APA - Austria Presse Agentur

Appelle für weniger Druck beim Heimunterricht

Mit den Schulschließungen haben Österreichs Lehrer ihren Unterricht vielfach mit viel Kreativität und Engagement auf Fernlehre und digitale Kommunikation umgestellt. Für viele Familien bedeutet die Beschulung daheim allerdings eine große Belastung - vor allem für jene, die ohnehin schon weniger Ressourcen und damit schlechtere Bildungschancen haben. Experten plädieren dafür, Druck rauszunehmen.

Lehrer stünden gerade vor einem Spagat, wie eine Volksschullehrerin aus Wien-Meidling der APA schildert: Während die Eltern vor einer Überforderung der Kinder mit zu vielen Aufgaben warnen, hieße es von Schulleitung und Bildungsministerium: "Ihr werdet weiter bezahlt, ihr müsst leisten."

Eine Verlängerung der Schulsperren nach Ostern werde die Eltern vielfach an die Grenzen bringen, fürchtet sie. "Das Konfliktpotenzial wird größer, die Frustrationstoleranz geringer."

Bildungswissenschafter Stefan Hopmann (Uni Wien) warnt in einem Gastkommentar in der Wochenzeitung "Furche" überhaupt vor einem "Hurra-Optimismus der politisch Verantwortlichen" in Bezug auf den Fernunterricht. Der Nutzen von E-Learning hänge massiv davon ab, ob jemand den Schülern bei ihren Aufgaben helfen kann und ob sie über einen geeigneten Arbeitsplatz, unbegrenzten Internetzugang, die notwendigen Materialien und Hilfsmittel verfügen. Es seien auch nicht alle Schüler in der Lage, ihr Lernen allein zu organisieren.

Dazu komme, dass beim Lernen unter Katastrophenbedingungen - vom Krieg bis Tschernobyl - auch jene in ihrer Lernbereitschaft eingeschränkt sind, die keine auffällige Symptomatik zeigen. "Das Wichtigste, was Familien in dieser Situation geben können, ist ein Gefühl von Gemeinschaft und Geborgenheit, dem nichts wichtiger ist, als den Kindern und Jugendlichen bei der Bewältigung dieser ungeheuren seelischen Belastung zu helfen. (...) Die Erwartung, Familien sollten ihren Alltag am Stundenplan und den Leistungsanforderungen der Schule ausrichten, ist in diesem Sinne ein massiver Anschlag auf die Bedingungen familiärer Fürsorge."

Ähnlich klingt das bei Bildungswissenschafter Urs Moser von der Uni Zürich. "Es gilt, Druck und Stress zu vermeiden", sagt er im Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung". Viele Eltern seien durch die neue Situation genug gefordert. "Die Eltern sollen emotionale Unterstützung bieten, das Gespräch suchen, aber nicht die Lehrperson spielen - auch weil sie fachlich und didaktisch überfordert sind."

Hopmann plädiert in der "Furche" dafür, den Schülern als sinnvolle Beschäftigung auch weiter Lernmaterial und andere Online-Angebote zur Verfügung zu stellen, es dürfe aber niemandem durch Leistungen beim E-Learning ein Nachteil entstehen. Auch auf Schularbeiten, Tests und Abschlussprüfungen wie die Zentralmatura sollte bis zum Jahresende verzichtet werden. "Wer das, wie das Ministerium zur Zeit, verweigert, handelt vorsätzlich sozial ungerecht und pädagogisch unverantwortlich", so seine Kritik.

Auch mit Wiederbeginn des Unterrichts könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, einen normalen Unterricht solle es vor den Sommerferien nicht mehr geben. So schlimm ist das aus Hopmanns Sicht aber ohnehin nicht. Der mögliche Ausfall betreffe gerade einmal drei Prozent des Unterrichts einer durchschnittlich 100 Monate dauernden Schullaufbahn.

Die Ganztagsvolksschule Vereinsgasse in Wien-Leopoldstadt hat unterdessen auf ihrer Facebook-Seite selbst an die Eltern appelliert, die Schule in der aktuellen Situation nicht zu ernst zu nehmen. Es sei in Ordnung, wenn die Kinder nicht alle Lernübungen schaffen oder die Eltern ihnen nicht alles erklären können. Die Familien sollten auch keinesfalls wegen der Lernaufgaben streiten. "Wenn Corona vorbei ist, wird sich kein Kind daran erinnern, welche Lernübungen es daheim gemacht hat. Aber jedes Kind wird sich daran erinnern, wie es sich in dieser Zeit daheim gefühlt hat!", heißt es hier.