APA - Austria Presse Agentur

Alternde Gesellschaft macht Arbeitskräfte rar

Wenn die Coronakrise weiter abgeflaut ist, wird der Arbeitsmarkt übers weitere Wachstumspotenzial der Volkswirtschaften entscheiden, ist der Chefvolkswirt von Deloitte Deutschland überzeugt.

"Der Arbeitsmarkt wird noch sehr viel enger, als er bereits ist. Der demografische Wandel setzt jetzt voll ein", sagte Alexander Bersch Montagvormittag am Rande des Forum Alpbach. Aufgrund der alternden Gesellschaft werde der Gesundheitssektor der Wachstumssektor der nächsten zehn Jahre.

Junge Arbeitnehmer seien jetzt schon gefragt und würden weiter zu einer "extrem gefragten Ressource". Politisch müsse zudem geschaut werden, Ältere länger in der Arbeit zu halten. Damit sei nicht gemeint, dass künftig bis ins hohe Alter Vollzeit gearbeitet werde. Es gehe um flexible Arbeitsformen. "Vielleicht wird die Gig-Ökonomie etwas für die Über-60-Jährigen, die projektweise eingesetzt werden - noch vor oder in der Rente", so der Deutsche. Von der Alterung sei auch China massiv betroffen.

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Der demografische Wandel werde neben des Entstehens eines "irren Wachstumsmarkts der Health-Tech" auch Auswirkungen auf die Inflation haben. "Wenn der Arbeitsmarkt enger wird, dann gibt es höhere Lohnzuwächse. Das wird den Inflationsdruck über die nächsten Jahre deutlich erhöhen." Es sei zwar schwierig zu sagen, wie die Zentralbanken reagieren würden, "aber Nullzinsen dürften sich eher dem Ende zuneigen", so der Deloitte-Ökonom.

Warum Europa den USA und China beim Wachstum nach der Coronakrise aktuell recht deutlich hinterherhinkt, hänge auch damit zusammen, dass Europa in der Krise viel tiefer gefallen sei. "Wir müssen uns schon anstrengen, damit wir nicht weiter verlieren", sagte Bersch. Er warnte davor, dass Europa auch in einem seiner industriellen Kernbereiche, der Automobilindustrie, aufgrund der Entwicklungen der Elektromobilität und des Autonomen Fahrens ins Hintertreffen geraten könnte. "Das ist eine der ganz großen Gefahren."

Der europäische Automotive Sektor sei "sehr stark Richtung Verbrenner" ausgerichtet. Dort gebe es "die meisten Investitionen, die meisten Patente", doch "die Vorzeigeindustrie ist in einer riesigen Transformation. Da wird es mehr Wettbewerb geben - nicht nur mit amerikanischen Herstellern (Tesla, Anm.) sondern auch mit vielen chinesischen Autobauern." China sei Marktführer in der Elektromobilität und größter Markt für die deutschen Hersteller. Denen liefern sehr viel österreichische Zulieferer zu. "Es ist extrem wichtig, dass wir diese Transformation halbwegs effektiv hinkriegen", sagte Bersch. Hier gebe es aber auch positive Signale. Beim letzten Autogipfel in Deutschland sei Hilfe für Zulieferer bei der Umwandlung thematisiert worden.

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Insgesamt sei es für Europa wichtig, neue Technologien zu entwickeln. Schließlich spielt auch abseits des Automarktes hier die große (Zukunfts-)Musik. Für mehr Innovation und bessere Geschäfte sei eine weitere Vertiefung des digitalen EU-Binnenmarkts notwendig. "Es gibt zwischenstaatliche digitale Grenzen und kaum paneuropäische Unternehmen."

Bersch zeigte sich aber "skeptisch, dass eine klassische Industriepolitik eingeführt werden kann, die sagt, hier und hier wird investiert, weil wir politisch glauben, das wird wachsen". Hier gehöre stärker in Richtung "Ökosysteme" gedacht: "Da entstehen Dinge, an die man nicht gleich denkt." Die Politik könne koordinieren, aber es müsse in Städten und Regionen funktionieren. Als Beispiel nannte Bersch die TU München. Dort würden Studenten mit Büros versorgt und mit Venture-Capital-Gebern vernetzt. Ein Beispiel sei Flixbus. "Welcher Politiker würde schon sagen, wir investieren jetzt in Reisebusse", fragte Bersch.

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Auch für die in Österreich von der Regierung angekündigte Standortstrategie wäre es gut, sich auf regionale Hubs zu konzentrieren, sagte Bersch auf APA-Nachfrage. "Es ist gut, regionale Schwerpunkte zu überlegen - wo haben wir welche Stärken, wo stehen wir im Wettbewerb gut da und können dies mit digitalen Themen weiterentwickeln." Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck hatte am Vortag gesagt, dass es hierzulande in der Standortstrategie 2040 um bestimmte Bereiche gehen werde: Etwa Mobilität und digitale Services, Kultur und Tourismus sollen in die Strategie. Derzeit laufe ein Top-down- und Bottom-up-Prozess mit 150 Unternehmen. Im nächsten Schritt sollen Bürger auf digitalem Wege eingebunden werden. Nächstes Jahr wolle man fertig sein.