Anschlag in Wien: Polizeieinsatz lief laut Pürstl "top"
"Die Erfahrungen der Anschläge in anderen Städten und auch des Amoklaufs in München haben uns geholfen", sagte der Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl im Gespräch mit der APA. Unzählige Anrufe, Tweets, Postings und Videos in sozialen Netzwerken prasselten auf die Einsatzkräfte ein. "Im Prinzip ist an dem Abend das ausgebrochen, worauf wir hintrainiert und gehofft haben, dass es nicht eintritt", schilderte der Wiener Polizeichef.
Zehn Jahre vorher wäre der Einsatz wohl anders abgelaufen, meinte Pürstl. Durch die Erfahrungen anderer Städte konnte sich die Wiener Polizei auf Anschlagsszenarien vorbereiten. Dabei erwies sich als besonders wichtig, dass genaue Unterlagen und Check- und To-Do-Listen erstellt worden, waren, welche die Beamten ohne Nervosität abarbeiteten, wie der Polizeichef erläuterte. Dazu zählte, sich möglichst schnell einen Überblick zu verschaffen und die Erstmeldungen zu bestätigen, Sperrkreise und Sammelpunkte für die Blaulicht-Kräfte zu schaffen und den Einsatz zu koordinieren.
Pürstl selbst befand sich gerade auf dem Heimweg von seinem Job schon bei seinem Wohnsitz, als ihn die Information über die Schüsse ereilte. Gegen 20.30 Uhr - nach knapp 30 Minuten - befand sich der Chef wieder in der Landespolizeidirektion und übernahm die Einsatzleitung. "Wir haben es geschafft, die Strukturen, die notwendig sind, um so einen Einsatz zu bewältigen, innerhalb weniger Stunden komplett aufzubauen, und wir haben es geschafft, die Chaosphase zu Beginn ganz gering halten." Pürstl: "Gegen 23.00 Uhr war mein Gefühl, dass wir dieses Durcheinander, das natürlicherweise herrscht, irgendwo im Griff haben."
Der Polizeipräsident sprach in dem Zusammenhang auch die große Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit an. "Gute Medienarbeit und gute Arbeit in den sozialen Medien macht 30 Prozent der Arbeit aus, wenn nicht mehr. Das Allerschlechteste ist, wenn die Bevölkerung das Gefühl hat, es macht jeder, was er will, und die sind alle überfordert."
Eine zentrale Frage war auch, wie man mit dem Öffentlichen Verkehr und auch den zahlreichen Veranstaltungen sowie stark besuchten Lokalen in der Innenstadt umgeht, in denen viele Menschen festsaßen. Schließlich war der 2. November 2020 auch der letzte Tag vor dem Inkrafttreten des Lockdowns zur zweiten Corona-Welle.
Es dauerte allerdings einige Zeit, bis klar war, dass es sich nur um einen Täter handelte, der in Erscheinung getreten war. In den ersten Minuten trafen nämlich zahlreiche Meldungen mit unterschiedlichen Täterbeschreibungen ein, wodurch in der ersten Phase die Einsatzkräfte eher mehrere Täter in Betracht zogen. "In den Morgenstunden war es wahrscheinlich, dass es sich nur um einen Täter handelte", betonte Pürstl. Es gab bereits in der Früh erste Hausdurchsuchungen bei Personen aus dem Umfeld des Täters, aber dabei haben sich Pürstl zufolge keine Hinweise darauf ergeben, dass ein zweiter Täter ebenfalls am Tatort war.
Pürstl resümierte, dass der Einsatz am Abend selbst "top abgelaufen" sei. "Im Großen und Ganzen ist das so gelaufen, wie wir es uns auch vorgestellt haben." Womit man aber nicht gerechnet habe, war, "dass sich unzählige Kollegen freiwillig in den Dienst gestellt haben". Der Polizeipräsident nannte in dem Zusammenhang die Zahl von 1.100 Mitarbeitern. Das sei am Abend selbst sehr gut, aber man muss sich dem Leiter der Wiener Polizei zufolge Gedanken machen, wie man in den folgenden Tagen ebenfalls frische Beamte einsetzen könne.
Pürstl lobte die Einsatzkräfte, die zuerst am Tatort waren. Diese seien zunächst zur Abklärung der Lage nach dem Notruf "Schüsse in der Seitenstettengasse" zugefahren und sofort in ein Feuergefecht verwickelt worden. Früher galt bei der Polizei in solchen Situationen die Devise, sich zurückzuziehen und auf das Eintreffen von Spezialkräften wie die WEGA oder das Eko Cobra zu warten."Wir haben da vor Jahren umgestellt. Man hat gesehen, dass das eigentlich keine gute Taktik ist, weil der Täter bekämpft werden muss, weil er nur so daran gehindert wird, weiteren Schaden anzurichten."
Der Wiener Landespolizeipräsident nahm auch zur Kritik an Verfassungsschützern und deren Arbeit vor dem Anschlag Stellung, weil bekanntgeworden war, dass der Attentäter im Juli 2020 in der Slowakei Munition kaufen wollte: "Ich wusste, dass diese Vorwürfe kommen werden, weil sie noch nach jedem Anschlag gekommen sind", sagte Pürstl. "Das war in Paris so, das war vor allem - Musterbeispiel - in Berlin so. Jeder Terrorist im wesentlichen ist vorher in irgendwie in seinem Leben polizeilich auffällig geworden."
Pürstl verwies auf den Bericht der Untersuchungskommission unter Vorsitz der Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes, die gesagt habe, es gebe viele Verbesserungsvorschläge, "aber es hat kein Versäumnis gegeben der Behörden, und zwar auf keiner Ebene, die auch nur in irgendeiner Form kausal gewesen wäre für diesen Anschlag". Das sei eine ganz wichtige Aussage: "Die Kernfrage ist aber immer: Hätte eine andere Vorgansweise auch tatsächlich diesen Anschlag verhindert? Wenn man sich die Untersuchungskommission anschaut, steht hier ein deutliches Nein im Raum, es waren also keine dieser Dinge kausal dafür", betonte der Wiener Landespolizeipräsident.
Er bestätigte, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu zwei Anzeigen gegen Beamte des Landesamtes für Verfassungsschutz noch laufende Verfahren führt. Es sei mit baldigen Abschlüssen und entsprechenden Vorhabensberichten zu rechnen. Disziplinarrechtlich will die Polizei das Verfahren abwarten, diesbezüglich gebe es "derzeit keinen Handlungsbedarf".
Bezüglich einer Neustrukturierung des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sei die Umsetzung der Reform auf Bundesebene abzuwarten. Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) wird noch in diesem Jahr statt des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung den Betrieb aufnehmen. Es bleibe abzuwarten, inwiefern sich dies auf die Struktur der Landesämter auswirkt. Pürstl zufolge ist es durchaus möglich, dass durch notwendig gewordene Strukturänderungen auch Planposten neu ausgeschrieben werden müssen.
Als Konsequenz aus dem Anschlag habe man als Wiener Polizei "die Kommunikation mit der Justiz und der Staatsanwaltschaft deutlich gestärkt", sagte Pürstl. Auch die Extremismusprävention "bauen wir nach und nach aus". Die Wiener Polizei sehe sich hier ohnehin in einer Vorreiterrolle und arbeite mit staatlichen oder nicht staatlichen Organisationen wie Deradikalisierungsinitiativen oder auch der Bewährungshilfe zusammen. Man baue Kommunikations-Mechanismen - von der Zerbes-Kommission bemängelt - mit der Justiz und unter den Ämtern aus. Ins Detail wollte Pürstl hier aber nicht gehen.
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