch Frankreich handelt nicht immer europäisch", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Der ehemalige außenpolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hofft nun auf eine Wende zum Besseren. "Wichtig ist, dass der politische Wille zur Kooperation besteht. Und da ist der Jahrestag des Elysée-Vertrags eine hervorragende Gelegenheit, klar nach außen zu betonen: Deutschland und Frankreich sind sich ihrer historischen Verantwortung bewusst, dass sie eng zusammenarbeiten müssen." Im globalen Wettbewerb müsse Europa gerade jetzt funktionieren, um nicht abgehängt zu werden. "Wenn Deutschland und Frankreich nicht übereinstimmen, stagniert Europa."

Die Sitzung des deutsch-französischen Ministerrats wurde im Oktober überraschend abgesagt. Die deutsche Seite hatte das mit anhaltendem Abstimmungsbedarf begründet. Aus dem Élyséepalast hieß es damals, die wichtigen Themen Verteidigung und Energie müssten noch weiter diskutiert werden. Im Wirtschaftsteil der Beratungen soll es nun unter anderem um die Zusammenarbeit im Bereich Energie gehen, wo beide Länder einander mit Lieferungen aushelfen und um die Umstellung auf ein klimafreundlicheres Wirtschaftssystem.

Außerdem dürfte der Umgang mit dem US-Inflationsbekämpfungsgesetz großen Raum einnehmen, das milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz vorsieht. Subventionen und Steuergutschriften sind allerdings daran geknüpft, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren, weshalb man in Europa Nachteile für heimische Unternehmen fürchtet. "Wir werden uns nachdrücklich für eine ehrgeizige Strategie zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und für ein europäisches Umfeld einsetzen, das zu Wettbewerb und Innovationen anregt", schrieben Scholz und Macron in ihrem gemeinsamen Zeitungsbeitrag.