APA - Austria Presse Agentur

"antigone. ein requiem" im Akademietheater

Der 1986 geborene Oberösterreicher Thomas Köck ist einer der erfolgreichsten Dramatiker seiner Generation. Warum das so ist, davon konnte man sich am Samstagabend im Akademietheater ein Bild machen. Lars-Ole Walburg brachte seine Sophokles-"Rekomposition" mit dem Titel "antigone. ein requiem" erfolgreich zur österreichischen Erstaufführung. Ein starker Abend, der mit langem Applaus bedankt wurde.

Im antiken Mythos bestattet Antigone ihren toten Bruder Polyneikes und widersetzt sich so dem Verbot von König Kreon, der damit ein Exempel statuieren will. In Köcks Neufassung sind es namenlose Leichen, die an den Strand gespült werden und nach dem Willen der Politik in anonyme Leichensäcke weggepackt werden sollen. Antigone ist die einzige, die für die Toten jene ehrenvolle Bestattungen einfordert, die Anstand und Menschenwürde gebieten. Und schon sind wir mitten in einer hochaktuellen Debatte, bei der man an auf der Überfahrt nach Europa gekenterte Flüchtlinge ebenso denken muss wie an das Gefeilsche um die nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria obdachlos Gewordenen. Wenn Kreon bei Köck sagt: "Wir sind nicht der Friedhof der Welt!", dann erinnert das sehr an Außenminister Alexander Schallenbergs kürzlich getätigte Aussage "Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein".

Schallenberg ist nicht mehr Kulturminister, und so wurde er am Sonntag auch nicht in den coronabedingt sehr gelichteten Reihen der Premierengäste des Akademietheaters gesichtet. Und so hat er auch versäumt, Markus Scheumann bei seiner bemerkenswerten Gestaltung des Kreon als sich windender Realpolitiker von heute zuzusehen. Was ihm Köck in den Mund gelegt hat, von der Maxime, möglichst "wertfrei hinter den Werten" zu stehen, bis zur Forderung nach einem "maßgeschneiderten Slim-Fit-System" mit neuen demokratischen Spielregeln ("Manchmal gehören Grundwerte aktualisiert!"), kommt einem alles verdammt bekannt vor.

Peta Schickart hat eine schiefe Ebene mit eingelassenen (aber kaum bespielten) Rillen bereitgestellt, Hanna Peter einfallsreiche moderne Kostüme voller Antiken-Zitate entworfen. Die Grundkonzeption von Lars-Ole Walburg ist schlüssig - und geht doch gegen die vom Autor formulierten Intentionen: Für Köck ist der Gegensatz von Chor und Protagonisten wesentlich. Er wünscht sich mindestens zehn Chordarsteller und betont: "Fünf SchauspielerInnen, die gleichzeitig sprechen, sind kein Chor." Walburg dagegen lässt seine sieben Darsteller selbst den Chor formieren, aus dem heraus jeweils die einzelnen Figuren heraustreten. Das ist zwar wohl weniger wuchtig als intendiert, funktioniert aber bestens, zumal alle mit der streng rhythmisierten Sprache gut umgehen können.

Sarah Viktoria Frick ist als Antigone eine mutige Exponentin einer Zivilgesellschaft, die universelle Menschenrechte, Menschlichkeit und Verantwortung einmahnt, Deleila Piasko ihre Schwester Ismene, die gegen die verordnete Ignoranz nichts einzuwenden hat, schließlich sind die Toten vorwiegend Spaßverderber. Mehmet Atesci als Haimon, Dorothee Hartinger als Eurydike und Branko Samarovski als Teiresias haben jeweils ihre eng umrissenen Auftritte und fügen sich sonst unauffällig in den Chor. Zur zweiten Kontrahentin des aasigen Kreon, der seine Unsicherheit zunehmend mit Strenge überspielt, entwickelt sich die Botin, die von Mavie Hörbiger mit großer Intensität gestaltet wird. Dauernd muss sie schlechte Botschaften überbringen. Sie windet sich und leidet, aber sie insistiert. Wegschauen ist keine Lösung, vor allem, wenn ein Blick Erschreckendes belegt: "Die Toten kommen wieder!"

Knapp eineinhalb Stunden wird auf der Bühne, verfremdet durch die Rückkoppelung an die Antike, europäische Politik von heute verhandelt. Nur wenig lenkt vom konzentrierten Zuhören und Weiterdenken ab, ein paar Projektionen von Wellen werden einmal auch von an den Strand gespülten Körpern überblendet. Am Ende liegt das Ensemble hingestreckt zum Schlussbild, und Ismene ergreift noch einmal das Wort: "Wegen der paar Toten hier" beginnt sie ihren Schlussmonolog, und endet mit "wollen wir doch jetzt nicht wollen wir doch wollen wir doch wollen wir doch wollen wir." Auf die Betonung kommt es an. Und auf die Weglassung eines einzigen Wortes.