APA - Austria Presse Agentur

Altpapier-Funde sind "Das glückliche Geheimnis" Arno Geigers

Bei vielen Büchern mit autobiografischer Färbung stellt sich die Frage: Was ist Fakt und was ist Fiktion? Autorinnen und Autoren verweisen dann gerne darauf, dass man eine Erzählerfigur nicht mit dem Urheber verwechseln sollte. Nicht so bei Arno Geiger. "Das glückliche Geheimnis" sei tatsächlich seine eigene Geschichte, stellt er gleich zu Beginn des Gesprächs klar, die Ich-Form ganz bewusst gewählt: "In meinem Selbstverständnis als Schriftsteller war das alternativlos."

"Ich halte Offenheit für einen großen moralischen Wert und gebe mit dem Buch etwas an Offenheit zurück, das ich in den besten Momenten auch selbst bekommen habe", sagt der 54-jährige in Wien lebende Vorarlberger im APA-Interview. "Vieles im Leben ist schambehaftet. Wenn es etwa um Beziehungen geht, heißt es bald, das geht niemanden etwas an. Wir Künstlerinnen und Künstler können uns zur Verfügung stellen, daran etwas zu ändern. Es ist wichtig, dass jemand wie ich nicht nur die geschönte Vorderseite zeigt, die ganz falsche Vorstellungen weckt, sondern auch von dem ganzen Kuddelmuddel erzählt."

In seinem Buch, das am Dienstag ausgeliefert wird, geht es auch um Scham und ihre Überwindung. Das Geheimnis, das er lüftet, ist, dass er viele Jahre in öffentlichen Papiercontainern nach Verwertbarem gestöbert und zunächst pekuniären, später literarischen Nutzen daraus gezogen hat. Die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Geringschätzung dieser Art von Müllverwertung und der großen Wertschätzung, die er seinen Fundstücken entgegenbringt, ergibt eine der reizvollen Spannungen des Buches.

Lange war Abfall ein Tabu, "obwohl er zum Leben dazugehört und für Archäologen die Abfälle in den früheren Stadtgräben wahre Goldadern sind, die das echte Leben der Menschen preisgeben wie nichts sonst", sagt Geiger. Genau das hat den Papierabfall für den Autor zu einer unschätzbaren Quelle gemacht. "Ich hab einer Kultur beim Untergehen zugeschaut - der Kultur des Handschriftlichen. Ich glaube, dass ich mich unter diesem Aspekt dem Thema Altpapier gründlicher gewidmet habe als je ein Mensch vor und nach mir."

Das Unverstellte des Ausdrucks, das er in den geborgenen Briefen und Tagebüchern gefunden habe, sei ihm zu einer Richtschnur geworden, sagt Geiger. Mehr noch: "Was ich aus dem Altpapier gelernt habe, ist etwas unglaublich Wertvolles: sich hinzustellen als der, der ich bin. Das gehört zu den größten Herausforderungen des Lebens. Ich verdanke dem Abfall wirklich viel als Mensch."

Daraus kann Geiger eine ganze Philosophie entwickeln: "Im Müll finde ich nicht das, was zu mir passt. Da bin ich ein Kind des Zufalls. Wer dem Zufall keine Zutrittsmöglichkeit zu seinem Leben gewährt, an dem geht vieles vorbei, der wird immer das Passende suchen - und am Ende landet er in einer Blase. Aber viel wichtiger als Safe Spaces sind Räume, in denen wir uns auseinandersetzen, in denen auch Widerspruch stattfindet."

In großer Offenheit erzählt Geiger in seinem Buch von den Höhen und Tiefen einer Autorenkarriere, die keineswegs so glatt lief, wie man glauben mag. "Ich bin ein Paradebeispiel dafür, dass Umwege die Ortskenntnis erhöhen, dass randseitige Pfade Erfahrung generieren. Wenn alles immer so läuft, wie man es sich wünscht, fehlt die Reibung, fehlt das Hinfallen und fehlt das Aufrappeln." Das gilt auch für seine Ehe, über deren langjährige und wechselvolle Vorgeschichte er so offenherzig schreibt, dass sich die Frage aufdrängt: Was sagt seine Frau dazu? "Sie trägt das mit. Da gab es gar nichts zu diskutieren. Das ist unser Leben, und da läuft eben auch nicht alles nach Plan. Meine Frau steht da ganz hinter mir. Dass sie mir diese Form ermöglicht, ist weit entfernt von selbstverständlich."

Apropos Offenheit: Was hält Geiger davon, dass in bestimmten Fällen die Entnahme von Dingen aus Abfallcontainern auch schon als unrechtmäßig klassifiziert wurde? "Ich würde das bestreiten", sagt Geiger und beruft sich etwa auf das Gewohnheitsrecht, da Derartiges im öffentlichen Raum unter aller Augen ständig und ungeahndet stattfinde. "Das Sammeln gehört zum Leben dazu. Andere retten Lebensmittel, für mich sind geistige Dinge Lebensmittel. Ich würde es als Feldstudie betrachten, mit der ich meiner Verantwortung als Schriftsteller nachkomme. Zu der gehört es auch, dass ich mir ein möglichst gutes Bild von den landläufigen Sitten und Gebräuchen verschaffe." Außerdem sei der materielle Wert des entnommenen Papiers minimal. "Was wäre die Alternative? Dass Klopapier daraus gemacht wird."

"Das glückliche Geheimnis" wird am 17. Jänner im Akademietheater präsentiert, und beim Rummel um den Österreich-Schwerpunkt auf der Buchmesse in Leipzig wird er "der Entspannteste von allen" sein: "Anfang April habe ich es hinter mir." Während viele Kolleginnen und Kollegen sofort nach Abschluss des einen ihr nächstes Buch anfangen, lässt sich Arno Geiger damit Zeit. "Ist die Dringlichkeit für ein Buch da oder nur die Unfähigkeit, mit meiner Zeit etwas anzufangen? - Diese Frage sollte man sich immer stellen! 'Das glückliche Geheimnis' war so ein durch und durch dringliches Buch. Damit lege ich mir auch eine Latte für die Zukunft. Einen x-beliebigen Roman würde ich mir heute nicht mehr gestatten. Das ist ein Reifungsprozess, den ich als Schriftsteller durchgemacht habe."

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Arno Geiger: "Das glückliche Geheimnis", Hanser Verlag, 240 Seiten, 25,70 Euro, ISBN 978-3-446-27617-8; Buchpräsentation: 17. Jänner, 20 Uhr, Akademietheater)