APA - Austria Presse Agentur

Andreas Schager als "Siegfried" Bayreuther Publikumsliebling

Am Ende war es Andreas Schager, der den meisten Applaus erhielt: Der österreichische Heldentenor sang sich mit unvergleichlicher Kraft als Siegfried in Teil 3 des "Ring des Nibelungen" Mittwochabend in die Herzen des Bayreuther Festspielpublikums. Der 50-Jährige ist an der Spitze der Zunft angekommen. Sein Siegfried ist ein testosteronstrotzender Jüngling in Valentin Schwarz' Neuinszenierung, die allerdings szenisch den bisher schwächsten ihrer drei Abende erlebte.

Der gebürtige Niederösterreicher Schager powert mit seinem Organ von der ersten Minute an, singt den Siegfried mit voller Kraft, die zweifelsohne vorhanden ist. Das birgt zwar nicht allzu viele Nuancierungen, entspricht aber der Rollencharakterisierung des jungen österreichischen Regisseurs Valentin Schwarz, der Siegfried als postpubertierenden Testosteronbomber anlegt, der bei seinem Ziehvater Mime (Arnold Bezuyen) zur Geburtstagsfeier schon besoffen aufkreuzt, vor Hormonen überläuft und tatsächlich erst im Angesicht von Brünnhildes holder Weiblichkeit - kurzzeitig - das Fürchten lernt.

Und dies obwohl es bei der entthronten, gerade aus dem Schlaf erwachten Walküre von Daniela Köhler gar nichts zu fürchten gäbe. Schließlich liefert die deutsche Sopranistin doch ungeachtet kurzer Atemlosigkeiten in der Höhe eine tadellose Leistung mit weitausschwingendem Vibrato, aber doch zurückhaltender Eleganz ab. Leider wird sie für die Endrunde am Freitag, die "Götterdämmerung", dann wieder an ihre schwedische Kollegin Iréne Theorin übergeben. Und nach dem Bühnenunfall mit zusammengebrochenem Stuhl in der "Walküre" war auch Tomasz Konieczny als Wotan wieder mit von der Partie und musste am Ende einige Buhs einstecken.

Dabei gehört der 50-jährige Pole zu den Darstellern des Abends, der durchaus die schauspielerischen Ansprüche erfüllen kann, die Schwarz an sein Ensemble stellt. Sein "Siegfried" stellt den bisher undynamischsten Teil der Tetralogie dar, ist weiterhin ausgestattet mit naturalistischen, voll eingerichteten Sets, die in diesem Falle allerdings in sich statisch bleiben. Der 33-Jährige bleibt dem eingeschlagenen Weg treu, den "Ring" als große Familienchronik zu erzählen, die ganz den Fokus auf die Beziehungsgeflechte legt und sich darin große Freiheiten vom Libretto nimmt.

So leben Siegfried und sein Pflegevater Mime wie Hamm und Clov aus Becketts "Endspiel" zusammen in einem obskuren Puppenheim, was als Absurditätenkabinett in anderer Besetzung wohl größeren Reiz entfalten würde. Schöne Passagen für schauspielerische Glanzmomente ergeben sich etwa auch, wenn Siegfried mit dem Waldvogel in Person einer gedemütigten Krankenschwester erste Flirtversuche unternimmt und die Dissonanzen des Siegfried-Horns (das Instrument, um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen!) mit den Dissonanzen der geschlechtlichen Annäherung einhergehen.

Oder wenn die hier als Brüder positionierten Charaktere Wotan und Zwerg Alberich (Olafur Sigurdarson) in ihrer Konfrontationsszene ebenbürtig aufeinandertreffen. Und Fafner (ein farbloser Wilhelm Schwinghammer) ist kein seinen Hort bewachender Drache, sondern ein bettlägeriger Greis, der am Ende an einem Herzinfarkt anstatt mit Schwert Nothung im Herzen stirbt. Rentner statt Reptil halt. Ein wenig, als würde man "Der Herr der Ringe" ohne Orks inszenieren.

Und doch ist vieles an diesem Fokus auf die Familiensaga stimmig, erhellt Beziehungen, die sonst übersehen werden. Und manches verkompliziert die Sache schlicht. So ist noch unklar, wer der Vater von Sieglindes Kind - also Siegfried - ist. Siegmund wie in der Vorlage mal fix nicht. Ob entsprechender Annäherungsversuche an die Hochschwangere käme durchaus Wotan infrage. Demnach hätte nicht der Zwillingsbruder seine Zwillingsschwester, sondern der Vater seine Tochter geschwängert. Siegfried bliebe also ein Kind aus einer inzestuösen Beziehung, würde aber in der Person von Brünnhilde nicht nur mit seiner Tante anbandeln - wie im Libretto - sondern mit seiner Tante und gleichzeitig seiner Halbschwester. Das werden langsam Verhältnisse, bei denen sich selbst die erfolgreichsten Soap-Operas warm anziehen müssen.

Im unsichtbaren Graben bot indes Cornelius Meister dieses Mal ein etwas unausgewogenes Dirigat, das zwischen extremen Tempi, die selbst Schager bisweilen aus dem Takt brachten, starken Bläsern und dann wieder ganz transparenten Passagen changierte, in denen die einzelnen Instrumenten zu ihrem Recht kamen. Einzig in den großen Orchesterfuror geht Meister selten.

Nun steuert also alles auf den Untergang der alten Ordnung am Freitag zu. Valentin Schwarz und sein Team, die traditionell nach dem letzten Ton der "Götterdämmerung" erstmals vor den Vorhang treten, werden sich einem Buhorkan des Festspielpublikums gegenübersehen. So viel lässt sich bereits jetzt prognostizieren. Ob zu Recht, oder ob es sich bei der Schwerpunktsetzung des österreichischen Theatermachers nicht um den vielleicht ersten wirklichen "Ring" des 21. Jahrhunderts handelt, der die Sprache einer Generation von heute spricht, das muss sich noch zeigen.

(S E R V I C E - Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen: Siegfried" bei den Bayreuther Festspielen. Musikalische Leitung: Cornelius Meister, Regie: Valentin Schwarz, Bühne: Andrea Cozzi, Kostüme: Andy Besuch. Mit Siegfried - Andreas Schager, Mime - Arnold Bezuyen, Der Wanderer - Tomasz Konieczny, Alberich - Olafur Sigurdarson, Fafner - Wilhelm Schwinghammer, Erda - Okka von der Damerau, Brünnhilde - Daniela Köhler, Waldvogel - Alexandra Steiner. Weitere Aufführungen am 13. und 28. August. www.bayreuther-festspiele.de/programm/auffuehrungen/siegfried/)