APA - Austria Presse Agentur

Arktisforscher wollen Blick auf Wandel im Norden schärfen

Den Blick in den Norden richten Hunderte Forscher im Rahmen der "Arctic Science Summit Week 2023" (ASSW) dieser Tage von Wien aus. Die absolut nicht Jahreszeit-adäquaten frühlingshaften Temperaturen in der Bundeshauptstadt illustrieren zumindest anekdotisch, dass auf den Winter kaum noch Verlass ist. In der Arktis ist die Erwärmung drei bis vier Mal so ausgeprägt wie hierzulande, mahnte der Forscher Wolfgang Schöner am Dienstag - und das übe auch Einfluss auf Österreich aus.

Für das mehr oder weniger gewohnte Klima in unseren Breiten braucht es den Kontrast zwischen dem warmen Süden und dem kalten Norden. Unter den neuen Umständen verliert das "Jetstream" genannte Starkwindband allerdings seinen Einfluss auf das regionale Klima in Europa. "Damit verändert sich unser Wettergeschehen", sagte Schöner, der am Institut für Geographie und Raumforschung an der Universität Graz tätig ist und das Austrian Polar Research Institute (APRI) leitet.

Im nun wärmeren Norden tauen zusätzlich die Permafrostböden auf, was zur ansteigenden Freisetzung von CO2 und dem noch potenteren Klimatreiber Methan führt. Die Folge ist ein sich selbst verstärkender Kreislauf, der "global wirkt". Das sei auch der einleuchtende Grund, warum sich Österreich weiter an der Arktisforschung beteiligen soll, betonte Schöner.

Noch bis zum Freitag (24. Februar) läuft das laut Veranstaltern weltweit größte einschlägige Wissenschafter-Treffen in der Bundeshauptstadt. Am Dienstag erfolgte der Start zum wissenschaftlichen Symposium unter den Titel "Die Arktis im Anthropozän". Die steigenden Temperaturen eröffnen aber auch Menschen neue Einfallstore in die Region jenseits der nördlichen Polarkreises, wenn sich etwa neue Siedlungsräume, Transportrouten und Lieferketten öffnen. Auch das seien wichtige Themen auf der ASSW.

Näher mit dem Thema "Klima" wird man sich aus österreichischer Sicht auf der Polarstation "Sermilik" auf Grönland auseinandersetzen. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit zwischen dem APRI, der Uni Graz und der Universität Kopenhagen. Eröffnet werden soll die Einrichtung im August. "Eine der ganz großen Fragestellungen ist, was mit dieser riesengroßen Eismasse passiert", sagte Schöner, der mit seinen Kollegen vor allem die klimawandelbedingte Schmelze von kleineren Gletschern am Rande des großen grönländischen Eisschildes unter die Lupe nehmen wird.

Ein Problem, auch für die österreichische Arktisforschung sei der Stopp von Projekten auf russischem Gebiet im Zuge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine. "Das zeigt auch dieses große Dilemma, dass uns ein ganz wesentlicher Teil der Arktis im Moment 'fehlt'", so der APRI-Direktor. Man versuche nun neue Erkenntnisse zum Permafrost etwa aus Kanada auf Russland zu übertragen. Das habe aber seine Grenzen, und es sei offen, ob man es hier längerfristig nicht ein Stück weit mit einem "verlorenen Zeitfenster" für viele Forschungsbereiche zu tun haben wird.

Insgesamt vollziehe sich in den Feld ein Wandel: Ging man etwa noch vor einiger Zeit mit einem "kolonialeren Stil" an die wissenschaftliche Tätigkeit heran, binde man nun die ansässige Bevölkerung so gut es geht mit ein.

Davon war zur Zeit der Entdeckung von Franz-Josef-Land im Rahmen der Österreichisch-Ungarischen Nordpolarexpedition (Payer-Weyprecht-Expedition) noch nicht viel zu sehen. Trotzdem nimmt man das heurige 150-Jahr-Jubiläum als einen willkommenen Aufhänger für die ASSW. Damit sei "der Grundstein für die österreichische Polarforschung gelegt worden", sagte Schöner.

Bis ins Heute reicht die Idee Carl Weyprechts, mit wiederkehrenden "Polarjahren" auf die für die gesamte Erde so wichtige Region und die international koordinierte Forschung dort hinzuweisen. Das fünfte "Internationale Polarjahr" wurde kürzlich für das Jahr 2032-2033 fixiert. Nicht nur bis dahin habe die Wissenschaft angesichts von mitunter aktivistischen Klimaprotesten und Politikern, die das Thema der Klimaerwärmung gerne auf die lange Bank schieben würden, die Aufgabe, Entscheidungsträger und Öffentlichkeit bestmöglich über die Abläufe im hohen Norden zu informieren, betonte Schöner.