APA - Austria Presse Agentur

Anschlag in Wien: Expertin rät "Nicht alleine bleiben mit den Bildern"

Nach Monaten der Einschränkung durch die Coronapandemie kann der Anschlag in Wien eine große zusätzliche Belastung darstellen.

Katharina Purtscher, Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie im LKH Graz, empfiehlt in dieser Situation eine nur dosierte Nutzung seriöser Medien und das Gesehene zu besprechen. "Nicht alleine bleiben mit den Bildern, mit den Befürchtungen, mit den Gedanken!" Bei Kindern und Jugendlichen sollen Eltern den Anschlag "dosiert und ruhig" ansprechen.

Der Anschlag habe viele Kinder und Jugendliche in einem Moment getroffen, in dem sie aufgrund der Coronapandemie schon massive Einschränkungen in ihrem sozialen Umfeld erlebt haben und dementsprechend besonders belastet sind, so Purtscher, die auch wissenschaftliche Leiterin des Kriseninterventionsteams im Land Steiermark ist, im Gespräch mit der APA. Je nachdem, ob ihr Umfeld in der Lage ist, ihnen Sicherheit und Geborgenheit zu geben, seien hier bei vielen bereits Ängste und Sorgen da.

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Gefühl einer konkreten Bedrohung

Zur Bedrohung der Gesundheit durch das unsichtbare Virus komme mit dem Anschlag möglicherweise noch das Gefühl einer konkreten Bedrohung der äußeren Sicherheit dazu. Die Tatsache, dass die akute Bedrohung nach derzeitigem Wissensstand schon wieder vorbei sei, könne eventuell dazu beitragen, dass man möglicherweise schneller wieder äußere Sicherheit erlangen und auch den Kindern und Jugendlichen vermitteln kann.

Den Eltern empfiehlt Purtscher, gerade bei Kindergartenkindern gut hinzuhören, welche Bilder und Fantasien sie von dem Anschlag haben und welche Vermutungen sie anstellen. Das "egozentrische Weltbild" von Unter-Sechsjährigen könne nämlich dazu führen, dass diese sich selbst eine Mitschuld an Ereignissen geben, obwohl diese außerhalb ihres Einflusses stehen. Aufmerksam werden sollten Eltern auch, wenn ihr Kindergartenkind ein "traumatisches Spielverhalten" zeigt und wie in einem Albtraum über mehrere Tage hinweg immer wieder dieselben Spielszenen, etwa mit einer Schießerei, im immer gleichen Ablauf wiederholt. In diesem Fall empfiehlt Purtscher, sich dazuzusetzen, nachzufragen und alternative Ausgänge der Szene durchzuspielen, bei denen auch Helfer vorkommen.

Mit Jugendlichen ab zehn Jahren könne man schon im Sinne einer Medienkompetenz gemeinsam eine Informationssendung in seriösen Medien anschauen, wo eine gewisse Bildkontrolle zu erwarten sei, und das Gesehene nachbesprechen. Um die Informationsflut über Social-Media-Kanäle zu steuern, schlägt sie vor, den Jugendlichen zu erklären, dass ein Zuviel an Beschäftigung mit diesem Thema nicht gut tut und Sorgen nur verstärkt. Purtscher legt den Eltern außerdem nahe, sie auch proaktiv mit positiven Fakten zu versorgen, etwa mit den Meldungen über jene beiden jungen Männer, die trotz der Gefahr während des Anschlags Menschen in Sicherheit gebracht haben. Auch das gemeinsame Einordnen vorhandener Fakten sei hilfreich, etwa dass es sich nach derzeitigem Stand wohl um einen Einzeltäter gehandelt hat.

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"Zuerst selbst zur Ruhe kommen"

Um herauszufinden, ob ein Kind oder Jugendlicher durch die Bilder des Anschlags belastet ist, sollten Eltern diesen hin und wieder, vor allem nach Außenkontakten wie dem Schulbesuch, ansprechen. Die Eltern sollten davor aber überprüfen, ob sie selbst die Informationen schon reflektieren und einordnen konnten. "Sie sollten nicht sehr angespannt sein, sondern selbst zuerst zur Ruhe kommen."

Wenn Menschen nach all den Belastungen der vergangenen Monate mit einer Pandemie, zwei Lockdowns und einem Anschlag eine hohe Belastung oder sogar eine momentane Überlastung empfinden, sei das normal, betonte Purtscher. "Aber wenn die Angst sich verfestigt oder fast verselbstständigt, also wenn ich nur mehr daran denken muss oder nur noch davon träume oder ein Kind nur noch diese Szenen nachspielt, braucht es Unterstützung und Hilfe." Dabei sei auch nicht zu unterschätzen, dass infolge der Pandemie ein Teil der Menschen zusätzlich unter finanziellen Existenzängsten leide.

Gefühl der Verbundenheit

Zur Stärkung kann laut Purtscher beitragen, wenn man in der Familie oder unter Freunden ein Gefühl der Verbundenheit erleben und auch im größeren gesellschaftlichen Rahmen die Motivation erleben kann, es gemeinsam schaffen zu wollen. Wenn man sich belastet fühle, solle man bei der Regeneration außerdem auf die eigenen Bedürfnisse hören. So helfe es manchen, Laufen zu gehen oder wieder die Geige zur Hand zu nehmen und andere könnten sich besser bei einer Massage oder einem heißen Bad regenerieren.